„Ole und ich werden im Laufe des Vormittags nach Borgstadt rausfahren, ich will ihm unsere Baustelle zeigen und Ole ist sehr daran interessiert, sie zu sehen“, sagte Fiete. Zunächst gab es von den Frauen gar keine Reaktion, schließlich entgegnete Solveig aber:
„Ich finde, das ist eine sehr gute Idee, fahrt Ihr nur nach Borgstadt, Clarissa und ich werden uns einen gemütlichen Tag machen, im Übrigen tut mir etwas Ruhe, wie ich glaube, ganz gut, es ist schon ganz in Ordnung, wenn ich heute einmal nicht so sehr herumlaufen muss!“ Clarissa schwang ganz auf Solveigs Linie ein und ergänzte:
„Wir beide werden dann so richtig relaxen, in der Sonne liegen und vielleicht heute Nachmittag Kaffee trinken gehen!“ Fiete bekam schon mit, wie Clarissa versuchte, den Ausflug nach Borgstadt durch ihre Ankündigung des Relaxens und Kaffeetrinkens noch zu toppen. Er beließ es aber dabei und rührte nicht weiter an dem Thema. Sie frühstückten ganz gemütlich in der Sonne und Fiete fuhr sogar die Markise heraus, damit sie Schatten hatten, denn die Sonne schien schon am Morgen sehr warm auf die Terrasse.
Sie saßen noch eine Stunde auf der Terrasse und Clarissa fragte, wann denn am nächsten Tag Solveigs und Oles Rückflug nach Oslo ginge. Ole antwortete:
„Unsere Maschine fliegt erst um 16.05 h, wir können also in aller Ruhe packen und es ganz gemütlich angehen lassen!“ Fiete und Ole räumten den Frühstückstisch wieder ab, und Fiete drängte plötzlich darauf, loszufahren. Sie verabschiedeten sich von den Frauen und Fiete teilte ihnen mit:
„Ich weiß noch nicht, wann wir wieder zurück sein werden, es kann sein, dass es später Nachmittag werden wird!“
„Nehmt Euch nur Zeit, und zeige Ole alles, was ihn interessiert, Clarissa und ich werden es uns hier gemütlich machen, Ihr braucht auf uns keine Rücksicht zu nehmen!“ Die beiden liefen vor das Haus und setzten sich in Fietes Wagen. Fiete fuhr los und steuerte in Richtung Stade, denn der kleine Ort Borgstadt lag einige Kilometer von Worpswede entfernt in dieser Richtung. Schnell hatten sie Worpswede hinter sich gelassen und fuhren durch das menschenleere Teufelsmoor, hin und wieder passierten sie verlassene Käffer oder Orte, in denen nur ganz wenige Alte lebten und bei denen man sich fragte, was die Menschen dort wohl den ganzen Tag über machten. Schließlich erreichten sie nach 20 Minuten Fahrt, in denen Fiete ordentlich Gas gegeben hatte, Borgstadt, ein unbedeutendes Nest, in dem aber die Gemeindeversammlung demokratisch darüber befunden hatte, den Ort mit Strom aus Windkraft zu versorgen.
Man wollte von dem Anbieter E.ON, den Fiete noch sehr gut kannte und bei dem er 3 Jahre lang gearbeitet hatte, unabhängig werden. Die Gemeindevertreter hatten von Fietes kleiner Firma in Osterholz-Scharmbeck gehört und unterstützen deren Vorhaben, kleine Stromabnehmer zu fördern und ihnen den Weg zu alternativen Energien zu öffnen. Vor dem Ort bog die Straße ab zu einer Endmoräne, die weit und breit die einzige Erhöhung in der Landschaft war und deshalb viel Wind hatte. Genau auf diese Endmoräne wollte Fiete mit seiner Firma die drei Türme seiner Windkraftanlage setzen. Nachdem er mit Ole dorthin gefahren und sie ausgestiegen waren, hatten die beiden einen wunderschönen Blick auf die Landschaft, die Endmoräne war zwar kein Berg, von dessen Gipfel man weit ins Land hinausschauen konnte, ihre 25 Meter ü.d.M. reichten aber aus, in der ansonsten flachen Umgebung auch weite Entfernungen überblicken zu können. Borgstadt lag zu ihren Füßen und die Einzelgehöfte, die den Ort ausmachten, scharten sich um eine mittelgroße Kirche, die das Ortszentrum bildete und der Anlaufpunkt für die Ortsbewohner war. Auf der Endmoräne, die den Namen „Die Heist“ trug, war eine große Baustelle mit einem Zaun aus Baustahlmatten abgetrennt, und man konnte dort 3 Betonfundamente mit jeweils 12 herausragenden Gewindestangen erkennen, auf die die ersten Bauelemente schraubt werden würden.
„Das erinnert mich doch alles sehr an unsere Baustelle in Flakstad, es fehlt nur das Meer“, schwärmte Ole und lief auf eines der Fundamente, die tief in der Erde lagen, um den Türmen der Windkraftanlage auch den nötigen Halt geben zu können. Mit einem Mal ertönte eine sehr laute und zornige Stimme:
„Was machen Sie denn da auf der Baustelle, können Sie nicht lesen?“, und die Person, zu der die Stimme gehörte wies auf das Baustellenschild, auf dem geschrieben stand:
„Betreten der Baustelle verboten, Eltern haften für ihre Kinder“. Fiete lief auf die Person zu und erkannte in ihr sofort den Gemeindevorsteher, mit dem er lange Gespräche über die Windkraftanlage geführt hatte, und der Gemeindevorsteher erkannte Fiete dann auch.
„Herr Kleen, ich habe Sie zuerst gar nicht erkannt“, und er reichte Fiete seine Hand zum Gruß. Fiete stellte Ole als seinen alten Arbeitskollegen von den Lofoten vor und erklärte, dass er ihm einmal die Baustelle zeigen wollte, sie hätten auf den Lofoten eine ganz ähnliche Anlage gebaut, nur wäre die bedeutend größer gewesen. Björn Dicksen war der Name des Gemeindevorstehers, und er lief mit den Besuchern die Baustelle ab.
„Wir haben diese Stelle für unser Windkraftwerk ausgesucht, weil hier oben immer genug Wind weht, um die Rotoren anzutreiben!“
„Woher stammen denn die Bauteile?“, fragte Ole und Fiete antwortete, dass er in Verbindung mit einer Hamburger Firma stünde, die die Bauteile, die er in Abhängigkeit vom Baufortschritt brauchte, anlieferte.
„Wenn alles gutgeht, fangen wir übermorgen mit der Montage der Türme an!“
„Wenn Sie etwas Zeit haben, können Sie doch mit zu mir nach Hause kommen, ich zeige ihnen Borgstadt, und wir setzen uns ein wenig bei mir hin“, schlug Björn Dicksen vor.
„Sehr gern!“, antwortete Fiete, „ich will meinem norwegischen Freund nur noch erklären, wie das mit den Türmen vonstattengehen wird!“ Fiete lief zu einer Art Lagerplatz vor und sagte, dass das der Ort wäre, an dem die Bauteile gelagert werden würden, der mobile Kran würde die Bauteile abholen und auf die entsprechende Höhe hieven. Mehr brauchte er Ole nicht zu erklären, den Rest kannte er noch von der Baustelle auf den Lofoten und Ole erläuterte Björn Dicksen:
„Ich war Vorarbeiter in der Baugruppe und hatte mit der Bauteilmontage zu tun, von daher weiß ich ganz genau, wie die Arbeit hier ablaufen wird, wir hatten auf den Lofoten manchmal mit schlechtem Wetter zu kämpfen, ich denke dass das hier kein Problem sein wird!“ Daraufhin verließen die Männer den Bauplatz wieder und Fiete schloss den Zaun, Björn Dicksen fuhr in seinem Wagen vor und Fiete und Ole folgten ihm.
Sie erreichten nach 2 Minuten Borgstadt und parkten vor Björn Dicksens Haus, stiegen aus, und der Gemeindevorsteher schlug vor, dass sie in paar Schritte in den Ort machen sollten. Im Nu standen sie neben der Kirche und im Zentrum des Ortes, in dem es auch den „Dorfkrug“ gab, eine Kneipe, wie sie jeder Ort hatte, wenn er genügend Einwohner hatte, die auch mal ein Bier trinken gingen. Es gab vor der Gaststätte sogar einen Außenbetrieb mit Bedienung und die drei setzten sich dorthin. Björn Dicksen grüßte in die Runde, denn schließlich kannten ihn alle, die dort saßen, und er kannte jeden seiner Dorfbewohner. Er war sehr beliebt und würde das Amt des Gemeindevorstehers wohl noch viele Jahre lang ausüben, weil ihn die Einwohner von Borgstadt immer wieder wählten, und es zu ihm keine Alternative gab.
Als der Ober zu ihnen an den Tisch kam, grüßte auch er den Gemeindevorsteher und Björn Dicksen sagte nur:
„Drei Bier, drei Korn!“, und der Ober verschwand, um die Getränke zu holen.
„Meinen Sie wirklich, dass wir zu dieser frühen Tageszeit schon Bier und Schnaps trinken sollten?“, fragte Fiete den Gemeindevorsteher und der antwortete:
Читать дальше