Schah Sultan Husain (reg. 1694–1722) war der letzte Herrscher der Safawiden. Harte steuerliche Belastung namentlich der ländlichen Bevölkerung in Verbindung mit einer rigorosen Durchsetzung der Schi’a nicht zuletzt in den – sunnitischen – afghanischen Teilen des Reichs führten zu verbreiteten Unruhen. Der Todesstoß kam vonseiten des afghanischen Stammes der Ghilzai aus den Gebieten um Kandahar. Unter der Führung von Mir Mahmud eroberten sie 1722 Isfahan, seit Schah Abbas (1587–1629) Hauptstadt des safawidischen Reichs. Schah Sultan Husain wurde abgesetzt. Ein kurzes Interregnum sunnitischer Herrschaft setzte ein.
In der Ära der Safawiden sind weitreichende Weichenstellungen in der Geschichte Irans auf dem Weg in die Neuzeit vorgenommen worden. Die trostlosen Verhältnisse bei deren Untergang dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass wichtige Voraussetzungen der Neuzeit Persiens auf sie zurückgehen: so das Persische als Amtssprache (während ein türkisches Idiom die Umgangssprache unter der Herrscherfamilie blieb), die heutigen Staatsgrenzen, das Bekenntnis zur Zwölfer-Schi’a, die bis 1979 bestehende monarchische Staatsform, das architektonische und städtebauliche Gesicht urbaner Zentren, der Zentralismus der staatlichen Verwaltung, die Symbiose der Persisch sprechenden Bevölkerung mit starken Minderheiten nichtpersischer, vor allem türkischer Zunge sowie das Bündnis zwischen der schiitischen Geistlichkeit und den Basarkaufleuten.
Tatsächlich ist die Zwölfer-Schi’a 7unter Schah Isma’il, dem Begründer der safawidischen Dynastie, zur Staatsreligion Irans gemacht worden. Damit war der Grundstein für den starken Einfluss gelegt, den die schiitischen Theologen in der Folgezeit, namentlich auch im 19. Jahrhundert (und dann wieder im Gefolge der Machtübernahme Ayatollah Khomeinis in der Islamischen Republik,
S. 445) ausüben sollten. Seit dem 13. Jahrhundert lag die Kernfunktion ihres Wirkens in der Befähigung zum idschtihad, d. h. in der selbstständigen Rechtfindung auf dem Weg rationaler Auslegung des Korans und der Prophetenüberlieferungen. (Der Titel eines zum idschtihad befähigten Geistlichen ist der diesem Begriff verwandte mudschtahid.) Der 12. Imam – als der noch verborgene Souverän – würde eines Tages als Erlöser (mahdi) eine endgültig gerechte und legitime Ordnung auf Erden errichten. Aber in der Zeit seiner Abwesenheit würde es eben an den Theologen sein, den Gläubigen in ihrem persönlichen wie öffentlichen Leben die rechte Leitung zu vermitteln. Solange die Safawiden selbst ihre Macht aus einer unmittelbar göttlichen Legitimation ableiteten, waren die Herrscher die höchste irdische Autorität. Unter Abbas I. hat die Macht der Safawiden als gottgesandtes Königtum ihren Höhepunkt erfahren. Mit seinem Tode setzte eine lange Phase der Schwäche der Herrscher ein; daraus resultierte die Stärkung des Einflusses der Geistlichkeit auf deren Entscheidungen. Unter den Qadscharen (1796–1925) sollten daraus zeitweilig politische Konflikte zwischen Teilen des Klerus und den Herrschern erwachsen.
Wie im Osmanischen Reich hatten sich auch in Persien seit dem Ende des 16. Jahrhunderts die kulturellen Kontakte zu Europa intensiviert. So erfahren wir von Gesandtschaften Ludwigs XIV. und Peters des Großen im Jahre 1708 und 1715. Auch Persien seinerseits entsandte diplomatische Missionen u. a. nach Frankreich. Mochten diese Unternehmungen auch in erster Linie Handelsinteressen entspringen, so hatten sie doch zugleich eine Bedeutung für die kulturelle, vor allem für die künstlerische Entwicklung des Landes. Mit ihnen kamen abendländische ästhetische Ideen nach Persien, auch Künstler und Handwerker. In der Malerei ist dies besonders augenfällig.
1722 endete die safawidische Ära. Die Herrschaft afghanischer Stämme, die ihr ein Ende bereitet hatten, sollte indessen nicht von langer Dauer sein. Nadir Khan, 1688 in der nordöstlichen Provinz Khorasan geboren, wurde der neue starke Mann in Iran. Ein militärischer Abenteurer – in heutiger Terminologie ein warlord (er hatte in den mächtigen Stamm der Afschar eingeheiratet) –, gab er zunächst vor, im Namen eines safawidischen Thronanwärters zu kämpfen – so nannte er sich zunächst Tahmasp quli Khan (»Sklave des [safawidischen] Tahmasp«). Auf diese Weise gelang es ihm, eine starke Streitmacht gegen die Invasoren zu mobilisieren. 1729 wurden die Afghanen aus Isfahan vertrieben. Osmanische Versuche, Teile Aserbaidschans zu besetzen, wurden zurückgeschlagen. 1736 gab Nadir den Vorwand auf, für die safawidische Sache zu kämpfen, und ließ sich selbst zum Schah ausrufen; Nadir Khan stieg zu Nadir Schah auf.
Nadirs Herrschaft war kriegerisch geprägt. In unablässigen Feldzügen eroberte er umfangreiche Gebiete in Afghanistan und im Nordwesten Indiens. Mit den militärischen Anstrengungen freilich gingen keine Bemühungen einher, die administrativen und finanzpolitischen Grundlagen für eine neue Staatsbildung zu schaffen. Die Ausgaben für seine riesige Armee wurden mit Einnahmen gedeckt, die aus dem Volk gepresst wurden. Willkürherrschaft und exzessive Besteuerung führten schließlich zu Unruhe unter der Bevölkerung. 1747 wurde er ermordet; damit war der rasche Zerfall seines Erbes eingeleitet.
Auch die folgende Herrschaft war nur von kurzer Dauer. Aus den Machtkämpfen ging 1758 Karim Khan Zand als Herrscher hervor – nach über siebenhundertjähriger turk- oder mongolischstämmiger Herrschaft zum ersten Mal wieder ein Herrscher persischer Herkunft. Karim Khan machte Schiraz zu seiner Hauptstadt. Auch er gab vor, für einen safawidischen Prätendenten zu kämpfen. So bezeichnete er sich auch nicht als Schah, sondern lediglich als wakil (»Stellvertreter«; auch wakil ar-ra’aya, Vertreter des Volkes). Nach den unruhigen und wirtschaftlich ruinösen Jahren der Herrschaft Nadirs konzentrierte er sich auf die materielle Entwicklung des Landes. Eine maßvolle Besteuerung und die Förderung der Landwirtschaft führten zu einer spürbaren Hebung des Lebensstandards der Untertanen. Unter seiner Herrschaft kam es auch zu weiteren Kontakten mit europäischen Handelsmächten, namentlich den Niederlanden und England. Mit seinem Tod 1779 endete die kurze friedliche Epoche: Unter seinen Brüdern und Verwandten brachen Machtkämpfe aus.
Karim Khan Zand freilich war es nicht erspart geblieben, seine Herrschaft gegen innere und äußere Gegner behaupten zu müssen. Unter ihnen waren die turksprachigen Qadscharen, deren Siedlungsgebiete sich in Mazandaran im Nordosten Persiens befanden. Aus den Kämpfen um die Nachfolge Karim Khans ging Agha Muhammad Khan Qadschar als Sieger hervor. Er wurde der Gründer einer Dynastie, mit deren Namen der Eintritt Persiens in die Neuzeit verbunden ist. Nach einem Jahrhundert von Zerfall, gefolgt von kurzlebiger Neugründung der zentralen Staatsmacht begründete Muhammad Khan 1796 eine Dynastie von beachtlicher Dauerhaftigkeit. Unter ihr sollte ein tiefgreifender Wandel von Staat und Gesellschaft einsetzen.
1.3 Afghanistan – ein neuer Staat entsteht
Die Anfänge der Staatlichkeit Afghanistans gehen auf die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts zurück. Freilich, die Erhebung der Ghilzai gegen die Safawiden kann noch nicht als eine Art erster Schritt in Richtung auf die Entstehung eines eigenständigen Staatswesens auf afghanischem Territorium gewertet werden. Dies geschah erst Jahrzehnte später. Durch die Geschichte war das Land am Hindukusch, für das im 19. Jahrhundert die Bezeichnung »Afghanistan« aufkam, abwechselnd der östliche Teil der einander ablösenden Staaten auf dem Boden Persiens, bzw. der westliche Teil zentralasiatischer Reiche oder das nordwestliche Glacis von auf indischem Boden errichteten Herrschaften gewesen. Stets aber befanden sich Teile des Landes in den Händen von mächtigen und selbstständigen Stämmen und Stammesverbänden. Wie auch noch in der Gegenwart bildeten unter ihnen die Paschtunen die größte Gruppe. Die Stammeskonföderationen der Abdali in Südwestafghanistan und der Ghilzai in Südostafghanistan vereinten jeweils mehrere der großen Stämme. Sie sind überwiegend Sunniten, Paschtu ist ihre Sprache. Die zahlenmäßig zweitgrößte Volksgruppe stellten die Tadschiken. Diese Bezeichnung wird bis heute für alle Persisch sprechenden Sunniten und jene Teile der Bevölkerung verwendet, die sich keiner ethnischen Kategorie zuordnen lassen. Weitere größere Gruppen waren die turko-mongolischstämmigen schiitischen Hazara sowie Usbeken, Turkmenen und Belutschen.
Читать дальше