Velasquita sah Colonello Mellendez mit einem anderen Offizier ins Haus des Alcalden treten und Donna Carmen, die ihren Sohn zu sich rief und Alejandro dann ausschickte, um Sargente Ruiz aus dem Castillo zu benachrichtigen.
Ein anderer Mann, so stämmig wie der Doktor, doch in der Uniform der Cazadores und mit zwei gelben Winkeln an den Oberarmen, trat zu Doktor Mendez, den er wohl an dessen Ledertasche erkannte. „Wir haben getan, was wir für sie tun konnten, aber sie brauchen Ruhe und Pflege, die wir ihnen nicht bieten können.“
Es waren vier verwundete Männer mit unterschiedlich schweren Verletzungen. Doktor Mendez betrachtete sie nacheinander, beugte sich kurz zu ihnen und untersuchte sie flüchtig, bevor er sich aufrichtete und die Umstehenden ansah. „Ich brauche einen großen Raum für die Operation, viel heißes Wasser, saubere Tücher und heißes Eisen.“ Er sah Velasquita an. „Kannst du mir helfen?“
„Natürlich.“ Velasquita hatte kein Verlangen danach, die entsetzlichen Wunden näher zu sehen, aber sie konnte auch nicht tatenlos zusehen, wie diese Männer litten. Mendez würde jede Hilfe brauchen können. Eigentlich war er kein wirklicher Arzt. Dafür war Andajoz einfach zu klein. Irgendwann war der stämmige Mann in den Ort gekommen und war geblieben. Er schien recht gebildet und er verstand sich darauf, Zähne zu ziehen und verletzte Tiere zu versorgen. Wie er gelegentlich betonte, sei zwischen Mensch und Schwein kein wesentlicher Unterschied, weder körperlich noch moralisch. Er war ein seltsamer und meist wortkarger Mann und Velasquita vermutete, dass er einen heimlichen Kummer in sich trug. Aber er hatte gute und fürsorgliche Hände, und er verstand sich auf Wunden, und so nannten alle ihn Doktor Mendez, obwohl selbst der Alcalde nicht wusste, ob dies berechtigt war.
„Bringt sie zu mir“, sagte Gonzo bereitwillig. „Wir haben gerade erst sauber gemacht und genug Platz. Später, wenn es ihnen besser geht, können wir sie woanders hinbringen.“
Natürlich, Gonzo wollte sich das Geschäft mit den Pilgerinnen nicht verderben, aber immerhin verlor er keine Zeit und eilte voraus, um die große Doppeltür des Hotels aufzustoßen.
„Jorge“, rief er nach seinem Sohn, „stell die Tische zusammen, wir müssen operieren! Juana, heißes Wasser und saubere Tücher und jede Menge davon!“
Hinter dem Empfangstresen des Hotels blickte Gonzo´s Schwester Juana auf und stieß einen erschrockenen Schrei aus, als die Verwundeten hereingetragen wurden. Gonzo klatschte in die Hände. „Eil dich, Juana, diese Männer leiden. Jorge, verdammt, wo steckst du?“
Sie schoben Tische zusammen, so dass man die Verwundeten darauf legen konnte und Doktor Mendez scheuchte die Umstehenden zur Seite und begann die Uniformen der Soldaten mit einem scharfen Messer aufzuschneiden. „Macht Platz und besorgt mir mehr Licht!“, rief er, ohne sich umzudrehen und seine Finger zogen Stoff auseinander und beäugten misstrauisch die Verletzungen. „Und besorgt mir endlich Wasser, Tücher und glühende Eisen. Und ein verdammtes Stück Leder.“
Der Cazador auf dem Tisch hatte eine tiefe Brustwunde, hervorgerufen durch einen Säbelhieb, der ihn quer über den Rippen getroffen hatte. Man sah blanke Knochen zwischen blutigem Fleisch. Hinter Velasquita erklangen ein leises Ächzen und ein dumpfer Aufprall.
„Schafft ihn raus“, brummte Mendez. „Alle raus, die hier nichts verloren haben.“
Einige gingen freiwillig, da ihnen übel wurde, doch andere blieben und drängten sich um den Doktor, auf morbide Weise von seinem Handwerk fasziniert. Mendez sah sich um und erkannte den Hauptfeldwebel der Cazadores. „Sie, Sargente, wie heißen Sie?“
„Carrado, Doktor“, erwiderte der Mann mit grimmigem Gesicht.
„Gut, Sargente Carrado“, knurrte Mendez. „Schaffen Sie mir die Leute vom Hals.“
Sargente Carrado blickte immer noch grimmig, doch nun sah er die Umstehenden an und knurrte dazu, und der Vorraum des Hotels leerte sich überraschend schnell. Nur eine Handvoll Frauen, Velasquita, und der Sargente mit dreien seiner Männer, blieben im Raum. Velasquita half den anderen Frauen, Kessel mit heißem Wasser zu bereiten und riss saubere Leinentücher in Streifen. Sicher würden einige der Pilgerinnen auf ihr Bettlaken verzichten müssen. Jorge war endlich aufgetaucht und hatte ein Becken mit glühenden Kohlen im Vorraum aufgestellt. Der Doktor öffnete seine Tasche und breitete seine Instrumente aus, während ein eiserner Haken in den Kohlen zu glühen begann.
„Ihr Soldaten seid verdammte Narren, euch gegenseitig so zuzurichten“, murmelte Mendez und zupfte kleine Stofffetzen der Uniform aus der Brust des Cazadores. Der Soldat krallte die Hände in die Tischkante und Schweiß perlte auf seiner Stirn, aber er gab keinen Laut von sich. Velasquita mochte nicht glauben, dass ein Mensch solche Schmerzen aushalten konnte. Sie nahm ein Leinentuch, tupfte behutsam etwas Blut von der Brust des Soldaten und Schweiß von der Stirn des Doktors und beides vermischte sich, so dass sich bald ein rötlicher Schmierfilm auf der Stirn von Mendez abzeichnete.
„Sargente?“
„Ja?“ Carrado trat näher und berührte sanft die Hand des Soldaten, nickte ihm aufmunternd zu.
„Sehen Sie an seiner Jacke nach, ob ein Knopf oder ein anderes Stück fehlt.“ Mendez beäugte die Wunde, leckte sich über die Lippen. „Es darf nichts in der Wunde bleiben, was sich entzünden könnte.“ Er sah den Verwundeten an. „Immerhin war die Klinge des Franzosen frisch geschärft. Schöner sauberer Schnitt, keine Scharten im Säbel, die das Gewebe zerfetzt hätten.“ Er sah den Soldaten ernst an. „Du wirst jetzt auf das Leder beißen, mein Freund. Ja, ich weiß dass du tapfer bist, aber das hier wird jetzt wirklich wehtun. Doch es muss geschehen. Also zeig keinen falschen Stolz, denn ich will nicht, dass du dir die Zunge abbeißt. Hast du das verstanden?“
Der Verwundete sagte nicht, aber Sargente Carrado nickte und schob dem Mann einen Lederknebel zwischen die Zähne. „Er hat verstanden, Doktor. Er wird seine Pflicht tun, so wie Sie die Ihre.“
Doktor Mendez warf dem Hauptfeldwebel einen Blick zu, der verriet, dass er nicht besonders viel von soldatischen Pflichten hielt, aber dann nahm er das glühende Eisen, nickte den anderen Soldaten zu und diese drückten den Verletzten auf den Tisch, hielten ihn fest, während der Doktor das Eisen in die Wunde senkte. Velasquita wurde es schlecht. Es zischte, stank nach verschmortem Fleisch und die Beine des Verwundeten zuckten hilflos, bis ein anderer Soldat sie festhielt. Dann erschlaffte der Körper auf dem Tisch.
„Mein Gott“, stammelte Velasquita. „Ist er… ist er…?“
„Nein“, sagte Doktor Mendez grimmig. Er begann die Wundränder mit den Fingern zusammenzudrücken und zu vernähen. „Nur bewusstlos. Rasch, verbindet ihn und dann legt ihn behutsam in ein Bett. Die Wunde darf nicht aufbrechen. Die Hitze des Eisens hat die Gefäße verschweißt, aber eine falsche Bewegung und meine Arbeit war umsonst.“
„Wird er gesund?“
Mendez sah Velasquita achselzuckend an. „Das liegt letztlich in den Händen des Herrn. Aber falls er es übersteht, wird er nie wieder eine Klinge führen können. Die Narbe wird ihn daran hindern. Vielleicht kann er nicht einmal mehr gerade stehen. Immerhin hat er Glück, dass weder die Lunge noch andere Organe verletzt wurden. Was ist?“ Er sah die Soldaten an. „Bringt mir den nächsten.“
Der Mann jammerte, doch nicht wegen der Schmerzen. Sein Bein hing nur noch an einem blutigen Muskelstrang, wie Velasquita schaudernd erkannte, als der provisorische Verband entfernt wurde. „Ich muss wieder reiten“, keuchte der Mann. „Ich kann den Colonello nicht im Stich lassen.“
„Das Bein muss ab“, sagte Doktor Mendez schonungslos. „Haltet ihn fest. Je schneller wir es hinter uns bringen, desto besser für ihn.“
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