„Nein, warte“, knurrte er und löste sich von ihr. „Da geht etwas vor sich.“
Schmollend folgte sie seiner Blickrichtung. In der sternklaren Nacht war die kleine Festung an der Brücke gut zu erkennen. Ein paar Fackeln erhellten den Zugang und zwei der Fenster waren von schwachem Lichtschein erhellt. Velasquita sah die Soldaten des Colonello und die vielen Maultiere, die am Eingang der Festung standen. Sie konnte nicht genau erkennen, was da vor sich ging. Die Maultiere verschwanden mit ihren Treibern in der Festung und Velasquita erkannte im Fackelschein den Colonello Mellendez, der mit Sargente Ruiz sprach. Der dickliche Sargente gestikulierte hektisch und Velasquita lachte unwillkürlich auf.
„Still.“ Alejandro legte die Hand vor ihren Mund und drückte sie auf den Boden, indem er sich auf ihren Rücken legte. „Ich sage dir, das hat etwas zu bedeuten, dass die Soldaten nachts marschieren. Sie hätten bis zum Tageslicht warten können.“
„Sie haben es halt eilig“, flüsterte Velasquita.
„Und warum treiben sie dann die Maultiere in das Castillo? Ah, siehst du, jetzt kommen sie wieder heraus.“ Alejandro stieß ein leises Zischen aus. „Siehst du das?“
„Was soll ich sehen?“ Velasquita rieb ihr nacktes Gesäß ein wenig an seinem Körper und sie spürte, dass dies nicht ohne Wirkung war.
„Etwas an den Kisten ist anders“, flüsterte Alejandro und blickte angestrengt zu der kleinen Festung. „Ich kann nur nicht genau erkennen, was das ist.“
Sie rieb ihr Gesäß etwas deutlicher an seinen Lenden. „Ist das so wichtig?“
Alejandro stieß ein leises Ächzen aus. „Nein, nicht so wichtig“, stimmte er zu. Er begann seine Hüften ein wenig zu bewegen und seine Männlichkeit wuchs. „Ich glaube, das ist überhaupt nicht wichtig.“
Velasquita sah, wie die Cazadores und die Maultiere wieder die Straße in Richtung Andajoz entlang marschierten und wandte sich achselzuckend ab, drehte sich auf den Rücken und Alejandro protestierte belustigt, als er herunter rutschte. Sie lachte leise und öffnete sich ihm und Alejandro schob sich zwischen ihre willig geöffneten Schenkel.
Jesus Christus, es gab so viel wichtigeres, als eine Handvoll Cazadores und ihre blöden Maultiere. Es gab ein ganzes Universum, welches sich in strahlenden Augen spiegelte.
Kapitel 4 Das versteckte Tal
Das Tal verlief von Norden nach Süden und eigentlich war es eher ein Talkessel, denn ringsum stiegen steile Felswände auf. Der einzige Zugang befand sich an seiner östlichen Seite, ein finster wirkender Tunnel in den Felsen, der gut zu verteidigen war. Von dort aus konnte man das Tal gut überblicken. Im Norden war ein kleiner Wasserfall, von einem Gebirgsbach gespeist, der über einen Felsvorsprung herabstürzte, einen kleinen See bildete und dann durch das Tal lief, um irgendwo im Süden zwischen den Felsen zu verschwinden. Das Tal war überraschend grün, denn entlang des Bachlaufes wuchsen Baumgruppen und es gab ausgedehnte Grasflächen, von wilden Blumen bedeckt.
In der Mitte erhob sich eine kleine burgähnliche Anlage, die eine Mischung aus einem alten Castillo und einem herrschaftlichen Anwesen hätte sein können. Diese kleine Festung war von einer Vielzahl Hütten umgeben. Im Gegensatz zu der festungsähnlichen Anlage wirkten diese grob gefügt und schienen eher ein Provisorium zu sein. Obwohl sie jüngeren Datums waren, wirkten sie weit baufälliger als die alte Anlage. Einige bestanden aus kaum mehr als drei Wänden und einem Dach, die Stirnseite mit einer Tuchbahn als Wetter- und Sonnenschutz versehen, nicht viel mehr als ein Unterstand. Andere wiesen mehrere Räume und sorgfältigere Bearbeitung auf, je nachdem, welchen Aufwand die Benutzer ihrer Behausung zuteil werden ließen.
Es war offensichtlich, dass es einst nur die festungsähnliche Anlage im Tal gegeben hatte und das es nun zusätzliche Bewohner gab, die hier lebten.
Das Tal war so abgelegen und versteckt, dass es nur wenige Gründe geben konnte, hier zu leben. Der Wunsch, ein Leben abgeschieden vom Rest der Welt zu führen oder sich vor diesem Rest der Welt zu verbergen. Für die jetzigen Bewohner des abgeschiedenen Talkessels galt Letzteres. Sie verbargen sich vor den Blicken der Welt, wenn auch aus verschiedenen Gründen.
Bei Delfina und Fradique war es die Angst gewesen, die sie hierher getrieben hatte.
Sie hatten in Salamanca gewohnt und den Einmarsch der Franzosen miterlebt. Wie die Truppen des Kaisers über die Brücke mit den vielen Bögen in die Stadt marschierten und sie besetzten. Es hatte ihnen nicht gefallen, denn sie waren dem spanischen Königshaus treu verbundene Patrioten. Aber sie hatten es hingenommen, denn ihr Pater ermahnte sie zur Ruhe.
Padre Patricio Cortes war Rektor der irischen Schule und lehrte Naturgeschichte und Astronomie. Eigentlich war er gebürtiger Ire und hieß Dr. Patrick Curtis, aber das störte weder Fradique noch seine Delfina, denn der 72-jährige war ein gebildeter Mann und guter Katholik. Als Ire hielt er nicht viel von der Monarchie, vor allem nicht der englischen, die sein Land unterjochte, aber vom Kaiser der Franzosen hielt er offensichtlich noch weit weniger. Dennoch mahnte er zur Ruhe und seine Studenten folgten seinem Rat.
Fradique studierte die Naturwissenschaften und träumte davon, später durch wissenschaftliche Erkenntnisse das Los der einfachen Bauern zu erleichtern. Sein Vater, einer der Grundbesitzer, hielt nicht viel von dieser Idee, aber da Fradique weder die militärische Laufbahn einschlagen, noch Priester werden wollte, gewährte der Vater ihm das Studium. An der katholischen Schule von Padre Cortes hatte Fradique dann Delfina kennen und lieben gelernt.
Nicht, dass sie dort studiert hätte. An Cortes Schule galt es, Sitte und Anstand in jeglicher Form zu wahren. Aber die Tochter aus gutbürgerlichem Haus erschien gelegentlich in der katholischen Schule und der Padre hatte ihr gewährt, in seiner gut bestückten Bibliothek zu stöbern. Der Ire schien keinen Zweifel zu haben, dass eine Frau den Inhalt der Bücher ebenso gut verstehen könnte, wie einer der männlichen Studenten, was Fradique zunächst verwunderte, bis Delfina ihn in ein Gespräch verwickelte. Irgendwann, während der Diskussion um eines der physikalischen Gesetze, war es dann geschehen und sie hatten sich ineinander verliebt.
Padre Cortes tolerierte ihre Gefühle, auch wenn er eisern darauf achtete, dass die Liebenden innerhalb der Schule die Form wahrten. Delfina bewohnte eine Kammer bei einer älteren Dame, der sie ein wenig zur Hand ging und Fradique lebte in der katholischen Schule des Padre. Für die beiden wurde die große Plaza Mayor zu jenem Ort, an dem sie frei über ihre Gefühle sprechen und sie, wenn auch in begrenztem Umfang, offen zeigen konnten, denn die Plaza war der Treffpunkt der Generationen und der Geschlechter.
Siebzig Jahre hatte man an dem riesigen Geviert gebaut, das von nahezu ununterbrochenen Häuserzeilen umgeben war. Die gewaltige Plaza war von dreistöckigen Häusern flankiert, welche selbst die umlaufenden Säulengänge der Plaza überragten. Plaza und Häuser waren reich verziert und kunstvoll gefertigt, so dass die Kombination von beiden der Komposition eines Kunstwerkes gleichkam. Es war ein Ort der Schönheit und ein Ort der Begegnung.
Die Säulengänge der Plaza Mayor waren es, welche in Salamanca zu einer Besonderheit geführt hatten. Jeden Abend konnte sich hier die Bevölkerung treffen, ungeachtet ihres Standes, denn die Plaza gehörte niemandem und zugleich allen. Während die männlichen Bewohner an der Außenseite des Säulenganges entlang schlenderten, nutzten die weiblichen Bewohner die Innenseite im gegenläufigen Sinn, so dass man sich begegnete, Blicke tauschte und dann weiterschritt, um sich, vielleicht, bei der nächsten Runde zwischen den Säulen zu treffen und näher kennenzulernen.
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