Pater Umbrio sah es pragmatisch. „Wenn du und deine Frau Theresa, von dem Wunder des Herrn profitieren wollen, dann solltet ihr bedenken, dass dieses Wunder allen Menschen gilt.“
Er hatte diesen Unterton in der Stimme, den er auch manchmal in seinen Predigten nutzte und der Julio nachdenklich die Augenbrauen hochziehen ließ. Pater Umbrio ließ ihn auch nicht lange im Zweifel, wie er sich eine Einigung vorstellte.
„Du und deine Frau Theresa, ihr mögt die Späne an der Rinde der Wundereiche reiben und sie verkaufen. Aber der Gewinn daraus, mein lieber Julio, sollten wirklich allen zugute kommen.“
„Allen?“ Julio riss entsetzt die Augen auf.
„Andajoz“, sagte Pater Umbrio freundlich. „Andajoz und seinen Menschen. Es gibt immer Bedürftige und auch das Dach der Kapelle sollte neu gedeckt werden, du verstehst, mein Sohn?“
„Aber wir haben die Arbeit damit“, protestierte Julio.
Theresa trat an den Tresen und nickte. „Schließlich reiben wir die Späne am Baum.“
„Geben ist seliger denn nehmen“, wandte Pater Umbrio ein, „und Gottes Augen werden wohlgefällig auf euch ruhen, wenn ihr wohltätiges Werk tut.“ Er räusperte sich und zwinkerte Julio zu. „Wohl will ich meinen, dass ihr ein wenig mehr Arbeit damit habt.“
„Zehn Prozent des Gewinns für Andajoz“, sagte Julio eifrig und sah den Blick des Paters. „Und zehn Prozent zusätzlich für das Haus des Herrn.“
Pater Umbrio grinste wölfisch. „Feilsche nicht um das Haus Gottes. Zwanzig Prozent, das Dach der Kapelle ist groß.“
Sie waren sich einig und Pater Umbrio wandte sich ruckartig um, fixierte die Gäste, die an den Tischen saßen und dem Gespräch aufmerksam gelauscht hatten. „Untersteht euch“, knurrte der Pater. „Wenn ich noch jemanden erwische, der sein Holz an der Eiche wetzt, den lasse ich exkommunizieren, ist das klar?“
Ein paar Augen weiteten sich erschrocken und Velasquita wusste, dass die Vermutung des Paters ins Schwarze getroffen hatte. Doch nun würde es keiner wagen, sich über sein ausdrückliches Verbot hinwegzusetzen und Julio und dessen Frau nachzueifern. Diese würden eifersüchtig darauf wachen, dass niemand heimlich zur Eiche schlich, der dort nichts zu suchen hatte.
Velasquita seufzte. All dieser Streit um ein wenig Holz, welches an anderem Holz gerieben wurde. Dabei gab es weit erfreulichere Dinge, die sich reiben ließen. Sie sah ihren Ziehvater lächelnd an. „Ich wollte sehen, ob ich Gonzo im Hotel helfen kann.“
„Eine gute Idee, mein Kind“, sagte Pater Umbrio und betrachtete nachdenklich die von ihm zerriebenen Holzkrümel auf dem Tresen. Dadurch hatte er die Einnahmen der Kirche unabsichtlich geschmälert, aber dieses Opfer war verzeihlich, denn dadurch wurde ihm die Möglichkeit eröffnet, die Bedürftigen von Andajoz stärker zu unterstützen. „Es gibt viel zu tun, nun, da die Wallfahrt bald beginnt.“ Er sah Velasquita an und sein Blick wurde eindringlich. „Du wirst aber nicht zum Haus des Alcalden gehen.“
„Aber nein“, sagte sie ernsthaft. „Nur zum Hotel.“
„Und nicht in den Stall, mein Kind.“ Pater Umbrio lächelte verständnisvoll. Liebe ließ sich nicht verhindern, aber der Pater fand, dass eine Liebe, die über einen dornigen Pfad zueinander fand, ernsthafter und gottgefälliger war, als der leichte Weg der Sünde.
„Auch nicht in den Stall“, sagte Velasquita und sah ihn in gespielter Empörung an.
Plötzlich mussten sie beide lächeln und Pater Umbrio legte ihr die Hand auf die Schulter. „Wenn er dich wirklich liebt, meine Tochter, wird ihn nichts davon abhalten, dich zu finden.“
Velasquita schnappte sich ein Stück Brot aus dem kleinen Korb, der auf einem der Tische fand und lächelte den Gast freundlich an, dann hastete sie aus der Cantina und wandte sich nach rechts in Richtung auf das Hotel.
„Theresa“, sagte Julio gutgelaunt, „lass uns ein wenig aufspielen.“
Die Gäste, die ein wenig mit Julio schmollten, da er ihnen eine interessante Einnahmequelle mit dem Segen des Paters vor den Augen weggeschnappt hatte, klatschten erfreut in die Hände.
„Ja, Theresa, einen Flamenco. Lass die Beine fliegen.“
Julios Gitarre begann zu klingen, während Theresa vor dem Tresen zu tanzen begann und die Kastagnetten wirbelte. Julio hatte eine gute Stimme und stimmte die vierzeiligen Strophen eines alten spanischen Volksliedes an, und die Gäste stimmten in den Refrain ein.
„Höher, höher“, riefen die Männer und klatschten rhythmisch und Theresa tat ihnen lächelnd den Gefallen. Selbst Pater Umbrio sah wohlgefällig auf ihre Beine, die sie nun ein klein wenig mehr entblößte. Er war gefeit gegen solch fleischliche Genüsse, aber Gott der Herr, in all seiner Güte, hatte nichts dagegen einzuwenden, wenn ein Priester sich der Ästhetik hingab.
Velasquita hörte das „Aye, Aye, Aye“ der gut gelaunten Gäste der Schänke und schritt lächelnd an der Plaza vorbei zum Hotel. Natürlich wusste Alejandro, dass sie dorthin kam und natürlich wusste Pater Umbrio, dass Alejandro es wusste. Es war ein Spiel mit Regeln und Verlockungen, und Velasquita wusste, dass ihr Ziehvater Verständnis für sie hatte, sich jedoch einfach um sie sorgte.
Sie hatte das Hotel fast erreicht, als sie Hufschlag hörte, der sich über die Hauptstraße der Plaza näherte.
Automatisch wandte sie sich um und sie sah rote Uniformen und Pferde zwischen den Häusern auftauchen. Rote Uniformen und rot bezogene Helme mit langen schwarzen Rosshaarschweifen. Messing, Gold und Silber blitzten und funkelten. Velasquita wusste sofort, dass dies die Soldaten jenes Colonello waren, der Andajoz erst vor kurzem besucht und die schlechten Nachrichten vom Krieg gebracht hatte.
Velasquita trat mit den anderen wieder auf die Plaza hinaus und sah zu, wie immer mehr Soldaten auf den Platz ritten und sie sah Maultiere, die von anderen Männern geführt wurden. Maultiere, die eine schwere Fracht trugen. Als sie noch näher kamen erkannte Velasquita den Oberst und dass er und seine Männer abgekämpft und schmutzig wirkten. Es schien ihr fast, als sei es eine Angewohnheit des Colonello, immer mit schlechten Neuigkeiten nach Andajoz zu kommen.
„Was ist da los?“, murmelte Alejandro, der neben seine geliebte Velasquita trat. Sie berührten sich flüchtig, wagten es nicht, vor den anderen Menschen ihre Liebe zu offen zu bekunden, obwohl sie kaum ein Geheimnis sein konnte. „Ist das nicht dieser Colonello aus Madrid?“
„Ja, aber dieses mal ist er nicht alleine“, erklang Gonzos Stimme hinter ihnen. „Ah, das gefällt mir nicht. Diese Männer haben gekämpft. Hoffentlich bringen sie uns keinen Ärger nach Andajoz. Ausgerechnet jetzt, so kurz vor der Wallfahrt.“
Velasquita schlug entsetzt die Hand vor den Mund, als sie nun verwundete Soldaten erkannte, denen Kameraden von den Pferden halfen. Sie sah den nackten und flüchtig abgebundenen Beinstumpf eines Mannes, einen anderen, dessen Kopf mit einem blutigen Verband versehen war und der offensichtlich nichts sehen konnte. Wunden und Verstümmelungen waren ihr nicht fremd, denn sie hatte Pater Umbrio schon einige Male geholfen, wenn er verunglückte Menschen versorgte. Es gab Raubtiere in den Bergen, die vor allem im Winter bis Andajoz vordrangen, Menschen, die sich an Werkzeugen und Klingen verletzten oder einfach stürzten. Aber nie zuvor hatte sie solche Wunden gesehen, die zudem von Menschen verursacht worden waren. Plötzlich erhielt der Begriff Krieg einen anderen Klang für sie.
„Verdammt, holt endlich Doktor Mendez!“, rief Gonzo wütend über den Platz und eilte mit den anderen zu den Soldaten hinüber. „Wo steckt der verdammte Kerl schon wieder?“
„Schon da“, brummte eine tiefe Stimme und die stämmige Gestalt des Arztes drängte sich durch die anderen. „Macht endlich Platz, zum Teufel.“
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