Interessant bleibt die Frage, was mit nicht mehr benötigten Flächen passiert. Der aktuelle Immobilienboom könnte eine andere Nutzung attraktiv erscheinen lassen. Allerdings befinden sich nicht alle deutschen Messegelände in zentraler Citylage und zudem drückt die Anteilseigner die Sorge um die Umwegrentabilität. Die aktuelle Krise zeigt die große Abhängigkeit der Hotels, Restaurants und anderer vom Messegeschäft; hier sind erhebliche Investitionen getätigt worden. Diese „Stakeholder“ sind an der reinen physischen Präsenz möglichst vieler Messeteilnehmer interessiert, sodass Widerstände gegen Geländeverkleinerungen und Beharrungstendenzen in der Politik zu erwarten sind.
Nichtsdestotrotz wären Kommunen und Länder gut beraten, über strategische Fragestellungen – wie die Trennung von Veranstaltungsgeschäft und Geländebetrieb – nachzudenken. Das würde beim dann autonomen Veranstalter zu einer stärkeren Fokussierung auf das Kerngeschäft führen und die Diskussionen, wo man investieren soll – Gelände oder Veranstaltung – beenden. Dazu würde eine Trennung von Gelände- und Veranstaltungsgeschäft attraktive Perspektiven für Partnerschaften eröffnen.
Die Autoren Jochen Witt / Dr. Gerd Weber
Jochen Witt ist Vorsitzender der Geschäftsführung der Unternehmensberatung JWC, Köln. Vor seiner jetzigen Position war Jochen Witt von 1998 bis April 2007 Vorsitzender der Geschäftsführung der Koelnmesse. Während dieser Zeit betrieb er erfolgreich die internationale Erweiterung des Koelnmesse-Portfolios, den Ausbau des Servicegeschäfts und die Modernisierung des Messegeländes in Köln. Witt war von 1999 bis 2005 Vorsitzender des European Chapter der UFI und von Oktober 2006 bis Oktober 2007 UFI-Präsident. Vor seiner Tätigkeit bei der Koelnmesse war Witt in verschiedenen Positionen bei der BASF-Gruppe in Europa und Kanada tätig. Neben Deutschland hat Witt in Kanada, Russland, Sri Lanka und Oman gelebt.
Dr. Gerd Weber arbeitet seit Februar 2011 bei JWC. Er ist Partner und Seniorexperte für Strategie, Messeplanung, Geländeplanung und Geländeeffizienz. Zuvor war er von Januar 2000 bis Juli 2010 Geschäftsführer der Koelnmesse. Von 1991 bis 1999 arbeitete Weber als Projektmanager bei McKinsey & Co. Er studierte von 1986 bis 1990 Wirtschaftswissenschaften an der Universität St. Gallen, wo er auch von 1994 bis 1997 promovierte.
JWC ist eines der führenden Beratungsunternehmen für die globale Messe- und Kongresswirtschaft mit Standorten in Deutschland, China und Singapur. JWC bietet Beratungsdienstleistungen in den Bereichen Strategie und Geschäftsentwicklung, Preisgestaltung für Messedienstleistungen, Fusionen und Übernahmen, Planung und Bau von Veranstaltungsgeländen sowie Marktforschung. Zu den Kunden zählen Messe- und Kongressveranstalter, Verlage, Private-Equity-Gesellschaften, Dienstleister sowie Regierungen in Europa, Asien, dem Nahen Osten und Nordamerika.
VERANSTALTUNGSFORMATE
Hybrid Events – Live und Digital verschmelzen in einer spannungsgeladenen Einheit
COLJA DAMS
CEO Vok Dams Events & Live-Marketing, Wuppertal
Hybride Eventformate sind nicht neu. Durch die Covid-19-Pandemie katalysierten Entwicklungen von Digitalisierung haben Hybrid Events jedoch einen regelrechten Boost erlebt und spielen die zentrale Rolle im Live-Marketing. Während analoge und physische Live-Events vor allem durch direkten und persönlichen Kontakt und multisensuale Ansprache punkten, steht bei digitalen Formaten bisher meist die Reichweite im Fokus. Das ergibt sich vor allem daraus, dass digitale Formate in aller Regel orts- und zeitunabhängig genutzt werden und nahezu immer und überall verfügbar sind. Weitere Argumente sind Nachhaltigkeit (zum Beispiel die Reduzierung von Emissionen durch Reisen zu physischen Treffen), Effektivität und Effizienz (beispielsweise durch die Reduzierung der Reisezeit zu physischen Treffen) sowie Convenience (es ist bequemer die Veranstaltung auf dem eigenen Monitor zu verfolgen). Hybride Events und entsprechende Konzepte verbinden das Beste aus beiden Welten: Die Aspekte physischer Events (Multisensualität, persönlicher Dialog) und die Vorteile der digitalen Kommunikation (Reichweite, Nachhaltigkeit, Effektivität und Effizienz, Convenience) begegnen sich auf Augenhöhe. Als „Hybrid“ bezeichnet man etwas, das gebündelt, gekreuzt oder vermischt wird. In der Technik versteht man unter „Hybrid“ ein System, bei welchem zwei Technologien miteinander kombiniert werden. Dabei betont die vorangestellte Bezeichnung „Hybrid“ ein aus unterschiedlichen Arten oder Prozessen zusammengesetztes Ganzes. Die Besonderheit liegt darin, dass die zusammengebrachten Elemente für sich schon Lösungen darstellen, durch das Zusammenbringen aber neue erwünschte Eigenschaften entstehen können (Vgl. Wikipedia.de, Eintrag zu „hybrid“: https://de.wikipedia.org/wiki /Hybrid).
Und ebendies ist auch die Besonderheit von Hybrid Events. Es sind eben nicht nur Events, bei denen sich sowohl Live- als auch digitale Elemente finden, sondern es sind Eventformate, bei denen das Digitale mit dem physischen Vor-Ort-Erlebnis zu einem neuen Ganzen verbunden wird. Hat man in der Vergangenheit gern noch jederlei Einbindung von digitalen oder virtuellen Elementen in eine Veranstaltung, seien es Social Media-Posts oder digitale Abstimmungs-Apps, als hybrid bezeichnet, so zeigt sich heute, dass Hybrid Events weit mehr sind. Sie ermöglichen eine gleichzeitige Teilnahme vor Ort (physical attendance) und aus dem (Home-)Office (digital attendance), sie verschmelzen digitale mit Vor-Ort- und Live-Formaten zu einer neuen Einheit und ermöglichen echte Interaktionen zwischen Teilnehmenden und Veranstaltenden – unabhängig davon, ob diese physisch anwesend oder digital zugeschaltet sind. Damit haben Hybrid Events eine ganz neue Stufe in der Event-Evolution erreicht. Augenhöhe, Interaktion, Simultanität und Flexibilität sind die Kernbegriffe der neuen Hybrid Events. Durch die Kombination der unterschiedlichen Eigenschaften von „Live“ und „Digital“ lassen sich Synergien, aber auch ganz neue Veranstaltungsformte und Kommunikationsstrategien schaffen.
Auch wenn dies vielleicht zunächst einfach klingt, ist es in der Umsetzung doch ein großer und häufig unterschätzter Schritt. Hybrid Events benötigen ein Technik-Know-how, das ebenfalls als ein Hybrid zwischen IT und Eventtechnik-Expertise bezeichnet werden kann. Techniker*innen müssen die interaktiven Notwendigkeiten mit den digitalen Möglichkeiten durchdenken, entsprechende Zugänge sicherstellen, sodass eine zeitgleiche Kommunikation zwischen den Teilnehmenden vor Ort und vor den Bildschirmen ermöglicht wird. Auf dieser technischen Basis baut das Event-Konzept auf.
Legen diese technischen Voraussetzungen die Basis, so sind nun Eventspezialisten und Kommunikationsexperten gefragt. Denn ein Hybrid Event ist keine Aneinanderreihung von digitalen Format-Feuerwerken, sondern benötigt, mehr noch als ein klassisches Event, eine stringente Dramaturgie, eine smarte Storyline und durchdachte Formate. So stellt ein Hybrid Event neue und besondere Anforderungen an Eventdesigner und Konzeptioner. Hier stehen die Interaktionsmöglichkeiten und Involvierungsformate klar im Vordergrund. Ein Hybrid Event muss Augenhöhe zwischen den Teilnehmenden herstellen, egal, ob sie aus dem Homeoffice, dem Urlaubsort, dem Büro oder vor Ort teilnehmen – ihnen müssen gleichwertige Erlebnisse und Involvierungsmöglichkeiten geboten werden. Interaktion untereinander muss angeregt und ermöglicht werden, Involvement der Teilnehmenden eine aktive Auseinandersetzung mit den Kernbotschaften und Eventzielen forcieren. Dies erfordert neue Formate, neue Konzepte und ein Hybrid aus digitalen und Live-Formaten, das die Teilnehmenden immer wieder aktiviert und einbindet, sodass gar nicht erst die Gefahr aufkommt, dass sie sich als passive Empfänger*innen oder bloße Zuschauende zurücklehnen oder ablenken lassen. Das betrifft natürlich vor allen Dingen, aber nicht nur, die Teilnehmenden an den Bildschirmen, die noch mehr als die Teilnehmenden vor Ort im „Working Mode“ bleiben und nebenher von eingehenden Emails und möglichen anfallenden Arbeitsaufträgen abgelenkt werden. Daher steht das Hybrid Event immer auch ein Stückweit in Konkurrenz zu den sonstigen Anforderungen an die Teilnehmenden und muss kontinuierlich und in verschiedenen Formatangeboten stets die Bereitschaft wecken, sich auf das Event einzulassen und aktiv teilzunehmen. Teilnehmende müssen also noch stärker in das Geschehen eingebunden werden, als es sonst die Regel ist. Hybride Events stellen die Zielgruppe und deren Bedürfnisse in den Mittelpunkt. Inhalte müssen an diese Bedürfnisse angepasst sowie spannend, unterhaltsam und professionell umgesetzt werden.
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