Sanara aber wusste auch, dass ihre bloße Präsenz an seiner Seite den Geächteten bis zu einem gewissen Grad schützte. Die Todesdrohungen gegenüber ihm aus dem Mund der Mada waren nicht völlig hohl und unbegründet. Die Worte des verfallenden Wolfsgottes galten nicht mehr für alle als heilig und bedingungslos zu befolgen. Aber sie verzichtete dies extra zur Sprache zu bringen.
Sanara sagte dann: „Egal, immerhin werden uns nun keine Echsen mehr aufhalten. Lasst uns weiterziehen, Wolf.“
Für ihn war die Unterredung noch nicht ganz beendet, also fragte er noch: „Und der Mada letzten Worte? Was haltet ihr von ihren Warnungen?“
Sie zögerte mit der Antwort. Eigentlich nahm sie diese mehr als ernst und hatten sie sogar ein wenig erschreckt. Niemals sprachen Matronen derlei Warnungen gegenüber Schwestern leichtfertig und unbegründet aus. Aber sie hatte im Moment wahrlich keine Lust, dem Werwolf mehr zu erklären.
Sanara ging auf dem morastigen Boden in die Knie. Spielerisch glitt sie mit der Hand über Sträucher und Moos, griff einen Stein und schmiss ihn ins Wasser.
Sie beobachtete für eine Weile wortlos die kleine Unruhe von Wellen auf der dunklen Oberfläche, wandte sich dann mit halber Kopfdrehung zu ihm um, blickte ihn aber nicht direkt an und sprach: „Lasst dies meine Sorge sein, Geächteter. Ich halte davon, was ich davon halten muss. Aber ich sage euch: dankt nach der Rückkehr nicht nur eurem Gott, dankt auch der Schwesternschaft. Ihr lebt, weil wir für euch das Wagnis suchen müssen.“
Er verstand, auch wenn es für ihn noch immer keinen rechten Sinn ergab, warum seine Rolle in dieser Welt noch so wichtig sein sollte.
Er nahm den Beutel, nickte ihr zu. Sie hatten schon genug Zeit verschwendet. Es galt noch einige Meilen hinter sich zu lassen, ehe der Morgen graute. Tatsächlich begegneten die beiden auf ihrem Weg zum Wald der Welt keinem einzigen Basilisken mehr.
Kapitel 5 - Ein Geheimnis für die Katzen
Sanara war alleine in dieser Nacht. Der Wolf hatte sie gerade eben verlassen, würde aber bald schon von seinem Streifzug durch den Wald wiederkehren. In wenigen Stunden würde die Dämmerung vom Beginn eines neuen Tages zeugen. Bisher waren sie immer unter dem Mond gereist und hatten unter der Sonne geruht, aber für diese Rast hatten sie entschieden, für gewisse Zeit auch in Finsternis zu verweilen. Sie erhob sich neben einem kleinen Lagerfeuer, öffnete die Haare und begann sich zu entkleiden.
Der Ort war von idyllischer und friedsamer Atmosphäre. Es lag unterhalb einer Felswand, von der ganz nahe ein kleiner Wasserfall in einen etwas größeren Bach herab plätscherte. Oberhalb am steinernen Kamm waren Bäume zu sehen, die teils mit Wurzeln und Stamm ein wenig darüber hinaus ragten. Zum Wasser hin verlief der Boden mit Moos bewachsenen Steinen, Geröll und schließlich in Sand. In der weiteren Umgebung war kreisförmig umschließend ein größerer Forst, in den sich der Bach hinein schlängelte. Es war fast windstill und das Getier ließ nur wenig von sich hören. Das funkelnde Meer aus Sternen strahlte über ihr.
Die junge Matrone trat gänzlich nackt unter das herab brausende Nass, keuchte kurz ob der intensiven Kühle, spürte ein starkes Zittern am ganzen Körper. Es dauerte ein wenig bis sie sich an scharfe Frische gewöhnt hatte, aber schließlich tat die Dusche sehr wohl. Sanft strich sie sich über die weiße Haut, war behutsam mit dem Haar. Schmutz und Schweiß von Tagen wusch sie endlich ab. Nicht weniger genoss sie es aber, für einige Momente ganz für sich sein zu können, ohne ihren wilden Begleiter.
Die Hügellande von Dimbrag lagen hinter ihnen. Dichtere Wälder durchquerten sie nun, die sich meist flach erstreckten. Größere Ansiedlungen befanden sich nicht unweit nördlich, auch die Hauptstadt Andaheim. Bisher hatten sie es aber erfolgreich vermieden, die Wege von Menschen zu kreuzen. Hilfreiche Geister zeigten ihr einen sicheren Weg vorbei an den Revieren der Klans und anderen Gefahren, die ihnen drohen konnten.
Eine Weile noch, nur noch etwas länger in Stille und Reinigung. Sanara trat schließlich aus dem Wasserfall heraus, wandte sich jedoch noch einmal um, formte die Hände zur Schale, sammelte das wunderbar klare Nass darin, küsste die glitzernde Oberfläche und dankte der Allmutter für das lebensspendende Element. Dann trank sie es langsam, jeden Schluck ganz bewusst.
Mit einem so guten, zutiefst erfrischten Gefühl im ganzen Leib wie lange nicht, schmiegte sie sich in ihren Mantel und setzte sich an das wärmende Feuer. Die tänzelnden Flammen spiegelten sich in ihren grünen Augen. Sie begann ein sehr altes Lied zu summen.
Bald schon zwei Wochen beschritten sie und der Geächtete nun schon gemeinsame Pfade. Sie wusste noch immer nicht so recht, was sie von dem Werwolf halten sollte. Eigentlich hatte sie vor ihrer ersten Begegnung einen gebrocheneren Mann erwartet, den die Jahre des Exils mehr gezeichnet hätten, den sie mehr mit Respektlosigkeit abstrafen hätte können, aber er war nach wie vor nicht viel weniger stolz und wild als seine Brüder in der Heimat. So verwerflich es auch war, was er getan hatte, dieser da verdiente gewisslich nicht alle Grausamkeiten dieser Welt. Letztlich hatte er ja nur schrecklich versagt und nicht im bösen Willen gehandelt, selbst wenn dies nicht alle im Zirkel glaubten, sondern unbewiesene Verderbtheit vermuten wollten.
Auf der einen Seite stur, aufbrausend und sich selbst verschwendend, aber auch getreu, nachdenklich und unbeugsam erschien er ihr. Zwei Wesen in einem, wie sooft bei diesen. Und er war ehrlich, würde ihr immer die Wahrheit sagen, wenn auch vielleicht nicht immer gleich. Er hatte viel durchgemacht, trug seinen Schmerz mit sich, aber auch wenn er sich beinahe schmachvoll aufgegeben hätte, so konnte sie nicht umhin, ihn dafür zu achten, wenn nicht gar ein wenig zu bewundern, wie lange er es nach der Vertreibung ausgehalten hatte, wie weit er gekommen war und dass er es nach nur so wenigen Tagen der geistigen und körperlichen Genesung vermocht hatte, seinen mächtigen Erzfeind alleine zur Strecke zu bringen. Sollte er etwa tatsächlich ein Teil der Prophezeiung sein? Es war noch viel zu früh, um dies zu wissen. Noch gab es zu wenige Zeichen, noch waren die Texte nicht weit genug entschlüsselt. Gava Meduna würde es vielleicht in seinem Geist sehen, wenn sie zurückgekehrt waren. Und allein dies war für sie von Bedeutung: gemeinsam mit dem Geächteten in den Zirkel das Waldes der Welt zurückzukehren. Diese eine, diese ihre Aufgabe ging über alles andere. Der Weg war aber noch weit und nicht ohne Gefahr.
Auch wenn sie nun das Feindesland längst hinter sich gelassen hatten und die nahenden Wogen des Krieges sie so weit im Westen nicht mehr ereilen sollten und auch wenn gute Geister sie auf ihr Bitten hin bisher richtig geleitet hatten, so könnten ihnen nach wie vor Lakaien des Einen Feindes auflauern, sie Jägern der Kirche begegnen oder gar andere Werkrieger den Geächteten erschlagen wollen. Ein gestärkter Werwolf und eine Matrone mit ihren Kräften stellten wohl ein wehrhaftes Paar für Menschen, Gefallene, Skrael und andere Angreifer dar, aber niemals sollten all die möglichen Gefahren, die ihnen noch drohen konnten, unterschätzt werden.
Als sie sich ausreichend trocken fühlte, zog sie sich wieder zur Gänze an. Sie gürtete sich, nahm den Wasserschlauch und füllte ihn beim Bach. Dann setzte sie sich wieder vor das Feuer, den Stab an ihrer Seite. Der Schmuck noch und der schwarze Lidschatten mit Kohle für die Augen. Für eine Matrone ihres Zirkels achtete sie vielleicht manchmal etwas zu sehr auf ihre Erscheinung. Eitel nannten sie manche ihrer älteren Schwestern, oft unangemessen ihr Auftreten. Sie tat auch das ihre um aufzufallen. Und Sanara wusste um ihre Schönheit, fühlte sich sehr wohl in ihrer Haut. Beides war nicht immer der Fall gewesen. Ihr rotes Haar strich sie über die Schulter, spielte mit einigen Strähnchen, ehe sie sich wieder ihren langen Pferdeschwanz mit einer grün und rot verzierten Schnur zusammenband. Wieder leises Summen auf ihren Lippen.
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