Corinna Griesbach (Hrsg.)
und andere verlassene Orte
Ein HALLER-Buch
Außer der Reihe 45
Corinna Griesbach (Hrsg.)
DIE ZUKUNFT
und andere verlassene Orte
Ein HALLER-Buch
Außer der Reihe 45
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© dieser Ausgabe: Juli 2020
p. machinery Michael Haitel
Titelbild: Sebastian Schwarz
Layout & Umschlaggestaltung: global:epropaganda
Lektorat: Corinna Griesbach
Korrektorat: Michael Haitel
Herstellung: global:epropaganda
Verlag: p. machinery Michael Haitel
Norderweg 31, 25887 Winnert
www. p machinery.de
ISBN der Printausgabe: 978 3 95765 197 6
ISBN dieses E-Books: 978 3 95765 889 0
In diesem E-Book sind Fotografien von Sebastian Schwarz enthalten. Sie wurden vierfarbig und in Originalgröße eingefügt, werden jedoch aus technischen Gründen in einem E-Book-Reader nur in ganz besonderen Ausnahmefällen – der E-Book-Reader ist DIN-A5-formatig oder größer; er kann Vierfarbfotos darstellen – ihre volle Wirkung entfalten. Wer neben den Geschichten auch Wert auf die Fotos legt, wird um den Kauf des gedruckten Buches nicht herumkommen. Das Buch kann im Buchhandel, im Internet oder direkt beim Verlag erworben werden. Wer direkt beim Verlag bestellt und nachweist, dass er das E-Book gekauft hat, bekommt das gedruckte Buch von uns mit 20 % Rabatt geliefert.
Vorwort | Corinna Griesbach
Im Jahr 2012 erschien die Literaturzeitschrift HALLER mit der Ausgabe 7 und dem Titel »Verlassene Orte«. Im gleichen Jahr erschien »Verlassene Orte. Ein HALLER-Taschenbuch« in der Reihe »Außer der Reihe« im Verlag p.machinery. Die Zeitschrift und das Taschenbuch zeigten Bilder aus der Lost-Places-Reihe des Aachener Fotografen Sebastian Schwarz.
Nun, acht Jahre später, freue ich mich, ein weiteres HALLER-Buch »außer der Reihe« herausgeben zu können, das sich den »verlassenen Orten« widmet, Orte auf dieser Welt, in anderen Welten, in uns und ganz nah bei uns.
Das vom Verlag gewählte Format (das nicht das gewohnte Format des HALLER ist und auch einem Taschenbuch nicht ähnlich sieht) wird den Bildern von Sebastian Schwarz in besonderer Weise gerecht. Hier stehen seine Bilder mehr als zuvor gleichberechtigt den Geschichten gegenüber.
Die neuen »verlassenen Orte« finden sich wiederum »außer der Reihe« in zwei Büchern voll Geschichten – ich mache es kurz und lade Sie zum Lesen und Schauen ein:
»Das Nirgendwo ist ein riesiger Parkplatz neben den Ruinen eines nie fertiggestellten Gewerbegebietes.«
Manfred Lafrentz
Corinna Griesbach
Monschau, Frühjahr 2020
Hamburg | Dieter Steinhäuser
Ja, nun stehe ich nach dreißig Jahren wieder hier. Hier in meiner Heimatstadt Hamburg.
Die Elbe, grau und schmutzig wie immer, sie riecht immer noch nach Ferne und Teer. Ich habe diesen Geruch immer gemocht und vermisst. Sie plätschert leise, und wenn große Pötte vorbeifahren, auch viel lauter, an die Schwimmpontons. Hier an den Landungsbrücken. Die Pontons, auf denen ich stehe und von denen aus ich in die Ferne schaue, sind immer noch grau und schaukeln langsam gemütlich hin und her. Genauso wie vor dreißig Jahren, als ich das letzte Mal hier stand.
Eigentlich wollte ich nicht wieder herkommen. Niemals, das hatte ich mir damals geschworen. Es waren sehr persönliche Gründe, die mich dazu bewogen. Aber nun bin ich wieder da, weil ich nicht anders kann. Der Tod nimmt auf Schwüre und Versprechen keine Rücksicht. Wenn der Vater stirbt, dann muss man all seine Aussagen vergessen und kommen, ob man will oder nicht. Vor allem wenn die Mutter noch da ist, alleine dasteht, Hilfe und Trost braucht, und völlig unselbstständig gehalten wurde. Von ihm. Nichts durfte sie, alles wurde ihr vorgeschrieben und von ihm gemacht, abgenommen.
Und nun steht sie da und weiß nicht weiter. Was für eine Grausamkeit von ihm.
Und meine Schwester Iris? Die lebt und arbeitet in Köln als Produktionsleiterin beim Fernsehen, konnte mal wieder nicht weg. Eine große Produktion steht an, sagte sie. Da brauchen sie mich, unbedingt.
So bin ich nun allein dran. Wie in den vergangenen Jahren immer wieder. Den Kontakt mit meinem früheren Zuhause, mit meiner Mutter und das Wiedersehen, will ich, wenn es geht, so lange wie möglich hinausschieben. Morgen ist früh genug.
Erst mal ins Hotel, dann Abendessen irgendwo. Dann telefoniere ich mit ihr und sage ihr, dass ich da bin.
Der Wind hat hier am Hafen aufgefrischt, ist wie immer stark, stärker als in anderen Städten und durchsetzt mit leichten Regentropfen. Das typische Hamburger Schmuddelwetter zur Begrüßung. Und kalt ist es geworden. Ich ziehe fröstelnd meinen Schal fester um meinen Hals. Bin diese durch alle Kleider gehende Kühle nicht mehr gewohnt.
Bevor ich gehe, schaue ich nochmals nach links und rechts über den Fluss, der träge an mir vorüberfließt. Heute nur leichte Dünung, mehr nicht. Ich will mir alles einprägen, das neue Hamburg. Links die neue Elbphilharmonie, die über allem protzig und glänzend ragt. Sieht sehr kostspielig aus, was sie auch ist. Gelesen habe ich immer darüber. Im Vordergrund davor liegt die Cap San Diego, das Museumsschiff, dann die vielen kleinen Barkassen, die im Sommer die vielen Touristen durch den Hafen schippern. Jetzt liegen sie ruhig an ihren Plätzen und warten auf schöneres Wetter. Und ganz nahe vor mir der grüne Segler Rickmer Rickmers. Schön sieht das aus. Ich fühle mich fast wieder wie zuhause.
Gegenüber auf der anderen Flussseite haben sie zwei neue Theater gebaut. Genau geradeaus. Sie sind hell beleuchtet. Hamburg hat ja viele Musicals. Hier sind sie. Dafür habe ich mich nie interessiert. Und bei meinem Blick in die andere Richtung bleibt er an den großen Kränen hängen, die sich hoch hinter der Werft Blohm und Voss im Vordergrund am Horizont in Reih und Glied aufgestellt haben. Hamburg ist fleißig. Ganz weit hinten, fast da, wo die Elbe schon in die Nordsee mündet, sehe ich noch ein großes rotes Haus hervorragen, eine Senioreneinrichtung für betuchte Leute. Mein Herz klopft laut und ich bin berührt, ob ich will oder nicht.
Dann wende ich mich ab, betrete vorsichtig die stark befahrene Straße vor der U-Bahn-Station. Ich suche ein Taxi. Es dauert auch nicht lange, dann sitze ich in einem Wagen. Ein Türke fährt mich. Ich sage mein Ziel und los geht die Fahrt. Ich fahre durch ein inzwischen dunkler werdendes Hamburg. Vieles erkenne ich nicht wieder, neue Gebäude und Häuser, anderes wiederum ist noch genauso, wie ich es noch kenne. Alles ist hell erleuchtet. Die Fahrt dauert nicht lange. Ich bezahle und trete in eine neue Welt.
Hauptbahnhof. Oh, was für ein Treiben. Was für ein Krach. Menschen hasten mit und ohne Koffer hin und her und wollen zu ihren Zügen.
Heute früh bin ich hier mit dem Zug angekommen und war völlig irritiert. Alles war anders. Ladenpassagen, in denen Menschenmassen strömten. Ich war völlig erschlagen ob dieses Chaos. Die vielen Menschen, die hin und her liefen. Ich wurde nervös. Erst als ich nachfragte, fand ich zu meinem Hotel. Es liegt genau gegenüber des Bahnhofs. Ich habe nur mein Gepäck abgestellt. Das Zimmer war noch nicht frei. Und dann wieder los, sehen, was ich zurückgelassen habe.
Meine Stadt.
Und jetzt: Jetzt nehme ich mein Zimmer in Beschlag. Etwas aufgewühlt schließe ich leise die Zimmertür hinter mir. Endlich allein. Nur schnell frisch machen und dann etwas essen gehen. Als ich eben aus dem Taxi stieg, habe ich unten ein bekanntes Steakhaus gesehen, da werde ich hingehen. Mein Magen macht sich kurz bemerkbar. Es wird Zeit. Der Hunger.
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