Peterchens Mondfahrt –
Peter Sloterdijk,
die Religion und die Theologie
Siegfried Grillmeyer ·
Erik Müller-Zähringer ·
Johanna Rahner (Hg.)
Peter Sloterdijk,
die Religion und die Theologie
Band 12 der Reihe
Veröffentlichungen der Akademie Caritas-Pirckheimer-Haus
www.cph-nuernberg.de
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹ http://dnb.d-nb.de› abrufbar.
1. Auflage 2015
© 2015 Echter Verlag GmbH, Würzburg
www.echter-verlag.deGestaltung: Hain-Team, Bad Zwischenahn ( www.hain-team.de) Coverbild: © MK2, Paris Druck und Bindung: Friedrich Pustet, Regensburg ISBN 978-3-429-03823-6 (Print) 978-3-429-04782-5 (PDF) 978-3-429-06221-7 (ePub)
Erik Müller-Zähringer
Vorwort
Erik Müller-Zähringer
Sieben für Theben
Eine kleine philosophische Heldengeschichte in der alternden Moderne
Klaus Müller
Rhetorik des Wegzauberns oder: Wahrheit, Religion und Sloterdijk
Gregor Maria Hoff
„Ein Gespenst geht um …“
Die religionskritischen Sphären des Peter Sloterdijk
Johanna Rahner
Der Garten Eden ist kein Zoo!
Warum eine genmanipulierende Anthropotechnik als Königswissenschaft der späten Moderne nicht taugt und eine aufgeklärte Theologie nottut
Martin Kirschner
Gnadentheologische „Dehnübungen“ im Menschenpark
Transformationen der Anthropotechnik unter dem Vorzeichen der größeren Liebe Gottes
Johannes Först
Metapher, Fragment und Sakrament
Peter Sloterdijks metaphorische Sprachkunst als Impuls für eine sakramentale Daseinshermeneutik
Siegfried Grillmeyer
Fragen der Zeit: Eine Neuverortung der Theologie
Nachwort des Herausgebers der Reihe
Die Autorin und die Autoren
Eine Mondfahrt 1ist eine ernste Sache. Sie ist ein Ausgriff auf die Transzendenz – mit hilfreicher Unterstützung der Naturkräfte. Den Seefahrten der Neuzeit vergleichbar, ist sie Sinnbild einer Moderne, die nicht zuletzt Gott den Himmel zunehmend entzogen hat. Sinnbild einer Moderne auch, deren riskante Aus- und Auffahrt unsanft enden könnte.
Peter Sloterdijk ist ein ernst(zunehmend)er Philosoph? Für ihn „sind die frühen Seefahrten vergleichbar dem, was man Transzendenz, ein Hinübergleiten in höhere Sphären, nennt. […] Meine Gedankenflüge, meine philosophischen See- und Raumfahrten sind Alternativen zu den Bodenkämpfen meiner Kollegen.“ 2Für manche schwebt seine fröhliche Wissenschaft in Sphären, in denen nichts als dünne Luft, darin gar manche Blase zu finden ist. Andere schätzen seine zeitdiagnostischen Analysen jener Aus- und Übergriffe des in ‚Vertikalspannung‘ existierenden modernen Menschen, der sich nicht nur nach der Decke streckt, sondern gegen die Deckelung selbst revoltiert. Ausgriffe und Übergriffe sind oft auch sie selbst: Sloterdijks sprachliche Salti und gedankliche Aeronautik, für manche Missgriffe, auf alle Fälle keine weichen Schaumteppiche für abstürzende Akrobaten der Moderne, aber auch keine kantigen Argumentationen, sondern eher schwammartige Gebilde, die dennoch provozieren.
Wie hält es der Sphärenforscher Sloterdijk mit der Religion? Welche Herausforderungen und Anstöße hält er für die Theologie bereit? In diesem Band geben eine katholische Theologin und fünf katholische Theologen aus verschiedenen Perspektiven eine Antwort. Es geht dabei immer auch um die Fragen der Zeit, um die hoffnungsvollen Ausfahrten der Neuzeit bzw. Moderne: Enden sie im Eismeer? Es geht um unsere Mondfahrten: Enden sie als Bruchlandung?
Dass die Hoffnungen auf Erscheinen dieses Buches nicht im Eismeer verschollen sind, dieses Verdienst gebührt allen, die daran mitgewirkt haben: der Autorin und den Autoren, jenen, die in verschiedenen Korrekturstufen das Buch begleitet haben, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Echter Verlags und der katholischen Akademie der Erzdiözese Bamberg und des Jesuitenordens Caritas-Pirckheimer-Haus in Nürnberg. Von Herzen Dank für die schönen Stunden der gemeinsamen Arbeit an diesem Buch!
Zierenberg, am Hochfest der Erwählung Mariens 2014
Erik Müller-Zähringer
1G. von Bassewitz’ Märchen gab über die Jahre schon oft die Formulierung für eine Auseinandersetzung mit P. Sloterdijk vor: vgl. z. B. U. Holbein, Peterchens Mondfahrt , in: Der Spiegel 42/1993 ( http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-9289217.html; abgerufen am 17. 5. 2014); A. Platthaus, Peterchens Mondfahrt . Fährmann, ahoi: Käpt’n Sloterdijk bezwingt den Weltinnenraum, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung 63/2005 ( http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/sachbuch/peterchens-mondfahrt-1215038.html; abgerufen am 17. 5. 2014); vgl. auch H.-J. Heinrichs, Peter Sloterdijk. Die Kunst des Philosophierens , München 2011, 173 f.
2So legt es ihm H.-J. Heinrichs in seinem fiktiven Interview in den Mund: Fiction: P. Sloterdijk trifft Kapitän Nemo und den Seefahrer Ismael , in: M. Jongen u. a. (Hrsg.), Die Vermessung des Ungeheuren. Philosophie nach Peter Sloterdijk , München 2009, 16 f. „In diesem Sinn wird der Philosoph zu einem Astronauten des Denkens und der psychischen Innen-Räume . Und in der Tat: Dem Leser von Peter Sloterdijks Büchern geht es noch am ehesten wie dem Zuschauer, der die luftigen Bewegungen der Astronauten in der Weltraumkapsel verfolgt, wie sie die menschlichen Lebensmöglichkeiten in einen größeren Raum ausweiten“ (H.-J. Heinrichs, Peter Sloterdijk , 17 f.; vgl. zu diesem Motiv ferner ebd., 10 f.21 f.). Vgl. auch Sloterdijks Beschreibung des ‚wachen Lebens‘ als ein „meteorisches Phänomen“: „Der Mensch ist ein denkender Meteorit“ (P. Sloterdijk, Der Zauberbaum. Die Entstehung der Psychoanalyse im Jahr 1785. Ein epischer Versuch zur Philosophie der Psychologie , Frankfurt a. M. 1987, 282).
Erik Müller-Zähringer
Sieben für Theben
Eine kleine philosophische Heldengeschichte in der alternden Moderne
Jede Zeit hat ihre Helden, und Helden haben ihre Zeit – gerade die klassischen. Auch die Philosophie, die an der Zeit ist, hat ihre Helden. Frei nach Fichte: Was für einen Helden man wählt, hängt davon ab, in was für einer Zeit man lebt. Helden werden aus der Not geboren, und unterschiedliche Nöte fordern unterschiedliche Helden – das gilt auch für Erklärungsnöte.
Im Helden legieren sich die allgemeinen Signaturen einer Zeit mit höchst individuellen Zügen 1in der Spannungseinheit von kraftvoller Tat und verhängtem Schicksal.
Die Neuzeit wähnte den Einzelnen frei im Kampf gegen die Schimären des Schicksals; sie entdeckte, beschwor und verherrlichte seine Handlungsmacht bis zu ihrer Vergötzung. Die Moderne erhob das Schicksal zum Projekt der einen Menschheit, zum Projekt der Geschichte des Kollektivsubjekts Mensch; Aufklärung war ihr Weg. Aufklärung als Entlarvung aller Mächte, die als unverfügbar galten, im Interesse ihrer Beherrschbarkeit. Frei nach Camus: Es gibt kein Schicksal, das durch Entlarvung nicht in unsere Hände gelegt werden kann; ja, Aufklärung sucht fürwahr „aus dem Schicksal eine menschliche Angelegenheit [zu machen], die unter Menschen geregelt werden muß.“ 2Doch mit dem Altern von Neuzeit und Moderne reift die Erkenntnis: Allen Entlarvungen zum Trotz behauptet sich das Schicksal mit Macht; auch selbstverschuldet, selbstgewebt ist es unverfügbar. Mehr noch: „Wir gehören nicht mehr zu jenem Geschlecht der tragischen Helden, die, nachträglich jedenfalls, zu erfahren hatten, daß sie sich selbst ihr Schicksal bereitet hatten. Wir wissen es schon vorher.“ 3
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