Der Autor
Nach dem Studium der Orientalistik und Klassischen Philologie hat Prof. Dr. Udo Steinbach zur Zeitgeschichte und Politik des Vorderen Orients geforscht. 1976–2007 war er Direktor des Deutschen Orient-Instituts in Hamburg. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören der politische und gesellschaftliche Wandel in den arabischen Ländern, der Türkei und Iran, die Stellung religiöser und ethnischer Minderheiten in nahöstlichen Gesellschaften sowie die Stellung des Nahen Ostens im internationalen System.
Udo Steinbach
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Umschlagabbildung: Skyline von Tripolis. Foto: Mirko Keilbert.
1. Auflage 2021
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
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ISBN 978-3-17-031338-5
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Gegenstand des Buches ist die Geschichte des Vorderen Orients im 20. Jahrhundert. Dabei handelt es sich um eine der ereignisreichsten und dramatischsten Epochen dieses Raumes seit der Zerstörung des Kalifats in Bagdad durch die Mongolen im Jahr 1258.
Politisch beginnt das 20. Jahrhundert des Vorderen Orients mit der Verfassungsrevolution in Persien im Jahr 1906. Bürgerliche Kräfte in einem breiten gesellschaftlichen Spektrum ringen dem Herrscher eine Verfassung ab. Sie definiert seine Machtausübung und stärkt die Gesellschaft ihm gegenüber. Zugleich suchen sich iranisch-nationalistische Kräfte auf diese Weise der Einmischung durch europäische Mächte zu entledigen. Dieses doppelte Ringen nach innen wie nach außen kann als Vorzeichen über der politischen Entwicklung der gesamten Region im 20. Jahrhundert verstanden werden.
Wesentliche Weichenstellungen aber waren bereits im vorangegangenen Jahrhundert vorgenommen worden; deshalb war es notwendig, in der Darstellung den Blick auf diesen Zeitraum auszuweiten. Und da das chronologische Ende des 20. Jahrhunderts nicht auch das Ende der politischen und ideologischen Dynamiken bedeutete, die dieses Jahrhundert bewegt haben, musste die Darstellung auf die ersten beiden Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts übergreifen.
Geographisch wird der Vordere Orient verstanden als der Raum von Nordafrika bis an die Grenze zum indischen Subkontinent. Diese Zusammenschau ist durch zwei Perspektiven gerechtfertigt: Zum einen ergibt sich aus der Prägung durch die islamische Religion und aus der politischen Interaktion in der Neuzeit ein hohes Maß an Kohärenz. Zum anderen hebt sich dieser Großraum geographisch wie geschichtlich deutlich von benachbarten Räumen ab – dem europäischen, dem russisch-zentralasiatischen, dem indischen und dem subsaharisch-afrikanischen.
Die zeitliche Eingrenzung ergibt sich aus der Perspektive der Gegenwart. Unübersehbar sind die Staaten und Gesellschaften im Vorderen Orient in eine tiefe Krise geraten. Sie ist geprägt durch Instabilität politischer Systeme, zwischenstaatliche Konflikte und machtpolitische Rivalitäten, gesellschaftliche Verwerfungen, ethnische Gegensätze und aus der Religion abgeleitete Gewalt. Der Zerfall von Staaten, die nach dem Ende des Ersten Weltkriegs entstanden sind, wird nicht mehr ausgeschlossen. Die Missachtung staatlicher Souveränität ist geradezu ein Prinzip des außenpolitischen und militärischen Handelns regionaler und internationaler Akteure geworden.
Aus der Perspektive der Gegenwart ergibt sich somit die Frage nach der Ursache und den Triebkräften für den Verfall des vorderorientalischen Großraums in einen buchstäblich chaotischen Zustand. Der Blick fällt dabei auf den Beginn des 20. Jahrhunderts. Nach einem Jahrhundert von Reformprozessen und von Bemühungen, sich der unabweisbaren Tatsache europäischer politischer und wirtschaftlicher Überlegenheit und imperialistischer Aggressivität zu stellen, kam es 1906 mit der Verfassungsrevolution in Iran zu einem ersten tiefen Bruch in der traditional bestimmten Ausübung von Herrschaft. Ihr folgte die jungtürkische Revolution; und mit dem Ende des Osmanischen Reichs war die Zukunft des Vorderen Orients insgesamt geöffnet. Seine Geschicke traten in ein neues Stadium.
Seither ist die Geschichte des Vorderen Orients in ständiger Bewegung. Wirklich »revolutionär« im streng politikwissenschaftlichen Sinn 1war sie wohl nur in wenigen Umbrüchen – so etwa im Falle der khomeinistischen Ablösung der iranischen Monarchie durch eine »Islamische Republik«. In vielen Fällen handelte es sich eher um Staatsstreiche unterschiedlicher Akteure, um Revolten im Sinne des Aufbegehrens gegen bestehende »Verhältnisse« oder um mehr oder minder gewalthafte Widerstands- und Befreiungsbewegungen. Gleichwohl – die Ablösung des Osmanischen Reichs durch die Gründung der Türkischen Republik, die Machtübernahme Nassers in Ägypten oder der Ba’th-Partei im Irak und in Syrien waren mehr als nur Staatsstreiche, führten sie doch zu einer nachhaltigen Ablösung überkommener Eliten und Machtstrukturen sowie zum Aufbau neuer Formen von Herrschaft und staatlicher Ordnung. Und selbst der kurzlebige marxistische Coup in Kabul (1978/79) war der Beginn eines langfristigen Prozesses politischen und gesellschaftlichen Wandels.
In der Selbstwahrnehmung der Akteure war ihr Tun eine »Revolution«. Ob »Revolution«, »Revolte«, »Staatsstreich«, »Widerstand«, »Aufbegehren« oder »Befreiung« – alle diese Ereignisse lassen die Geschichte des Vorderen Orients im 20. Jahrhundert als eine Abfolge bewegter Dramen auf der Suche nach einer neuen Ordnung erscheinen. Im Folgenden werden Begriffe wie »Revolution«, »Revolte« etc. nicht streng definiert (wenn das überhaupt möglich ist) oder gegeneinander abgegrenzt. Sie sind vielmehr Chiffren für einschneidende Ereignisse politischer und gesellschaftlicher Natur, von denen die neuere Geschichte des Vorderen Orients so erfüllt ist. Dass diese beständig von widerstreitenden geistig-kulturellen und religiösen Tatbeständen und Strömungen unterfüttert werden, ist eine Eigenheit dieses Raumes, in dem die Religion noch immer ein bestimmender Faktor des privaten und öffentlichen Lebens ist.
Als die Formel vom »Ende der Geschichte« nach dem Zerfall der Sowjetunion in die Welt gesetzt wurde, zeichnete sich bereits ab, dass es sich dabei um einen fundamentalen Irrtum handelte.
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