Irgendwann, es war noch dämmerig, ich dachte, ich träume noch, erklang eine Vogelstimme. Bald darauf erklang eine Antwort. Kurzes Schweigen. Dann erneut. Aus diesem Zwiegespräch wurde ein Chorgesang, der bald in eine Orchesteraufführung ausartete. Nie zuvor hatte ich ein solch intensives Vogelkonzert gehört. Das musste wohl an der Nähe Salzburgs, der Musikmetropole, liegen!
Cat Stevens neuester Schlager kam mir in den Sinn: „Morning has broken like the first morning, blackbird has spoken like the first bird. Praise for the singing, praise for the morning, praise for the springing fresh from the word…“ Vorsichtig öffnete ich den Reißverschluss des Zeltes und kroch hinaus. Die Vögel ließen sich durch mein Erscheinen nicht aus dem Takt bringen, blieben aber unsichtbar. Barfuß ging ich durch den frischen Tau zum nächsten Baum, um ihn zu gießen. Dampf stieg auf. Im Mai sind die Nächte noch frisch. Meine erste Versuchung war, wieder in den warmen Schlafsack zu kriechen. Doch dann sah ich das Motorrad und mit dem sorglosen Morgen war es vorbei. Es stand Schrauberei in Aussicht! Ich hatte nackt geschlafen. So finde ich es am Wärmsten. Die Kleider dienen besser als Isolierung für den Boden. Ich zog ein Hemd über. Die Hosen machten Probleme, wegen der nassen Füße. Als ich endlich unter Herumhüpfen einen Fuß durch ein Hosenbein gezwängt hatte, änderte ich die Methode. Ich setzte mich und zog erst mal die Stümpfe an. Dann ging alles wie geschmiert. Die Stiefel an die Füße, den Rollkragenpullover über und an’s Tagesprogramm!
Ich pumpte Druck in den Benzinkocher, ließ etwas Sprit in die Vorwärmpfanne laufen und hielt das Feuerzeug hin. Mit einem „Wuff“ ging er an. Bald summte das Wasser im Topf auf dem fauchenden Kocher und ein würziger Teeduft breitete sich aus. Wegen dieses Gebräus also hatten die Engländer die halbe Welt erobert! …8 o’clock tea. Das erste Frühstück meiner Reise. Ich fühlte mich wie ein Gast im Schlaraffenland. Tee, Knäckebrot und Honig!
Die ersten Sonnenstrahlen spitzten bald durch die Zweige und gaben der Welt neue Farben. Mir war, als käme plötzlich eine dritte Dimension in den Wald. Als bald darauf eine wohlige Wärme sich ausbreitete, fühlte ich mich wie in einer vierten. Die Vögel beruhigten sich. Nicht aber mein Verstand. Dieser beschäftigte sich schon eine ganze Weile mit dem Motorrad. Wo also beginnen? Ich ging einmal herum. Hingen da nicht zwei Speichen quer im Hinterrad? Das kann doch nicht sein! Es waren sogar drei, die abgebrochen waren. Zum Glück an der Nabenseite. Somit konnte ich sie herauspulen und mittels Kombizange und Speichenschlüssel aus der Mutter drehen. Ich suchte im Seitenwagen nach den Ersatzspeichen, die irgendwo in einen Lappen gewickelt sein mussten. Dabei fand ich auch die Luftpumpe. Ich lasse vorsichtshalber die Luft aus dem Reifen. Das fehlte gerade noch, dass ich selber einen Plattfuß machte! Die Karre sackt langsam ab. Ich hätte sie vorher aufbocken müssen, damit ich das Rad drehen kann… Ich fummele die neuen Speichen in die Nabe. Suche nach dem Wagenheber. Ich prüfe alle Speichen an allen drei Rädern. Alle haben ein bisschen mehr Spannung nötig. Ich wisch das Öl von der Hinterradfelge. Der Kardanantrieb leckt ziemlich. Hoffentlich setzt es sich nicht zwischen Reifen und Felge! Oder gelangt in die Bremse… So, und jetzt etwas Fußgymnastik mit der Luftpumpe. Langsam hebt sich der Elefant in die Höhe.
All diese Nebensächlichkeiten haben mich vom Hauptproblem abgebracht: die Zündung. Zum Glück hatte der Vorbesitzer an alles gedacht! Ich entferne den Deckel auf dem Motorblock und wechsle die Spulen. Ich will die Verkabelung mit der Lichtmaschine prüfen und schraube an der Stirnseite den runden Deckel ab. Die Rillen in den Schräubchen sind gut abgelutscht. War dieses Teil schon öfters abgeschraubt worden? Etwas Wasser läuft raus. Regenwasser oder Kondenswasser? Ich wische mit dem Lappen Rost und Wasser weg und blase alles mit der Pumpe aus. Lasse das Ganze offen, damit es nachtrockenen kann. Mein Zelt ist inzwischen auch getrocknet. Ich baue es ab und verstaue es mitsamt Schlafsack und dem Rest im Seitenwagen. Ich zurre alles gut fest und beseitige alle Lagerspuren. Dann den Deckel auf den Motor. Ich bin bereit, weitere Kilometer zu verschlingen! Benzinhahn auf, Luftklappen zu, Kickstarter ausgeklappt und getreten. Nix tut sich. Klar, kalter Motor, das dauert immer etwas. Dafür wird mir immer wärmer! Ich lege also erst mal wieder ab. Bald bin ich nur noch in Hemd und Hose. Wenn das so weitergeht, dann bald „ohne Hemd und ohne Hose, mit einem Feigenblatt!“ Ich verzweifle langsam und werde sauer. Und zweifle auch an der Maschine.
Ich prüfe auf Zündfunken. Gar nicht so einfach, mutterseelenallein mitten im Walde. Nix! Also Werkzeug raus, Deckel ab, ist ja schon Routine, die hätten vom Werk her gleich Klips einbauen sollen, anstatt dieser zeitraubenden Schrauben! Warum nicht auch Klips auf der Kurbelwelle, um die Magnetscheibe schnell abzuziehen? Klips überall. Ich werde das mal denen im Werk vorschlagen. Vielleicht wird mal ein Motorrad nach mir, dem Erfinder der Klips benannt! Vorerst schraube ich die noch nicht klipsige Zündspule los und tu die alte wieder rein. 8 Minuten und zwei schwarze Hände: Mein neuester Rekord! Diesmal lasse ich das Werkzeug draußen. Ich kicke. Und da, ich glaube, ich halluziniere, der Motor springt an. Ich werde bald noch anfangen, an Wunder zu glauben! Ich stelle das Standgas etwas hoch, damit der Motor nicht ausgeht, packe in Rekordzeit alles Werkzeug zusammen und springe auf den Rücken meines Elefanten. Sozusagen ein fliegender Start. Dieser macht einen Freudensprung, stellt die Ohren ab und wäre fast davon gesegelt, wie Dumbo - aber ach, er war zu schwer. Also rollen wir weiterhin auf drei Rädern. Hinter uns auf der Waldlichtung schwebt eine blaue Wolke.
In meinem Kopf wirbeln die Gedanken fast so schnell wie das Öl in seiner Wanne: Was kann die Panne sein? Das Kraftstoffsystem? Nein. Mir wird klar: die Austauschzündspule ist kaputt! 100 prozentig! Eine Frage kristallisiert sich in meinem wirbelnden Hirn: Was, wenn die anderen Ersatzteile auch Schrott sind? Dann fahre ich da mit 200 Kilo Müll durch die Gegend! Das kann nicht sein, sage ich mir, Motorradfahrer sind Kumpel, helfen einander! Kaputte Teile schmeißt man weg und verkauft sie nicht als Ersatzteile!
Es genügen mir schon 15 Minuten problemloses Fahren, und meine Zuversicht ist wieder auf dem Höchstpunkt. Mit der Zeit gewöhnt man sich an alles. Das eigenartige Geräusch des linken Zylinders lässt mir anfangs keine Ruhe. Spiel in den Kurbelwellenlagern? Dann wäre es beidseitig. Auch hatte ich nichts festgestellt, bevor ich den Motor wieder zusammengebaut hatte. Auch am Pleuel hatte ich kein übermäßiges Spiel bemerkt. Bleiben nur die Ventile. Man bräuchte eine Röntgenbrille. Vielleicht ist alles nur Einbildung, und durch den Seitenwagen klang es auf der rechten Seite halt anders. Inzwischen hatte ich mich schon an das Geräusch gewohnt. Der Motor lief ja. Schon 500 Kilometer. Das Augenblicksproblem war, dass mein Elefant großen Durst hatte und einen sehr kleinen Tank. Ich kam gerade mal 200 Kilometer mit einer Füllung. Er soff fast so viel wie mein alter Bulli! Ab der nächsten Tankstelle füllte ich also einen der Benzinkanister, um nicht mal aus Versehen auf der Strecke zu bleiben. Benzinuhr hatte er keine, nur Reservehahn. Und so weit wollte ich den Tank nicht leeren, aus Angst, der Motor würde dann nicht mehr anspringen.
Ich fuhr jetzt auf der Landstraße. Jedes Bremsen, jede Beschleunigung ging stark in die Arme. Jede Kurve verlangt volle Konzentration und Technik. Langsam verwandelte ich mich von einem Motorradfahrer zu einem Gespann-Kapitän. Ich durchfuhr grüne Alpentäler, erklomm Pässe, kam durch Bilderbuchdörfer und schmucke Städte. Die Städte liebte ich nicht sehr. Oft Stau und Ampeln. Ich fand, die Städte hielten mich auf. Um Städte zu sehen, hätte ich nicht wegzufahren brauchen. Die haben wir in Deutschland zur Genüge. Ich wollte Länder sehen, Landschaften. Die Gebiete zwischen den Städten, deren Bewohner und Lebensweise!
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