Präsenz oft unverzichtbar
Die hybride Zukunft birgt also vielversprechende Optionen. Aber was bedeutet das für das klassische Geschäftsmodell „Aussteller finanzieren eine Messe“? Hier wird die Entwicklung stark von der jeweiligen Branche und ihrer Struktur abhängen. Zum Glück haben wir in Düsseldorf viele Messen, auf denen Maschinen und ihre Anwendungsmöglichkeiten vorgeführt werden. Solche Maschinen fertigen Aussteller teilweise eigens als Exponate für die spezielle Messesituation. Digital lassen sich die Funktionsweisen kaum abbilden. Und wer als Unternehmensentscheider viel Geld in die Hand nimmt, um eine Maschine zu erwerben, will diese zuvor auch persönlich sehen und testen. Hinzu kommt, dass Hersteller technischer Produkte gerade bei Innovationen oder einer Weltpremiere nur eine ausgewählte Klientel erreichen wollen – und nicht der weltweiten Online-Community eine Einsicht in die verbesserten Optionen ihrer Neuheit gewähren möchten. Allzu sehr beschränkte Zugänge würden dann aufwändige Registrierungsprozesse mit sich bringen, die wiederum andere negative Effekte zur Folge hätten: Wer hat schon Lust, sich fünfmal am Tag einem komplizierten Anmeldeprozedere zu unterwerfen? Zudem lassen sich die Angebote von Ausstellern physisch wesentlich leichter vergleichen als dies mit digitalen Tools möglich ist. Das alles spricht auch in Zukunft zumindest im Maschinenbereich für die Präsenzmesse als Geschäftsmodell. Dieser klassische Ansatz bietet ebenso für Messen im hochwertigen Konsumgüterbereich wie Boote, Reisemobile und Caravans gute Überlebenschancen, wenn dort regelmäßig neues Produktdesign gezeigt wird. Letztlich sind die Bedarfe der jeweiligen Branchen unterschiedlich, da muss jeder Veranstalter selbst sein Erfolgsmodell finden.
Dass in nächster Zeit neue digitale Anbieter auf den Plan treten und erfolgreich virtuelle oder hybride Veranstaltungen anbieten, erscheint unwahrscheinlich. Ihnen fehlen die entsprechenden Bausteine, mit denen etablierte Messeunternehmen als Kapital überzeugen können: Netzwerke, Daten, Branchenexpertise und Reputation. Anders als technisches Know-how lassen sich diese drei Faktoren nicht mal eben schnell erwerben oder erarbeiten. Hier besteht die große Chance für Messegesellschaften, ihren Vorsprung zu nutzen. Das wird ihnen gelingen, wenn sie bestehende Veranstaltungen mittels neuer Technologien weiterentwickeln, um den künftigen Anforderungen und Bedürfnissen zu genügen.
Ähnliches gilt auch für die Gelände deutscher Messegesellschaften, die entsprechende Fixkosten mit sich bringen. Aufgrund der Besitzverhältnisse haben deutsche Messegesellschaften jedoch die Möglichkeit, in die digitale Infrastruktur zu investieren. So können sie die oft anspruchsvollen technologischen Anforderungen von Gastveranstaltern erfüllen – und sich einen echten Wettbewerbsvorteil im Kampf um externe Veranstaltungen verschaffen. Natürlich profitieren auch die eigenen Messen davon, werden dadurch noch attraktiver für Aussteller und Besucher.
Digitale Hard- und Software
Grundsätzlich muss die Veranstaltungs-Infrastruktur digitaler werden. Und: Wenn es um Investitionen in die Messegelände geht, müssen die Veranstaltungsflächen multifunktionaler ticken, was mit veränderten Formaten zusammenhängt. In reifen und stark entwickelten Märkten werden sich Messen stärker spezialisieren und als „Special Interest“-Formate in Nischen gehen. Das muss sich auch in der Messearchitektur widerspiegeln: Es braucht Hallen, die kurzfristig ohne großen Aufwand umgebaut werden können – die sich so an die größere Variabilität der Veranstaltungsformate anpassen lassen. Neben der Infrastruktur werden auch die weicheren Faktoren davon profitieren. Mehr Digitalisierung ermöglicht zielgenauere Marketingangebote und eine bessere Effizienzmessung. Das hilft wiederum Ausstellern beim Verwirklichen ihrer Absatzziele. Der Datenschutz sollte kein Hindernis sein, hier hat sich der Optionsbutton mit einer Einverständniserklärung bewährt.
Letztlich bietet die Zukunft trotz aller Herausforderungen viele Möglichkeiten, das Erfolgsmodell Messe fortzuschreiben: Es gilt, den vertrieblichen Charakter zu stärken und hybride Chancen zu nutzen.
Der Autor Wolfram Nikolaus Diener
ist seit Juli 2020 Vorsitzender der Geschäftsführung der Messe Düsseldorf. Weitere Stationen waren:
2018 – 2020
Geschäftsführer operatives Messegeschäft, Messe Düsseldorf
2011 – 2018
Mitglied der Geschäftsführung UBM Asia (heute Informa Markets), Hongkong, stv. Geschäftsführer, verantwortlich für Messeveranstaltungen in China sowie Schmuck- und Edelsteinmessen weltweit inklusive Print- und Digitalmedien
2005 – 2011
Stv. Geschäftsführer Venetian Macau/Marina Bay Sands Singapore
Betrieb des Messe- und Kongresszentrums, Messe- und Sonderveranstaltungen, Hotel-Logistik
2001 – 2005
Geschäftsführer Shanghai New International Expo Centre, SNIEC
(Deutsch-Chinesisches Joint Venture unter Beteiligung der Messe Düsseldorf)
1997 – 2001
Geschäftsführer für Asien, Messe Frankfurt (H.K.)
1992 – 1997
Objektleiter Ausland, Hamburg Messe- und Congress
1991
Betriebsleiter Gastronomie und Veranstaltungen, Landesgartenschau Baden-Württemberg, Pforzheim
Die Antworten auf Veränderungen: Wohin entwickeln sich Messeformate?
KAI HATTENDORF
Geschäftsführer des Weltmesseverbandes UFI
Lange Erfolgsgeschichte
Die Messewirtschaft blickt auf eine sehr lange Erfolgsgeschichte zurück. Sie hat ihre Veranstaltungsformate über viele Jahrzehnte immer wieder an veränderte Bedürfnisse von Angebot und Nachfrage anpassen können. Auch auf Krisen wurde schnell reagiert. So sind in der Folge von 9/11 zügig Sicherheitskonzepte entwickelt und umgesetzt worden. Die aktuelle Corona-Krise führt dazu, dass Messen zudem hygienisch sicherer sind. Durch diese schnellen Reaktionen sind ein paar neue To-do-Elemente auf der Checkliste hinzugekommen, ohne dass sich Messen systemisch verändert haben.
Mittelfristige Megatrends
Wenn die Auswirkungen der Pandemie überwunden sind, werden mittelfristig die Megatrends „Globalisierung“ und „Digitalisierung“ wieder in den Fokus rücken – Covid-19 beschleunigt dabei die Entwicklungen. Schauen wir zunächst auf die Globalisierung: Ab dem Ende der Achtzigerjahre des letzten Jahrhunderts ging es lange Zeit nur in eine Richtung. Gut 25 Jahre lang haben sich Märkte geöffnet, es wurden Handelsschranken abgebaut. In den letzten fünf Jahren hat sich dieser Prozess verlangsamt, teilweise sogar rückentwickelt – Nationalismus und Protektionismus haben zugenommen, wie der jüngste Handelsstreit zwischen den USA und China zeigt.
Automatisch stellt sich da die Frage, ob die Globalisierung ihren Zenit mit ihren maximalen Auswirkungen erreicht oder überschritten hat. Kommt es zu einer Renationalisierung und/oder verändert sich der Prozess der Globalisierung? Letzteres könnte das Ergebnis aus den während der Covid-19-Krise gewonnenen Erfahrungen sein. Exemplarisch lassen sich hier die Lieferketten im Pharmabereich anfügen, die wahrscheinlich partiell neu überdacht werden. Im Messebereich dürfte sich das klassische Modell „eine Leitmesse für jede Branche weltweit“ verändern – hin zu mehr kontinentalen Leitmessen: Das heißt, dass es in jeder Branche eine internationale Leitmesse auf unterschiedlichen Kontinenten gibt; zum Beispiel unter dem Dach einer Marke in Europa, Asien und Nordamerika. Dieser verstärkte Trend zur Georegionalisierung hat schon vor der Corona-Krise eingesetzt. Angesichts von anhaltenden Reisebeschränkungen dürfte er sich weiter verfestigen.
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