1 ...8 9 10 12 13 14 ...19 „Bei der Allmutter“, flüsterte Sea Sanara mit einem leichten Zittern in der Stimme. „Es ist bereits noch weiter mutiert. Ehe es noch mehr in Macht und Gewalt wächst, muss es um jeden Preis vernichtet werden!“
Der Geächtete starrte weiter schweigend auf das schreckliche Ding auf dem Hügel. Die junge Matrone hatte natürlich vollkommen recht mit ihren Worten. Ein solcher Diener des Einen Feindes war in jeder Sekunde seiner Existenz eine Verhöhnung der Schöpfung, eine zu große Bedrohung für alles unter Ardas Himmel. Aber ihre Feststellung allein waren längst nicht der einzige Grund, warum Yarech den ungeduldigen Klauen des Werwolfs zum Opfer fallen musste. Nein, dieser da hatte nicht nur unzählige Sterbliche und Werbrüder auf dem Gewissen, sondern auch die, die der Geächtete geliebt hatte. Seine Rache würde nun endlich mit Blut getilgt werden. „Ich muss jetzt gehen“, sprach der Geächtete ohne auf Sanara zu blicken. Er hatte seine Beute längst fixiert. Zog das Schwert, legte den Beutel ab.
Da begann es leicht zu regnen. Dicke Tropfen nieselten vom Himmel. Ein starker Wind brauste auf.
Sie betrachtete ihn, hatte nun fast ein wenig Mitleid, begriff die erzwungene Rastlosigkeit in ihm, verstand den Schmerz, den er so weit bis hierher getragen hatte. Ehe er einen Schritt nach vorne trat, fasste die junge Matrone ihn bei der Hand. Er blickte etwas überrascht zuerst auf die Berührung, dann in ihre Augen.
„Ich lasse euch nicht ohne meinen Segen gehen“, flüsterte sie bestimmt.
Dann erglühte ein sanftes Licht zwischen ihren Händen. Der Werwolf fühlte sich gestärkt. Ihr Zauber würde ihm helfen, würde seine Chancen im Kampf erhöhen. Er nickte knapp in Dankbarkeit. Er löste sich von ihr. Ohne ein weiteres Wort stürmte er mit dem Schwert in der Hand los. Sanara sah ihm hinterher, schüttelte den Kopf und wand sich ab, starrte aber dann wieder nach oben. Wenn es sein musste, so würde sie in den Kampf eingreifen, egal was dies für seine Ehre oder Rache bedeuten würde. Sein Schicksal war in dieser Nacht an das ihre gebunden.
Mit Sturm im Rücken und durch den dichter werdenden Regenschleier sprintete der Geächtete höher und immer höher den Hügel hinauf begann lauter und lauter zu schreien. Er setzte mit der Verwandlung ein, die mit dem Lauf immer weiter fortschritt. Nasse Haut zu nassem Fell. Kopf zu Schädel. Beine zu Läufen. Schließlich blitzte wieder der silberne Handschuh um die verwandelte Klaue und ertönte das berstende Gebrüll eines Kriegers vom Klan Wolf.
Yarech Schattenschwinge breitete für eine tödliche Einladung die Arme aus. Die rot funkelnden Augen bohrten sich Dolchen gleich in das Antlitz des Angreifers. Begierig auf ein grausames Blutbad stöhnte der Diener des Einen Feindes in erwartungsvoller Lust.
Der Geächtete sprang in einem gewaltigen Satz über die Megalith-Steine direkt auf den Gefallenen.
Mit dem Geschmack von Blut erwachte der Geächtete. Er hatte sich offenbar in die Zunge gebissen, während des unruhigen Schlafs. Beinahe lächelte er über diese kleine Selbstverletzung. Gerade noch in einen Traum versunken, kam die intensive Erinnerung danach in ihm hoch. Ein Gefühl und Laute. Seine Hände waren heiß und nass gewesen, dies wusste er noch genau, weil es so unmittelbar und real erschienen war. Und er hatte wieder Wolfsgeheul gehört, aber dieses Mal mussten es noch viel mehr seiner Brüder gewesen sein, die mit ihren wilden Stimmen etwas verkündet hatten. Seltsam, dass er seit seiner ersten Begegnung mit Sea Sanara nach so langer Zeit wieder die Pfade der schlafenden Welt betreten konnte. Egal wie schemenhaft und karg: es tat so gut überhaupt wieder zu träumen. Er strich sich mit der Hand über den Kopf, als wollte er die eindringlichen Schemen aus seinem Geist abstreifen. Er seufzte.
Sein Körper war noch immer geschunden und stark vernarbt, auch wenn er über einen Tag in Ruhe heilen konnte. Die Schnelligkeit seiner Regenerationskraft hatte wieder etwas zugenommen. Ja, er hatte gesiegt. Er hatte Yarech Schattenschwinge triumphal in einem ehrenvollen Kampf bezwungen. Hätten seine Brüder dies gesehen, sie hätten noch viele Jahre später Lieder davon gesungen. Es spürte noch immer eine gewisse Befriedigung, denn die Rache war sein gewesen. Allmutter und Allvater waren ein großer Dienst erwiesen worden. So gut hatte sich schon lange kein Sieg mehr angefühlt, auch wenn er niemanden damit zurück bringen konnte. Niemanden, der ihm nah gewesen war. Dies blieb bitter. Aber da hallte noch etwas nach vom Ende des Gefallenen, etwas, das ihm gerade keine Ruhe lassen wollte.
Als er sich über über den gebrochenen Leib seiner erlegten Beute erhoben hatte und mit silberner Klaue das Herz aus der Brust des Feindes reißen wollte, da lachte das Ding mit grässlichem Gurgeln, es lachte spöttisch, fast überlegen, als blickte es nicht direkt in den Abgrund des Todes und müsste nicht alle Höllen jenseits des Weltschattens fürchten. Und es würgte sogar noch einige Worte hervor, höhnische, blasphemische Worte, die nur Lügen sein konnten, die es nur aussprach um die Saat von Zweifel und Angst in das Herz seines Bezwingers zu säen. Die Miene des Geächteten verfinsterte sich beim Gedanken daran. Dann wollte er nicht mehr daran denken, verdrängte den Moment.
Der ganze Hügel hatte gebrannt im blauen Feuer, als Wolf und Zauberin schließlich die durch verderbtes Blut verfluchte Stätte verlassen hatten. Von nun an würden alle Sterblichen dort ein Unglück erfahren, wenn sie den Boden im Steinkreis betraten.
Der Werwolf erhob sich, streckte sich etwas. Die beiden Wanderer hatten ihr Lager auf einem Felsen erwählt, der über einen Pfad ragte. Hier befanden sich die Ausläufer eines kleinen Waldes. Für ihre Rast suchten stets den Schutz der grünen Wildnis, von Bäumen ums sie herum. Er schritt etwas weiter hinauf, blickte über das weite Hügelland, das sich in braunen und dunkelgrünen Tönen vor ihm erstreckte. Er mochte die Farben des späten Herbstes. Der Abend dämmerte. Die Wolken türmten sich in den prächtigsten Formen am Himmel auf. Blau ging in Violett über, alles illuminiert von strahlendem Orange. Er fühlte eine angenehm kühle Brise. Herabgefallene Blätter tanzten vorüber, wirbelten für einen Moment direkt vor ihm hoch, als ob ein verspielter Windgeist ihn erheitern wollte.
Eigentlich war dies ein schönes Land, so dachte er. Wäre da nicht die Schnabelbrut des Feindes im Osten oder die zu vielen Menschen im falschen Glauben im Westen, dann könnten er und die Seinen hier sogar Frieden finden, frei jagen, wild leben. Früher war es hier sicher gut gewesen, so gut wie überall.
Mit scharfem Auge sah er weit entfernt Bewegungen im Feindesland. Auf einem langen Hügelkamm marschierten sie auf. Skrael. Eine kleinere Armee, eine Vorhut offenbar, wenige Stunden von der Grenze zu Dimbrag entfernt. Zu groß für Vögel erhoben sich andere Punkte in die Luft. Flugfähige Späher der Brut. Deutlich näher und weiter links in seinem Blickfeld konnte er den südlichen Ausläufer des des Ostwalls erkennen. Türme, eine Burg. Reiterei bewegte sich rasch davon fort. Bald schon würden die Menschen ihre Waffen wieder erheben müssen. Ein neuer Krieg war nah. Er wand sich ab. Dies alles war jetzt ohne Belang.
Die Klans würden sich aber schon sehr bald entscheiden müssen, wie und wann sie eingreifen wollten. Der Eine Feind hatte viele Diener, aber die Harpyiengötzen und ihre Armee der Schnabelbrut waren zur Zeit ohne Zweifel die größte und unmittelbarste Bedrohung für die Menschen. Und wenn erst ihre Imperien gefallen waren, dann würde es nicht mehr lange dauern, ehe die Reiche der Erwachten, Werkrieger und Matronen, und der Wilden Götter belagert würden. Im Südosten, da lag das Revier der Wereber. Sie würden gewisslich die Ersten des Wilden Heeres sein, die sich gegen den Sturm der Skrael zu verteidigen hatten.
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