„Na, damit hätten wir’s ja”, befand die Fee. „Warum versteckst du dich? Kein Grund, sich zu fürchten – beim Zaubern brauche ich immer drei Versuche.”
Patrick zwängte sich zwischen Wand und Sessellehne hervor und sah sich im Zimmer um. Die Unordnung war grauenhaft. Nicht, dass ihm das viel ausgemacht hätte – Riesenroboter richteten in Großstädten Schlimmeres an -, aber er wusste genau, dass man dafür ihn verantwortlich machen würde; schließlich hatte er sich als Einziger am Tatort aufgehalten. Oder sollte er etwa zu seiner Mutter sagen: „Ich war das nicht, das war die blöde Fee da.”? Wie sollte er überhaupt die Anwesenheit dieses ungebetenen Gastes erklären? Er hatte das sichere Gefühl, bei einer solchen Auseinandersetzung auf der Verliererseite zu landen. Deswegen sagte er: „Los, bringen Sie das schnell wieder in Ordnung!”
Der Kater Dr. Katz bestätigte diese Aufforderung mit einem energischen „Mrrau!”
Die Fee sah Patrick mit großen Augen an. „Wovon redest du?”
„Na, das Zimmer hier!” Patrick wies mit ausladender Gebärde auf das Chaos. „Sie haben die ganze Einrichtung durcheinandergebracht!”
„Ach, das meinst du. Ist das so schlimm?”
„Wenn meine Mutter das sieht, macht sie Hackfleisch aus mir!”
„Nun übertreib mal nicht, mein Junge. Aber bitte, wenn du soviel Wert darauf legst – das ist überhaupt kein Problem!”
Die Fee hob die Arme und ließ einen gelben Funkenregen über sämtliche Möbelstücke niedergehen. Die Möbel schwirrten um Patrick herum und wechselten die Plätze wie in einer Zeitrafferszene. Schleunigst wich er aus, als der Schrank an ihm vorüberrumpelte, und er ging gerade noch rechtzeitig in die Knie, als das Sofa dicht über seinem Kopf hinwegschoss. Anschließend sah das Zimmer tatsächlich vollkommen anders aus.
Patrick stöhnte, als er die Veränderungen begutachtete, die die Fee vorgenommen hatte. Der Schrank stand mitten im Raum, dort, wo sonst das Sofa gewesen war. Obendrauf hockte mit entsetztem Blick Dr. Katz. Das Sofa versperrte die Tür. Der Sessel stand in einer Zimmerecke. Der Teppich lag schief auf dem Boden und der Fernseher … – Um Himmels willen, wo war der Fernseher??? Panik ergriff Patrick, als er versuchte, aus der Tonkulisse von Revolverschüssen und dramatischer Musik auf den Standort des Apparates zu schließen. Verwirrt blickte er sich um. Da! Auf dem schmalen Fensterbrett stand der Fernseher, etwas kipplig, wie Patrick mit Schrecken feststellte. Der Bildschirm war nach draußen gerichtet und Patrick konnte erkennen, wie die Krähe in der Luft flatterte und das Fernsehprogramm verfolgte. Vielleicht holte sie sich ein paar Anregungen fürs nächste Kampfgetümmel.
Ein Klopfen ertönte. Woher? Patrick fixierte den Schrank in der Zimmermitte. Ein, zwei Schritte darauf zu und er konnte die Schranktür öffnen.
„Hab’ mich wohl aus Versehen hier eingezaubert”, murmelte die Fee und trat aus dem Schrank. Dann sah sie sich im Zimmer um. „Und, zufrieden?”
Zuerst wusste Patrick nicht, was er entgegnen sollte. Wie oft hatte er seine Mama sagen hören: „Wir müssten mal das Wohnzimmer neu einrichten.” Ob sie sich das so vorgestellt hatte? Er brachte nur ein mühsames Krächzen heraus. „Das … ist … völ-… völlig verkehrt!…”
„Findest du?“ Die Fee blickte noch einmal über die eigenwillige Anordnung. „Also, ich bin der Meinung, es sieht aufgelockerter als vorher aus. Schon gut”, rief sie hastig, als Patrick zu einer wütenden Erwiderung ansetzte, „ich kann ja noch einen Versuch machen. Wie die hochverehrte Feenfürstin so trefflich zu sagen pflegt: Man soll das Eisen schmieden, solange es nicht in den Brunnen gefallen ist.”
„Seien Sie vor allem vorsichtig mit dem Fernseher!”, mahnte Patrick, während er versuchte, Deckung zu finden. Er warf einen besorgten Blick auf den Apparat, der jeden Moment vom Fensterbrett zu kippen drohte. Die Krähe war begeistert von dem Spektakel, das der Bildschirm ihr bot.
Die Fee verkündete: „Ein kniffliger Fall. Ich werde wohl zu blauer Magie greifen müssen!” Und mit diesen Worten hob sie die Arme, holte tief Luft und entließ aus ihren Händen Ströme von strahlend blauen Funken, die durchs Zimmer sausten und alles darin Befindliche umfassten. Das Flimmern war kaum auszuhalten. Patrick duckte sich, zog den Kopf zwischen die Schultern und hielt die Luft an. Er hoffte sehnsüchtig, dass dieser Zaubersturm bald vorübergehen möge. Doch Minute um Minute toste der Wirbelwind aus Königsblau, Türkis, Blauviolett und Ultramarin und erfasste Möbelstück um Möbelstück. Patrick hatte das Gefühl, als flöge ihm die ganze Welt um die Ohren.
Auf einmal: Stille.
Patrick wartete ein paar Sekunden.
Dann öffnete er ein Auge.
Dann das andere.
Er tat einen tiefen Atemzug und wagte dann, das Zimmer in Augenschein zu nehmen.
Das Sofa lümmelte im Fernsehsessel. Der Teppich hing vorm Fenster. Am Teppich hing festgekrallt Dr. Katz. Der Schrank stand kopfüber vor der Tür, seine vier kurzen Holzbeine ragten in die Luft. Auf jedem Bein stand sorgfältig platziert ein Kakteentopf. Über Patrick erklangen die Worte: „Mensch, Leute, das ist ja vielleicht ’n Ding!” Patrick hob den Kopf. An der Zimmerdecke klebte der Fernseher. Er strahlte eine sicherlich irrsinnig spannende Folge von „Chefinspektor Hopkins ermittelt” von der Decke und Patrick dachte einen Moment lang, dass es doch sehr angenehm sein könnte, sich einfach auf den Fußboden zu legen und die Berieselung von oben in bequemer Lage zu genießen. Doch was würden Mama und Vati dazu sagen?
Neben ihm stand die Fee. „Das war ziemlich schwierig”, behauptete sie.
Patrick glaubte ihr aufs Wort.
„Ich hasse es, blaue Magie anzuwenden”, nörgelte die Fee und verzog dabei das Gesicht. „Aber ich hoffe, du bist jetzt endlich zufrieden.”
Patrick setzte zu einer Antwort an, als es an der Zimmertür klopfte. Das Geräusch war nur gedämpft zu vernehmen, weil der Schrank vor der Tür stand, aber Patrick war sofort alarmiert. So klopften nur Mütter!
„Patrick, was ist denn da drin los? Probst du den Weltuntergang?”
Patrick machte seiner Mutter in Gedanken ein Kompliment; so weit war sie gar nicht von der Wahrheit entfernt. Aber dann rief er nur: „Mach dir keine Sorgen, Mama!”
„Was hast du gesagt?”
Patrick riss die Schranktür auf und brüllte die durcheinandergepurzelten Servietten und Tischtücher an: „Mach dir keine Sorgen! Ich habe alles unter Kontrolle!”
Das anschließende fünfsekündige Schweigen zeigte Patrick, dass seine Mutter sich jetzt erst recht Sorgen machte. „Was genau hast du unter Kontrolle, Patrick?”, erkundigte sie sich argwöhnisch.
Patrick blickte sich hilflos im verwahrlosten Zimmer um. „Äh, alles, ja, einfach alles, Mama!…”
„Was hast du gesagt?”
„Alles, was du willst, Mama!”, rief Patrick in den Schrank.
„Patrick. Ich gebe dir fünf Minuten, dann komme ich rein, und dann werden wir beide -”
Patrick warf die Schranktür zu. Seine Augen suchten die Fee und fanden sie am Fenster, wo sie und die Krähe sich ein Duell aus wilden Blicken lieferten.
„Bringen Sie das Zimmer wieder in Ordnung!”
Die Fee wandte sich um. „Noch mehr Ordnung?”
„Die ursprüngliche Ordnung!”, verlangte Patrick.
„Tja … Leider kann ich mich inzwischen nicht mehr so genau erinnern, wie … Hast du vielleicht ein Foto von eurem Wohnzimmer?”
Patrick lief rot an vor Wut. „Nein! Ich wusste nicht, dass ich jemals eins brauchen würde!”
„Dann weiß ich leider nicht, wie ich -”
„Versuchen Sie’s doch mit roter Magie!”, unterbrach Patrick.
Die Fee hob ruckartig den Kopf. Ihr Blick stach Patrick in die Augen. „Was weißt du von roter Magie?”, herrschte sie ihn an.
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