„Und Du, Fiete, willst Du auch ein Stück Kuchen?“, fragt Clarissa.
„Mir ist das noch zu früh, ich nehme keinen Kuchen“, antwortete Fiete. Als die Frauen wieder aus dem Laden nach draußen gekommen waren, sagte Clarissa, dass Solveig und sie Schwarzwälder Kirschtorte ausgesucht hätten, und im gleichen Augenblick kam die Bedienung und brachte ihnen die Tortenstücke.
„Das ist ja eine unglaublich große Kuchenauswahl in dem Cafe, so etwas gibt es bei uns nicht!“, sagte Solveig. Sie saßen längere Zeit vor dem Cafe und betrachteten das geschäftige Treiben auf dem Markt, sie redeten nicht viel, weil sie sich ganz in dem Betrachten der Szenerie verloren, bis Fiete aber schließlich vorschlug:
„Wenn wir mit dem Kaffeetrinken fertig sind, sollten wir ein paar Schritte durch den Ort laufen!“, und alle waren sie einverstanden.
„Ich denke, dass ich in den nächsten Stunden keinen Happen essen werde, so mächtig ist die Torte gewesen“, sagte Solveig und Ole pflichtete ihr bei. Anschließend standen sie auf und begannen einen kleinen Spaziergang durch Osterholz-Scharmbeck, sie ließen sich einfach dahintreiben und achteten nicht auf die Zeit, denn sie hatten keinen Druck im Nacken. Mit Rücksicht auf Solveigs und Clarissas Zustand wollten sie keinen Gewaltmarsch machen, sondern hielten sich im Ortszentrum auf, liefen an den Schaufenstern vorbei und setzten sich ab und zu auf eine Bank, um auszuruhen. Nach eineinhalb Stunden brachen sie ihren Spaziergang ab und fuhren wieder nach Hause. Solveig ließ anklingen, dass sie sich gerne eine Stunde hinlegen wollte, und so machten sie alle eine Nachmittagspause, in der sich jeder auf seinem Bett ausruhte. Das war etwas, das für Clarissa und Fiete sonst nie in Betracht kam, sie genossen aber beide die angenehme Entspannung und Fiete schlief sogar ein und musste nach einer Stunde von Clarissa wieder geweckt werden, sie selbst hatte während dieser Zeit gelesen. Als sie zusammen mit Fiete wieder ins Wohnzimmer zurückgelaufen war, kamen Solveig und Ole auch, und sie setzten sich alle hin, Fiete holte für jeden etwas zu trinken.
Sie begannen ein Gespräch über dieses und jenes und man merkte gleich wieder, dass sie auf der gleichen Wellenlänge lagen, was Probleme im Allgemeinen betraf oder bestimmte Alltagsphänomene. Ole fing an, über die verschiedenen Geschlechter und deren Bedeutung für das Leben zu zweit zu reden. Er sagte, dass es zwischen Solveig und ihm volle Gleichberechtigung geben würde, und er überhaupt keine Sinn darin sähe, die Rolle des Mannes überzubetonen, wie das viele täten.
„Das sind doch alles alte Kamellen, Fiete und ich leben auch in voller Gleichberechtigung und werden das wohl auch immer tun, ich finde, dass da auch Probleme herbeigeredet werden, die in Wirklichkeit so gar nicht existieren, jedenfalls nicht bei Menschen unseres Alters.“
„Es gibt aber doch Streit um die Rollenverteilung in der Ehe, das kann man nicht von der Hand weisen“, entgegnete Fiete.
„Ich glaube, dass Männerdominanz aus Minderwertigkeitskomplexen heraus gefordert wird, vielleicht war das in Zeiten, in denen es auf Körperkraft ankam, wenn man bestimmte Alltagsprobleme lösen wollte, ein Thema, dass dem Mann dann eine größere Bedeutung zukam als der Frau, aber das spielt doch heute wohl keine Rolle mehr“, führte Ole aus. Im Anschluss an ihr Gespräch über Geschlechterrollen kamen sie auf Erziehungsfragen zu sprechen und Solveig betonte, dass sie ihre Astrid so frei wie möglich erziehen wollte, und sie bekam in diesem Punkt Rückendeckung von Ole.
„Auch das ist ein Punkt, um den für meine Begriffe viel zu viel Wirbel gemacht wird, selbstverständlich sollte man seine Kinder frei erziehen, welchen Sinn sollte es denn machen, ihnen Gewalt anzutun?“, fragte Clarissa.
„Es gibt aber Situationen, in denen man als Eltern den Kindern gegenüber Gewalt anwenden muss, zum Beispiel, um sie vor Gefahren zu schützen, aber das ist dann für alle Beteiligten nachvollziehbar und dient nicht dazu, die eigene Person aufzuwerten“, meinte Solveig.
„Wenn mein Kind in ein tiefes Loch zu fallen droht, werde ich es mit all der Körperkraft, über die ich verfüge, schnappen und zurückreißen, und wenn es noch so schreit!“, sagte Fiete.
„Aber es geht in unserem Gespräch ja wohl um Fälle, in denen der Kindeswille Vorrang gegenüber dem Elternwillen haben soll, und da muss man abwägen, natürlich ist es eine Form von Gewalt, den Elternwillen durchzusetzen, das macht aber meistens auch Sinn und ist nicht immer für das Kind einsehbar“, so Ole.
„Es gibt Eltern, die auf einen ganz bestimmten Verhaltenskodex setzen und ihn ihren Kinder auch abverlangen, ob das Kind das nun einsieht oder nicht, und da muss man schon fragen, warum die Eltern so etwas tun“, sagte Solveig.
„Wir haben leicht reden und müssen erst einmal abwarten, wie sich die Situationen darstellen, wenn unsere Kinder auf der Welt sind und ihre Ansprüche durchsetzen wollen, ich finde, wir sollten uns dann noch einmal zusammensetzen!“, sagte Clarissa. Es war über das Gespräch schon später Nachmittag geworden, und Fiete schlug vor, dass er zusammen mit Ole Kuchen kaufen ging, während die Frauen Kaffee kochten. Gesagt, getan, Fiete und Ole standen auf und liefen zum Bäcker, und als sie die Bäckerei betreten und die Kuchenauswahl vor sich hatten, waren sie sich unschlüssig, klar war aber, dass sie keine mächtigen Tortenstücke kaufen wollten. Stattdessen nahmen sie für jeden zwei Hefeteilchen, liefen wieder zurück, und als die Frauen sahen, was sie gekauft hatten, sagte Clarissa, dass niemand zu viel von den Teilchen nehmen sollte, denn am Abend wollten sie wieder in den Worpsweder Bahnhof und dort essen.
„Ich finde, dass wir morgen die Sehenswürdigkeiten von Worpswede abklappern sollten, Solveig und Ole sollen schließlich mit einem guten Eindruck von unserem Künstlerdorf wieder nach Hause fliegen“, sagte Fiete.
„Morgen, am Pfingstsonntag, wird es zwar überall voll sein, aber ich glaube trotzdem auch, dass wir das machen sollten, so schnell kommt ihr beiden ja nicht wieder nach Worpswede!“
„Sag das nicht, vielleicht sind wir schon im nächsten Jahr wieder mit unserer Astrid bei Euch, wir wissen ja jetzt, wie wir fliegen müssen, und ein so großer Aufwand ist das gar nicht, nicht wahr Ole!“, Ole nickte und antwortete, dass im Sommer erst einmal Clarissa und Fiete auf die Lofoten kommen müssten:
„Danach sehen wir weiter, auf jeden Fall darf der Kontakt nicht abreißen!“
„Fahrt Ihr eigentlich öfter mal zu Euren Eltern nach Braunschweig bzw. Süderland?“, fragte Solveig.
„Das haben wir schon lange nicht mehr getan, und wir sollten uns eigentlich schämen, ich denke aber, dass wir so in drei Wochen alle, das heißt auch die Braunschweiger und Isolde und Jan mit Anhang nach Süderland fahren werden und dort 3 bis 4 Tage verbringen, jetzt, im Vorsommer, ist es auf Süderland besonders schön, es ist noch nicht ganz so heiß, wie es im Sommer werden kann und die Touristenströme wälzen sich noch nicht über die Insel, Clarissa und ich haben die besten Erinnerungen an meine Heimatinsel, wir haben uns dort schließlich kennen und lieben gelernt.“
„Ich weiß noch wie heute, wie Isolde, meine Schwester und ich von Süderland geschwärmt haben und dem Zeitpunkt, an dem wir mit den Eltern dorthin in Urlaub gefahren sind, entgegenfieberten, und als wir endlich da waren, verging die Zeit wie im Fluge“, erzählte Clarissa voller Wehmut.
„Aber Ihr habt Euch doch auch außerhalb der Urlaubszeit besucht?“, fragte Ole.
„Ich bin ein paarmal mit meinem Bruder Jan mit dem Intercity nach Hannover gerast und von dort mit einem Nahverkehrszug nach Braunschweig gefahren, in der Zeit, in der ich auf dem Internat in Esens gewesen bin und Clarissa das Gymnasium in Braunschweig besucht hat, haben wir in ständigem Email-Kontakt zueinander gestanden und Ihr beide habt Euch doch erst kennengelernt, als wir in Flagstad die Baustelle eröffnet haben, und die Arbeiter immer ins „Hansa“ zum Biertrinken gegangen sind!“, sagte Fiete zu Ole. Ole sah Solveig an, wie er das damals immer getan hatte, wenn Solveig hinter der Theke gestanden hatte und seinen Blick verliebt erwiderte.
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