Paul D. Peters
Der Vater der Wölfe
Die Legenden der Wilden Götter - Band 1
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Inhaltsverzeichnis
Titel Paul D. Peters Der Vater der Wölfe Die Legenden der Wilden Götter - Band 1 Dieses ebook wurde erstellt bei
Prolog
Kapitel 1 - Der Geächtete
Kapitel 2 - Die Schwester der Wölfe
Kapitel 3 - Die Wahl der Wanderer
Kapitel 4 - Begegnungen unter dem Mond
Kapitel 5 - Ein Geheimnis für die Katzen
Kapitel 6 - Jäger der Plage
Kapitel 7 - Auf der Straße der Sterblichen
Kapitel 8 - Die Domäne von Mauer und Gasse
Kapitel 9 - Ein Gastmahl für Erwachte
Kapitel 10 - Köpfe für die Ordnung
Kapitel 11 - Vergessene Offenbarungen
Kapitel 12 - Der gefiederte Bruder
Kapitel 13 - Die guten Geschichten
Kapitel 14 - Im Schatten der Berge
Kapitel 15 - Das andere Reich
Kapitel 16 - Der Untergang des Himmels
Kapitel 17 - Die Rückkehr der Vergangenen
Kapitel 18 - Das Imperium der Wölfe
Kapitel 19 - Der Geächtete und die Herrin
Kapitel 20 - Der Vater und sein Name
Kapitel 21 -Das Fest
Kapitel 22 - Die Wahl der Neun
Kapitel 23 - Die Dämmerwanderer
Kapitel 24 - Die Schlacht am Weltenbaum
Epilog
Danksagung
Impressum neobooks
„ Dem Wolfe folgt ein wildes Heer.“
~ Wolfgang Golther, Handbuch der Germanischen Mythologie
„Was gut ist, wird oft vergessen. Was übel ist, liegt oft verborgen.“
~ Altes norwegisches Sprichwort
„ A wolfI considered myself
But the owls are hootingand the nightI fear.“
~ Traumgesang der Sioux
Die Nacht brach herein über den Wald der Welt. Die Dämmerung, die noch für eine flüchtige Weile das Land in das Rot des Abends tauchte, wich, als der Mond und die Sterne mit Schwärze den Himmel eroberten. Kühle ergriff das Land. Die Nebel des beginnenden Herbstes krochen in Schlieren herbei. Gerüche und Geräusche wandelten sich. Das Flüstern in den Blättern wurde mit den Winden aus dem Norden lauter und die nun erwachten Tiere begrüßten ihre Zeit der Dunkelheit.
Scheinbar endlos erstreckte sich der schier gewaltige Wald, der nur im Süden von kaum noch sichtbaren Gebirgsketten begrenzt wurde. Ein Ozean aus Bäumen, der in seiner Unermesslichkeit und Pracht nur Ehrfurcht gebieten konnte. Kein Sterblicher hatte ihn je zur Gänze durchwandert, niemand kannte all seine Geheimnisse. Eine machtvolle Wildnis, wo Wunder und Alpträume geboren wurden.
Hier waren die Bäume höher, die Kronen größer, die Wurzeln tiefer, denn dieser Forst existierte seit Anbeginn der Zeitalter. Auch wenn die Feuer unvorstellbarer Kriege vor Jahrtausenden hier hernieder gegangen waren und auch wenn er längst nicht mehr die Weiten aus den ersten Tagen seiner Schöpfung besaß, so konnte er dennoch niemals von dieser Welt getilgt werden. Hier war noch vieles wie es einst war, wie es für immer hätte sein sollen, bevor die kosmische Verderbnis das Sein berührt hatte.
Ein kahler Pfad wand sich zwischen den Stämmen der Bäume, zog sich durch das Dickicht, vorbei am Wurzelwerk, erhellt vom knöchernen Mondlicht. In unregelmäßigen Abständen waren zu beiden Seiten Statuen aus Stein zu erkennen, die bekannte und unbekannte Tiere verkörperten. Nebelschlieren schwebten über den von Laub und Moos bedeckten Böden. Glühwürmchen schwirrten zwischen Farnen und Pilzen empor. Manchmal tauchten noch andere Lichter im Dunkeln auf. Einige schienen wie glühende Augen, andere wirkten geisterhaft, ringend um Form. Schatten huschten vorbei. Allerlei Getier konnte für Momente erspäht werden, ehe es wieder den Strahlen des Mondes floh. Es knackte im Geäst, man hörte ein Flattern, ein Zischeln, ein Zirpen, ein Knurren. Und manchmal ertönte in der Ferne ein einzelnes, lautes Wolfsgeheul, das von einem wilden Chor beantwortet wurde.
Eine leicht gebückte Gestalt trat aus dem nachtschwarzen Tunnel zwischen den Bäumen hervor und setzte mit langsamen Schritt ihren Weg auf dem erleuchteten Pfad fort. Auf den ersten Blick wirkte sie so verloren wie gebrechlich, doch in ihren Bewegungen war verborgene Stärke, in ihrer Haltung ungebrochener Stolz. Die späte Wanderin stützte sich auf einen gewundenen Stab. Ihre Robe trug die Farben Schwarz und Grün. Kunstfertige Verzierungen glitzerten im Stoff. Silbernes Haar fiel aus dem Schatten der Kapuze. Sie keuchte, hielt inne. Fester noch umfasste sie mit tätowierter Hand das von Zauber und Macht erfüllte Holz. Dann glühten ihre entschlossenen Augen kurz auf. Mit neuer Fassung in ihrer Haltung ging sie weiter.
Die Erzmatrone Gava Meduna war auf dem Weg zum Hort des Wolfsgottes. Wochen waren seit der letzten heiligen Audienz vergangen. Eine zu lange Zeit vielleicht, so dachte sie. Sie konnte eine gewisse Beklommenheit vor der nahenden Begegnung nicht gänzlich unterdrücken. Ehrfurcht hätte Furcht werden können, aber mit Glaube und Disziplin wusste sie dem zu begegnen. Seit der Verfall den Geist des Gottes mehr und mehr ergriff, wurde er unberechenbarer. Zu gefährlich für Sterbliche in seiner unmittelbaren Gegenwart, aber die Matrone vermochte sich mit ihren Kräften zu wappnen. Mit Bitternis im Herzen gedenkte sie der Schwester, die zuletzt ohne Sinn im plötzlichen Zorn des gewaltigen Wolfes ihr Leben lassen musste. Sie hätte den Entschluss schon eher fassen sollen, aber seither ging sie für eine Zusammenkunft wie diese nur noch alleine zu ihm. Und da waren noch die anderen, so schlimmen wie notwendigen Opfer, die in immer kürzeren Abständen erbracht werden mussten. Nie waren ihre Tage als höchste Priesterin im Dienste der Wilden Götter schwerer gewesen. Dies war wahrhaftig die Dämmerung des letzten Zeitalters. Sie spürte es von Tag zu Tag mehr und mehr, dass die Präsenz des Einen Feindes stärker wurde. Die unheilige Niederkunft konnte nur noch wenige Winter fern sein. Wenn denn überhaupt noch mehr als ein Winter für die Welt verbliebe. Aber die Hoffnung war stark, das Gute mochte obsiegen, so glaubte sie fest.
Erneut hielt Gava Meduna inne. Sie zog die Kapuze zurück. Falten und Runen, ein stolzes Gesicht. Für einen Moment verweilte sie, mit ausgebreiteten Armen und sog die Luft in sich ein. Sie lauschte der Welt. Intensiv spürte sie die lebendige Natur um sich herum. Die Erzmatrone zog Kraft und Trost daraus, in diesem Moment der Einswerdung. Allmutter Arda war immer nah, so war es ihr stets gewiss. Schließlich gedachte sie wieder des Wolfsgottes, der endgültig zu vergehen drohte oder schlimmer noch, sich zu einem Dämon wandeln konnte. Der Gedanke legte wieder einen Schatten auf ihr Antlitz. Mit ihrer Stütze schritt sie schließlich weiter. Der Weg war noch weit.
Hie und da blickten ihr die Tiere neugierig hinterher. Eine große Eule flog Kreise ziehend über sie hinweg. Sie schätzte die Geste des Respekts und murmelte der Jägerin der Nacht ihren Dank hinterher.
Die Matrone hatte in ihrem langen Leben andere Wälder gesehen, aber diese waren alle nur ein Schatten dessen, was sie hier erblickte, was sie hier zu spüren vermochte. Es stimmte sie bitter, machte sie wütend, dass Menschen mehr und mehr die Forste in allen Landen abholzten, verbrannten, zurückdrängten um sich und ihrer so genannten Zivilisation platz zu schaffen, die Erde für Ackerland zu nutzen, um Kriegsgerät zu bauen oder allein aus der Furcht vor Tieren und Geistern, die hier ihre Heimat fanden, mit der steten Schändung der Erde fortfuhren. Manchmal aber erweckten die Menschen genau jenen Zorn der Wildnis, dem sie zu fliehen versuchten. Dieser Zorn sollte die Mörder, die Zerstörer von allen heiligen Reichen der Bäume noch viel öfter treffen, so dachte sie. Manchmal wünschte sich Gava Meduna, dass die Wilden Götter und die Werkrieger wie in alten Tagen über die Menschheit herfielen, um ihre Zahl zu einem rechten Maße zu dezimieren. Aber diese Zeit war vorüber. Manchmal verfluchte sie den Pakt, der für die Sterblichen dereinst geschlossen worden war.
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