Irgendwo blies ein französisches Horn zum Rückzug und von den 150 Chasseurs blieben kaum Sechzig im Sattel, die seinem Ruf folgen konnten.
„Sammeln und formieren!“, rief Mellendez seinem Hornisten zu und das Signal rief die über den Kampfplatz verstreuten Männer zusammen. Sicher hätten sie nun gerne die Toten geplündert und die Wertsachen an sich genommen, so war es Soldatenbrauch seit Menschengedenken, aber Mellendez konnte ihnen diese Zeit nicht zugestehen. Er sah, wie die verbliebenen vierzig Reiter seiner Gruppe sich erneut formierten, während die Maultiere mit der kostbaren Fracht aus der Schlucht strömten.
„Schützt die Fracht!“, rief er den Männern zu. „Bleibt bei ihr und schützt die Fracht.“
Er selbst trieb sein Pferd in die Schlucht zurück, dorthin, wo erneut Schüsse zu hören waren. Viel mehr Schüsse als zuvor und er wusste, dass der zweite Trupp Chasseurs sie eingeholt hatte und nun mit der anderen Hälfte seiner Männer kämpfte.
Am Wall knieten Cazadores zwischen toten Chasseurs. Ihre Karabiner knallten, wenn die Männer ein Erfolgversprechendes Ziel fanden. Vor ihnen wirbelten Pferde und Männer durcheinander. Die roten Uniformen spanischer Cazadores und die grünen Uniformen französischer Chasseurs. Viel mehr Grün als Rot und der Oberst zögerte keine Sekunde, sich in das Getümmel zu werfen. Allein die Übermacht auf engstem Raum drohte seine Männer zu überwältigen, die sich in der engen Schlucht gleich mehrerer Gegner erwehren mussten.
Erneut hörte Mellendez die Trompete. Plötzlich war der Hornist an seiner rechten Seite. Dann war der brave Calazon an seiner Linken. Sie hackten und stießen um sich. Der Kampf wurde zu einer Abfolge sekundenschneller Eindrücke. Einem Cazador und einem Chasseur, die sich gegenseitig aufgespießt hatten und fast gleichzeitig aus den Sätteln sanken. Einem Franzosen, dessen Helm gespalten war und der mit blutüberströmtem Gesicht schreiend vom Pferd sank. Einem Mann, dem der wuchtige Hieb eines Säbels das Bein vom Oberschenkel hackte und der dennoch auf den Gegner einhieb. Eine Orgie aus Blut und Schmerz, aus Verzweiflung und Heldenmut, in der es nun nicht mehr um höhere Ziele, sondern um das nackte Überleben ging.
Ein Säbel hieb ein Büschel aus dem Rosshaarschweif von Mellendez Helm, eine andere Klinge fetzte durch seine rote Jacke, ohne dass er eine Verletzung gespürt hätte, doch das mochte später folgen, wenn der Adrenalinstoß nachließ und der Schmerz einsetzte. Ein Säbel stieß harmlos zwischen seinem Arm und Oberkörper hindurch und das Gesicht des Reiters verwandelte sich in eine Fratze des Schmerzes, als Mellendez Klinge durch den aufgerissenen Mund des Mannes in dessen Hirn stieß. Der von Pferdehufen aufgewirbelte Staub schränkte die Sicht ein und nach wenigen Metern drangen nur noch die Geräusche des Tötens durch den Schleier.
Dann, mit einem Mal, war es vorbei.
So unerwartet, dass Colonello Mellendez sich verwirrt umsah, als kein weiterer Gegner auf ihn eindrang. Keuchend saß er auf seinem Pferd und sein Arm sank nach unten, schien ihm seltsam kraftlos, während er sich umsah. Der Hornist war noch immer neben ihm. Seine golden schimmernde Trompete war nun staubbedeckt und wies eine mächtige Beule auf, wo der Soldat sie an den Schädel eines Feindes geschlagen hatte. Die gelbe Jacke des Hornisten, mit den zahlreichen goldenen Schnüren und Winkeln des Musikers, war blutbefleckt und aufgerissen, Knöpfe fehlten und aus dem Ärmel hing das Innenfutter. Am Schenkel des Mannes klaffte ein blutiger Riss, denn der Reiter ignorierte.
Der Staub hing in der Luft und Mellendez sah einige seiner Männer. Am Boden oder beritten, doch die Männer am Boden waren weit zahlreicher. Stöhnen und Weinen war zu hören, eine Stimme, die verzweifelt nach der Mutter rief, um dann kläglich zu verstummen. Mellendez versuchte zu lächeln und spürte dabei eingetrocknetes Blut, das in sein Gesicht gespritzt war und nun einriss. Er wollte dem Hornisten einen Befehl geben, doch die Stimme versagte und er musste mehrmals schlucken und sich räuspern.
„Blas zum Sammeln“, krächzte er schließlich. Die wenigen Worte ließen ihm die Kehle wund erscheinen. Er tastete nach der tönernen Wasserflasche, die an seinem Sattel befestigt war, doch nur noch der Flaschenhals hing an dem ledernen Riemen. Der Trompeter reichte ihm die seine und der Colonello trank einen Schluck um die Kehle zu befeuchten und spuckte Staub aus. Dankbar nickte er dem Mann zu.
Der Staub begann sich nun zu legen und das Signal zum Sammeln hallte durch die Schlucht.
„Versorgt die Verwundeten“, befahl der Colonello. „Wer reiten kann, kommt mit.“
Was mit den anderen geschah, brauchte niemand zu erwähnen. Sie waren der Gnade des Feindes ausgeliefert und Mellendez hoffte, dass diese Gnade nach dem heftigen Kampf groß genug war, um die Verwundeten zu pflegen oder sie zumindest rasch von ihren Qualen zu erlösen. Er hatte einmal hilflos mit anhören müssen, wie man einen Verwundeten zu Tode quälte und er schämte sich noch immer dafür, dass es ein französischer Soldat gewesen war, der unter spanischen Klingen gelitten hatte.
Der Oberst stieß ein leises Ächzen aus, als er Calazon erkannte. Sein Unterführer und Freund saß zusammengekrümmt auf seinem Pferd, die abgebrochene Klinge eines französischen Säbels ragte aus seinem Rücken. Als Mellendez sein Pferd hinüber trieb erkannte er, dass der Stumpf der Klinge vorne zwischen Calazon´s Fingern heraus ragte. Calazon litt Schmerzen und der Blick seiner Augen war trübe, als er seinen Freund und Befehlshaber ansah.
„Es tut gut, dich noch einmal zu sehen, mein Freund“, sagte der Teniente mit gepresst klingender Stimme. Sein Pferd bewegte sich und der Leutnant stöhnte schmerzerfüllt auf. „Ist es den Preis wert? All unsere Männer?“
Mellendez sah auf die Toten, Verwundeten und Sterbenden.
„Der Preis ist Spaniens Zukunft.“
Calazon lächelte verzerrt. „Dann werden wir ihn zahlen.“
Die Augen des Teniente weiteten sich und wurden unvermittelt starr. Mellendez wusste, dass er tot war, beugte sich hastig vor, um den Fall des toten Körpers zu verhindern, aber Calazon entglitt seinem Griff.
Der Hornist trabte heran, in Begleitung von Capitan Salerno, dem Führer des Packzuges. Salerno bekreuzigte sich hastig, während der Trompeter auf den Toten hinunter sah. „Er hat uns vor der Schlucht noch einmal gegen die überlebenden Chasseurs geführt, Colonello, als diese sich sammeln wollten. So flohen sie endgültig und wir konnten Ihnen zu Hilfe kommen, ohne den Packzug zu gefährden.“
Mellendez bekreuzigte sich und sah auf seine Männer, die einige Verwundete versorgten und auf die Pferde hoben. Sargente Carrado, der Hauptfeldwebel der Cazadores, kam zu ihnen herüber. „Zehn von uns und einige der Franzosen sind zu schwer verwundet.“
„Gebt ihnen Decken, Brot und Wasser“, befahl Mellendez leise. „Wir müssen sie der Gnade Gottes und der Franzosen überlassen. Was bleibt uns, Sargente?“
„Vierzig Mann und die Führer der Maultiere“, erwiderte Sargente Carrado heiser.
Die Rechnung des Schlachters war hoch und brutal. Fast 110 Männer hatte Mellendez verloren und die Verluste der Franzosen mussten mehr als doppelt so hoch sein. Doch die Franzosen würden rasch Verstärkungen nachführen können. Verstärkungen, die ihm und seinen Cazadores fehlten. Es war ein schrecklicher Sieg, der niemanden erfreuen konnte.
„Wir müssen weiter, Don Luis“, drängte Capitan Salerno. „Die Froschfresser werden bald Verstärkung erhalten.“
Mellendez stieß die Luft schnaubend aus und nickte. „Es bleibt keine Zeit, die Toten zu bestatten. Capitan Salerno, Sie führen die Kolonne auf den Weg nach Andajoz.“
Der Capitan runzelte die Stirn. „Ich verstehe nicht. Was ist mit Ihnen, Colonello?“
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