1 ...6 7 8 10 11 12 ...19 Er beobachtete sie für eine Weile, versuchte sie zu ergründen. Sinnlos, so dachte er. Diese junge Matrone war ihm im Moment überlegen und konnte tun und lassen was sie wollte. Er musste einfach antworten.
Mit zuerst brüchiger, dann gefasster Stimme sprach er: „Ja... Einen Geächteten ohne Namen seht ihr vor euch, einer, der dem Schattenreich gerade wohl näher ist als diesem. Gebrochen und in meinem Blut liege ich vor euch. Als eine von Ardas mächtigen Töchtern könnt ihr mit mir als Ausgestoßenen verfahren wie ihr wollt. Gerade jetzt habt ihr leichtes Spiel, aber seid gewiss, ich werde meine Klaue so lange gegen meine Feinde erheben, so lange ich es auch nur irgendwie vermag! Tut, was ihr tun müsst, aber verschont mich mit Geschwätz und sinnlosen Fragen.“
Sie ging überhaupt nicht auf seine Worte ein, sondern trat auf ihn zu und ging vor ihm in die Hocke. Abfällig blickte sie auf Glassplitter neben dem Baum. Sie rümpfte die Nase ob des starken Geruchs von Alkohol. Eine leise Scham stieg unerwartet in ihm hoch.
Sie sagte: „Ihr sauft gebranntes Gift, verschwendet euch bei der Jagd. Ihr heilt schlecht. Ihr riecht nicht mehr nach Wolf, sondern stinkt nach dreckigen, verwundetem und dahin siechendem Mensch. Aber ich weiß, ihr seid schon zu lange fort, verstoßen von Vater und Bruder, weit weg von der Heimat, abgeschnitten von den Geistern. Dies macht euch schwach. Aber ich fühle, dass ihr euch aufzugeben wagt. Ihr werdet wohl die eigentliche Schande darin erkennen können.“
Die junge Matrone unterstrich das Gesagte mit harter Miene, dann setzte sie fort: „Ein paar Stunden habt ihr noch, dann ist es für euch entschieden. Wenn ihr kämpft, könntet ihr es überleben. Wir sind alle die Werkzeuge der Allmutter. So oder so. Also, was jetzt Geächteter?“
Erneut ein sanft lächelnder Mund. Es wirkte zuerst beruhigend, was er nicht ganz verstehen konnte, aber dann stieg zunehmender Zorn in ihm hoch, dass sie weiterhin mit ihm spielte, mit Spott und Wahrheit so begegnete.
„Genug!“, bellte er laut, „Greift an oder verzieht euch, Weib!“
Ehe er mit knurrender Ankündigung noch mehr sagen konnte, sprach sie im beruhigenden Ton: „Ich bin nicht euer Feind. Ich werde euch nicht verletzen oder gar töten, ich werde euch helfen und ihr werdet mir folgen.“
Ihre Worte waren die reine Wahrheit, so war dem Geächteten sofort klar. Da erkannte er aus dem Schatten heraus ein Siegel über ihrer Brust, das kurz mit den Lichtern der Nacht glitzerte. Das silberne Haupt eines Wolfs.
So fragte er mit Verblüffung im Blick: „Wer seid ihr? Man hat euch zu mir geschickt, nicht wahr? Ihr habt mich verfolgt. Ihr wart es, die...“
Mit unterdrücktem Stöhnen brach er ab, als Schmerzen erneut seinen Leib durchfuhren.
Sie stand auf und dann antwortete sie: „Ich bin Sea Sanara, Tochter der Allmutter, Matronen-Adeptin aus dem Zirkel des Waldes der Welt und Schwester des Klans Wolf. Die Ehrwürdige Mutter Gava Meduna hat mich auf Geheiß des Großen Vaters Gorond mit einer Botschaft und einem Befehl zu euch geschickt. Hört meine Worte und hört sie wohl!“
Nach einer kurzen Pause neigte sie sich leicht nach vor, fuhr mit sanftem Klang fort: „Ich dürft wieder nach Hause, Geächteter.“
Erst nach einer Weile bemerkte er, dass er sie minutenlang mit ungläubigen Gesicht angestarrt hatte. Er konnte es nicht fassen. Er hatte in dieser Nacht mit allem gerechnet, sogar mit seinem endgültigen Untergang, aber was er nun von einer wie ihr vernahm, war eigentlich unmöglich. Kein Geächteter ist je aus dem Exil zurückgekehrt, außer vielleicht in kaum bekannten Legenden aus alter Zeit. So gut wie alle starben nach wenigen Jahren auf der Jagd durch die Hand des Feindes, durch zornige Brüder oder durch befohlene Matronen. Manche nahmen sich in schändlichster Weise sogar das Leben. Und er, er allein, sollte nun eine Ausnahme sein? Ihm sollte Gnade von seinem Gott gewährt worden sein? Wie hätte er dies jemals verdient? Unwillkürlich schüttelte er den Kopf.
„Nein...“, flüsterte der Werwolf ungläubig.
Da durchfuhr ihn die bisher schlimmste Woge des Schmerzes. Er stöhnte laut, bäumte sich auf. „Nein!“, donnerte es in seinem Innern, doch dieses Widerwort erhob sich gegen sein drohendes Ende mit neuem Lebenswillen. Mit aller Macht zwang er seinen Leib erneut zur Heilung, aber das Gift brandete wie ein todbringendes Meer stärker denn je gegen ihn. Er durfte diesen Kampf nicht verlieren. Er hatte nun allen Grund zu leben.
Sie trat mit einem schnelle Schritt auf ihn zu, kniete an seiner Seite. Sie legte die Hand auf seine Brust. Bei der plötzlichen Berührung erschrak er fast, fühlte aber sofort eine Stärkung seiner Heilkräfte. Bäche von Schweiß vermengten sich mit Blut, er zitterte heftig und wand sich mit ersticktem Knurren. Dann wurde ihm schwarz vor Augen.
Er träumte. Undeutlich und nur sehr kurz, aber zum ersten Mal seit Jahren beschritt er wieder die Pfade des reichen Schlafes. Grüne und schwarze Schemen, so nahm er wahr, entferntes Heulen von Wölfen. Schließlich erwachte er und spürte sofort, dass sich seine Wunden verschlossen hatten und das Gift neutralisiert war. Mit Hilfe von Sea Sanara war er dem möglichen Untergang entflohen. Es war in der Tat eine Gnade, die ihm in dieser Nacht zuteil geworden war.
Er richtete sich auf, betrachtete seinen deutlich vernarbten, aber nunmehr tatsächlich geheilten Körper. Zwei große rote Flecken prangten an der Stelle, wo ihn Stunden zuvor der Wereber aufgespießt hatte. Nicht einmal mehr ein Brennen, so bemerkte er.
Der Morgen dämmerte im Osten. Im Angesicht des himmlischen Orange und Violett vergaß er für einen Augenblick alle Lasten, alle Schrecknisse. Alles fühlte sich für einen Moment sehr gut an. Da blickte er auf den Lederbeutel neben dem umgefallenen Baumstamm. Das silberne Schwert blitzte. Seine Miene wurde wieder ernst und entschlossen. Er musste auf zu Taten, seinem Schwur folgend.
Sanara lag auf weichem Boden in zusammengerollter Haltung genau im Hexenkreis. Matronen taten dies in der Wildnis nicht ungern. Für den Geächteten war dies ein durchaus friedvoller Anblick. Er stand nun in ihrer Schuld. Zuerst dachte er, sie würde noch schlafen, aber dann sah er ihre halb geöffneten Augen. Sie erwiderte seinen Blick, erhob sich langsam. Sie hatte ihn die ganze Zeit, während seines Heilungsprozesses, beobachtet.
„So bricht einer neuer Tag in der Schöpfung der Allmutter an“, sprach sie mit dem Blick zur Sonne und etwas gespieltem Lächeln, „Und es ist auch ein neuer Tag für euch, Geächteter.“
„Wahrhaftig!“, rief er, „Ich lebe! Auch dank euch, was ich nicht vergessen will.“
„Es war meine Pflicht euch zu retten. Wäre es meine Pflicht gewesen euch zu töten, dann hätte ich diese mit gleicher Freude erfüllt“, sagte sie mit klarem Ernst.
„Ich verstehe“, entgegnete er ohne Zögern, „An eurer Stelle würde ich nicht anders denken. In bin ein Geächteter, aber ich habe unsere Gesetze nicht vergessen. Das Gebot des Gottes geht über alles.“
„In der Tat. Ihr ehrt also noch, was heilig ist?“
„Ja, ja das tue ich“, Ohne weitere Umschweife setzte er fort: „Also, was für einen Befehl habt ihr nun? Ich will euch nach Hause folgen, aber sagt zuerst, was die Botschaft des Großen Vaters Wolf an mich ist.“
Zuerst antwortete sie nicht, sondern blickte kurz gen Himmel, dann sah sie sich im Wald um. Sie schloss die Augen und konzentrierte sich.
Dann sagte die junge Matrone: „Nicht hier, Geächteter. Wir haben bereits viel an Zeit verloren. Wir sollten sofort aufbrechen.“
„Nein“, widersprach er nicht ohne Schärfe, „Ehe wir diese elende Provinz hinter uns lassen, gilt es für mich zuerst noch eine Sache zu tun. Die Jagd hat ist noch nicht ganz beendet.“
„Narr! Ihr wollt also doch noch den Anführer des Gefallenen Rudels zur Strecke bringen? Wir haben keine Zeit dafür! Er ist noch weiter gen Osten gezogen, in das Land der Feinde, aber wir müssen rasch gen Westen. Was glaubt ihr denn, weshalb der von euch erlegte Lakai der Verderbnis verwundet und vergiftet war?“
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