Dass Commander Mavis nicht mehr bei ihnen war, hatte Matu längst erkannt. Zumindest glaubte er, dass sie ihn verloren hatten, genauso, wie das zweite Monster, denn eben mal stehenbleiben, um durch zu schnaufen und einen sinnvollen und ruhigen Blick nach hinten zu tun, war ganz sicher nicht drin.
Matu erinnerte sich daran, dass er einen jungen Mann gesehen hatte und auch zwei Kinder. Wo sie hergekommen waren, konnte er nicht sagen, nur, dass sie plötzlich neben Mavis auftauchten, als irgendjemand auf diesen unsäglichen Ast getreten und die beiden Insektenmonstren auf sie aufmerksam gemacht hatte. Von da an tobte die Hölle hinter ihnen und ihnen blieb nur die Flucht.
In den ersten Momenten war Mavis auch noch hinter ihnen gewesen, doch dann war er plötzlich nicht mehr zu sehen.
Matu hoffte, der Commander hatte ihren Jägern auf andere Art entkommen können, glauben tat er es jedoch nicht.
Aber Zeit für Trauer oder Sorge hatte er jetzt ganz sicher nicht, denn noch immer war auch ihr Leben in höchster Gefahr.
Allmählich spürte Matu jedoch, wie seine Kräfte schwanden. Er musste viel öfter husten, der Schweiß rann in Strömen in sein Gesicht, brannte in den Augen, sein ganzer Körper schien zu glühen und ihm wurde ein ums andere Mal übel. Allzu lang, dessen war er sicher, würde er nicht mehr durchhalten.
Plötzlich hörte er hinter sich das wütende Brüllen der Insektenbestie, sofort danach stürzten mindestens zwei Bäume um, dann aber quiekte das Monstrum auf, ein tiefer, dumpfer und sehr heftiger Schlag war zu hören, der den Boden vibrieren ließ, wieder quiekte die Bestie auf, dann ertönte ein heftiges Poltern, dem mehrere weitere Bäume zum Opfer fielen und das Brüllen ihres Verfolgers entfernte sich schlagartig bergab.
Instinktiv blieb Matu stehen und erkannte, dass auch Tibak und Buras sich umgewandt hatten. Während der Captain mehrmals tief durchatmete, erbrach der Sergeant seinen Mageninhalt.
Dabei starrten sie alle in die Tiefe, wo sie im Halbdunkel die monströse Kreatur ausmachen konnten, wie sie den Abhang hinabstürzte.
„Verdammte Kacke!“ stieß Buras atemlos hervor, noch während ihm Schleim aus dem Mund floss. „Das war haarscharf!“
Tibak nickte. „Ich bin vollkommen alle!“
„Wo ist Commander Mavis?“ fragte Matu wild nach Luft ringend.
Tibak zuckte die Schultern. „Ich habe ihn bei den Kindern gesehen. Dann war das zweite Monster weg und er auch. Keine Ahnung, wo er jetzt ist!“
„Jedenfalls nicht hier, verdammt!“ stöhnte Buras.
„Dann müssen wir ihn suchen!“ rief Matu, doch war es mehr ein Flehen, denn eine überzeugte Meinung.
In diesem Moment aber ertönte von weiter unterhalb der Böschung wieder ein bösartiges Brüllen und nur einen Augenblick später begann das altvertraute Stampfen der mächtigen Beine des Insektenuntiers, die deutlich zeigten, dass die Bestie den Sturz nicht nur überlebt hatte, sondern auch die Jagd nicht aufgeben wollte und dabei offensichtlich weitaus wütender war, als noch zuvor.
Als Tibak das hörte, schüttelte er den Kopf. „Wohl kaum!“ Er brummte verächtlich angesichts des nahenden Ungetüms. „Wir sind noch nicht aus dem Schneider und müssen erst mal selber sehen, wie wir klarkommen!“ Er schaute zu Buras, der ihm zunickte, dann zu Matu.
Der Pater rang mit sich und seinen Gefühlen, doch letztlich war klar, dass Tibak Recht hatte. Ihnen blieb nach wie vor nur die Flucht. Also nickte auch er.
Tibak atmete daraufhin tief ein und streckte seinen Körper ganz durch, während er die Brust weit herausstreckte. „Dann ab!“
Einen Moment später hasteten die drei Männer wieder den Abhang hinauf, während ihnen allen bewusst war, dass sie keinesfalls genügend Zeit zum Verschnaufen gehabt hatten, um genügend Kräfte für eine weitere, längere Flucht zu sammeln. Wenn sie nicht bald den Gipfel erreichten, würden sie ihrem Gegner nicht mehr entkommen können.
*
Er hatte absolut keine Ahnung mehr, wo er war, so oft hatten sie Hacken geschlagen und ihre Laufrichtung geändert.
Wann immer sie das taten, konnten sie die Bestie in ihrem Nacken etwas mehr auf Distanz halten, doch auf gerader Strecke holte sie regelmäßig wieder auf, sodass sie weder in ihrem Tempo, noch in ihrer Aufmerksamkeit nachlassen durften.
Mavis spürte aber, dass seine Kräfte nachließen und er wäre am liebsten stehengeblieben und hätte sich seinem Schicksal ergeben, wenn da nicht die Tatsache gewesen wäre, dass der Junge vor ihm nicht einfach nur wahllos durch den Dschungel rannte, sondern der Commander das Gefühl nicht loswurde, dass er trotz all der wilden Richtungsänderungen dennoch ein bestimmtes Ziel ansteuerte.
Aber viel wahrscheinlicher war, dass Mavis sich das alles nur wünschte, damit ihre Hetzjagd nicht umsonst war, denn dem Monstrum hier zu entkommen war absolut aussichtslos.
Wenn der Junge also nicht noch ein Ass - in welcher Form auch immer – im Ärmel hatte, dann würde ihre Flucht schon sehr bald ein schreckliches Ende finden.
Doch kaum hatte er diesen Gedanken ausgedacht, da musste er sich schon wieder aufs Äußerste konzentrieren, weil der Junge vor ihm einen scharfen Hacken nach links schlug. Mavis tat es ihm gleich, hatte aber arge Mühe, dabei nicht gegen einen Baum zu krachen, der plötzlich vor ihm auftauchte. Instinktiv drückte er seine rechte Schulter nach vorn und schrammte an ihr am Stamm entlang. Mavis spürte den Schmerz, doch zwang er sich, ihn zu unterdrücken. Schon zuckte der Junge nach rechts weg. Mavis folgte ihm. Keine fünf Meter später folgte eine Richtungsänderung nach links, dann wieder links, rechts, nochmal rechts und sicher auch noch ein halbes Dutzend weiterer Hacken, sodass Mavis beinahe schwindelig wurde.
Plötzlich aber tauchte ein schwarzer Schatten vor ihm. Mavis war so überrascht, dass er kurz aufschrie und Mühe hatte, ihn nicht umzurennen. Es gelang ihm gerade so, ihm auszuweichen und ebenfalls abzustoppen. Er erkannte den Schatten als den Jungen, der ihn scheinbar gar nicht weiter beachtete – abgesehen von der Tatsache, dass er wieder seinen rechten Zeigefinger auf den Mund gelegt hatte zum Zeichen, dass er still sein sollte – und ansonsten nur starr in die Richtung schaute, aus der sie gekommen waren.
Mavis war vollkommen verwirrt und konnte im ersten Moment nichts Anderes tun, als mehrmals tief durchzuatmen. Dann kam ihm der Gedanke, der Junge sei verrückt geworden, denn was bitte schön erwartete er denn zu sehen oder zu hören? Bis er plötzlich erkannte, dass er tatsächlich nichts mehr hörte, besser gesagt, nur noch ein entferntes Brüllen und Stampfen, das in der nächsten Sekunde vollkommen verstummte. Unsicher schaute er den Jungen an, der sich jedoch noch einige Momente lang nicht bewegte, bevor er sich sichtbar entspannte und tief durchatmete. „Alles okay?“ fragte er dann Mavis und warf ihm einen düsteren Blick zu.
Der Commander nickte.
„Dann weiter!“ Der Junge setzte sich wieder in Bewegung. „Aber leise!“ mahnte er noch, dann rannte er halb geduckt durch den Dschungel.
Mavis hätte sich gern noch etwas ausgeruht und ihm einige tausend Fragen stellen wollen, doch beschloss er, dem Jungen weiterhin zu vertrauen und ihm stumm zu folgen.
*
„Cosco?“ Tibak hatte den Kommunikator zur Hand genommen, als sie den Gipfel der Anhöhe fast erreicht hatten. Da sie noch immer ein höllisches Tempo vorlegten – vorlegen mussten – hatte er kaum genug Atem, um zu sprechen, daher beschränkte er sich auf kurze, abgekackte Worte. „Captain?“ Doch noch immer bekam er keinerlei Antwort, was ihn zu einem gestressten Stöhnen veranlasste. „Verdammt!“
Dann war da wieder das bösartige Brüllen der Bestie und Tibak musste entsetzt erkennen, dass sie dabei war, mächtig auszuholen.
Mitten hinein aber ertönte die Stimme des Captains. „Ja, hier Cosco?“
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