Hohen Peißenberg. Die Serpentinen runter. Eine wahre Freude! Mit dem Gas spielen. Mit der Bremse. Je nach Kurvenrichtung und Gefälle. Vorbei an den schiefen, durch den Kohleabbau abgesunkenen Häusern, Richtung Weilheim. In der Ferne sah ich schon die B 2. Doch da ist vorher noch ein Bahnübergang. Und beim Näherkommen sehe ich, wie die Schranken zugehen. Die Autos vor mir halten an. Ich auch. Die Bremsen gehen noch. Da rauscht schon der Zug vorbei. Doch die Schranken bleiben zu. Nach einer Weile kommt der Gegenzug. Ein langer Güterzug mit unzähligen Wagen. Zu lang für meinen ungeduldigen Motor. Er schaltet ab. Scheiße! Ich mache mich sogleich ans Kicken. Natürlich rührt sich nichts. Doch! Die Autos hinter mir hupen! Verständlich. Würde ich auch machen! Als die Schlange der Entgegenkommenden vorbei ist, können die hinter mir endlich fahren. Sehen nicht gerade zufrieden aus, die Gesichter hinter den Scheiben. Ich bin‘s auch nicht. Habe ich doch gerade erst 50 von 50 000 Kilometern hinter mich gebracht! Die Insassen des letzten Autos haben Erbarmen mit mir. Sind vielleicht auch nebenher Motorradfahrer. Sie steigen aus und wir versuchen zu viert die Karre anzuschieben. Zum Glück gelingt das nach fast 100 Metern und ich qualme gleich weiter. Nur nicht wieder anhalten! Kurz darauf überholen mich meine Retter und stimmen ein Hupkonzert an und machen mir aus dem offenen Fenster das Peace-Zeichen. Noch heute muss ich die Zündspule umbauen, nehme ich mir vor! Ich schaue auf meine riesige Taucheruhr am Handgelenk. Bald Mittag. Da könnte ich mich an der alten Schule, wo ich mir noch das Geld für die verkaufte BMW abholen will, zum Essen einladen lassen. Denn dieses Geld hat meine Reisekasse bitter nötig! Beinhaltet sie noch nicht einmal 2000 Mark. Und die sollen mich bis nach Australien bringen!
Die Glocken läuten zu Mittag, als ich in den Seminarhof einreite. Die Sonne scheint, die Fenster des Speisesaales sind offen und eine Menge Schaulustiger beugen sich heraus, wohl durch den Lärm meines Panzers angelockt. Ich will das Gespann in Wegfahrrichtung bringen, falls man anschieben muss, und beschreibe eine enge Rechtskurve. Bin ich zu schnell, bremse ich die Maschine anstatt sie zu beschleunigen? Nur ein erfahrener Seitenwagenfahrer hätte mir in diesem Moment sagen können, was ich falsch gemacht habe. Jedenfalls geht plötzlich der Seitenwagen hoch. Ich bekomme Angst, dass sich alles überschlägt. In meiner Verzweiflung bremse ich. Der Wagen schwebt über mir in der Luft. Das Gespann hält zum Glück das Gleichgewicht. Nach ein paar unendlichen Sekunden fällt alles wieder zurück auf die Räder. Ich könnte vor Scham im Asphalt versinken. Ich warte auf das Gelächter der Zuschauenden. Doch diese klatschen vor Begeisterung die Hände. „Super!“ rufen sie „einfach gekonnt! Was für eine Fahrzeugbeherrschung!“
Josef, der neue Besitzer meiner alten Braut, kommt auf mich zu. Hat der’s aber eilig mit dem Zahlen, denke ich. „Deine Karre ist ein Schrott! Du hast mich beschissen!“ ruft er. „Was?“ erstaune ich mich, alles ist nagelneu und überholt!“ „Es ist noch nicht mal ein Regler drinnen! Die Lichtmaschine ist kaputt und du hast alles direkt an der Batterie angeschlossen!“ Ich muss lachen. „Schau mal genauer hin. Die Ladekontrollleuchte geht doch. Folglich funktioniert doch alles. Der Regler befindet sich im Scheinwerfer. Da wird er wenigstens nicht heiß!“ Inzwischen sind wir von anderen Schülern umringt. Josef schraubt seine Lampe auf. Findet den Regler. „Eigentlich keine schlechte Idee!“ Da kommt es mir: das könnte auch das Problem meiner Zündapp sein! Überhitzter Regler. Oder überhitzte Zündspule?
Ich nehme die Einladung zum Essen an. Josef zahlt mir die BMW. Inzwischen hat sich mein Motor abgekühlt und macht mir die Freude, gleich anzuspringen. Unter Gute-Reise-Rufen starte ich los. Um das hässliche Krachen des ersten Ganges zu vermeiden, tu ich erst den zweiten rein, dann schnell den ersten. Die sollen einen guten Eindruck von mir behalten!
So, die Kasse stimmt, der Magen ist zufrieden, meine Katze schnurrt, das Leben kann nicht schöner sein! Ich fahre Richtung Sauerlach, um die Autobahn zu nehmen. Ich muss heute noch etwas vorwärtskommen. Vor allem raus aus Deutschland! Das ist für heute mein Etappenziel. Als ich Salzburg umfahre und die Silhouetten der Kirchen und Schlösser sehe, lasse ich mich dennoch ein wenig in Erinnerungen an Konzerte und Besichtigungen wiegen. Doch dann kommt mir Hans Albers in den Sinn und „La Paloma“ und ich singe so laut und falsch wie der Motor, denn es hört ja keiner, vielleicht auch, um meine aufkommende Traurigkeit zu verscheuchen: „Wie grün ist das Land, wie weit kann der Himmel sein, ich schau vom Motorrad weit in die Welt hinein. Nach vorn geht mein Blick, zurück darf kein Fahrer schau’n, Deutschland liegt zurück, jetzt heißt es auf Gott vertraun‘!“ Doch das Singen machte mich nur noch trauriger. Was soll’s, auch Traurigkeit kann schön sein…
Etwas hinter Salzburg biege ich dann von der Autobahn ab, suche mir eine kleine Straße, dann einen Feldweg und finde einen versteckten Platz. Bevor ich den Motor ausmache, stelle ich die Maschine leicht bergab, in Wegfahrrichtung. Man kann nie wissen… Es ist noch hell. Die Stille, nach dieser langen Strecke, ist fast so laut wie der Motor. Erst jetzt bemerke ich das Stechen in meinen Armen und die klammen Hände. Doch zuerst mal Pinkeln. Dann die Arme schütteln, etwas rennen. Ich nehme mir vor, bei jeder Pause ein wenig Gymnastik zu machen. Bald steht das Zelt. Kein Haus, kein Hund weit und breit, niemand wird mich hier stören! Leise knistert der sich abkühlende Motor. Es riecht nach heißem Öl. Doch bald überdeckt der Geruch der kochenden Suppe alles andere. Ich bin fix und foxi, aber glücklich. Die erste Etappe ist geschafft. Und die Karre? Die soll auch erst mal ausruhen! Morgen sehen wir dann, wie’s weitergeht…
Die Nacht war kühl. Die Arme, vor allem die Hände, taten mir weh vom Lenker halten. Anfangs fand ich keinen Schlaf. Die Dunkelheit verstärkte alle Geräusche um mich herum. Ich hörte in der Ferne Hunde bellen. Oder waren das Wölfe? Ich verstaute meine Papiere im Fußende des Schlafsackes und legte das Finnenmesser griffbereit neben mich. Ich hatte 1000 Mark in Travellerschecks bei mir und 1000 in bar. Alles in Dollar. Ich hatte sie mir bei der Bank wechseln lassen. Das Bargeld hatte ich in einem Spezialgürtel versteckt, der meine Bluejeans hielt. Lange hatte ich nachgedacht, bis ich die ideale Lösung gefunden hatte: ein circa 15 Zentimeter breites Lederband, so lang wie ein normaler Gürtel, versah ich in Längsrichtung in der Mitte mit einem Muster aus Nieten. Dann faltete ich ihn auf der rauen Fläche zu einem Drittel an einer Längsseite nach innen, dann dasselbe an der anderen Seite. Mit Wäscheklammern hielt ich diese Art Schlauch zusammen, während ich die Knickkanten mit einem Hammer bearbeitete, damit sie die Form behielten. Dann nietete ich das dreifach gefaltete Leder an jedem Ende zusammen. Ein Ende schnitt ich spitz zu, das andere befestigte ich an der Schnalle. Die Schnalle bestand aus zwei Hufeisen, die ich mir gebogen hatte, weil ich mal in einem Film einen Cowboy gesehen hatte, der so eine Schnalle trug. Damals wollte ich noch Cowboy werden. Das mit der Weltreise kam erst später. In diesen Gürtelschlauch also steckte ich die Banknoten. Die Laschen an der Hose und die Spannung hielten all das zusammen. Mit der Zeit wurden die Knicke im Leder so kantig, dass man glaubte, es sei ein flaches Stück Leder. Das Nietenmuster machte die Täuschung vollkommen. Die Jeans mit Gürtel diente nachts als Isolierung, unter der Isomatte versteckt. Meine Papiere trug ich in einem Brustbeutel um den Hals. Diesen behielt ich meist auch nachts. Die Travellerschecks hatte ich entweder in einer Hosentasche oder in den Socken. Zudem hatte ich einen Geldbeutel mit der jeweiligen Landeswährung in einer Hosentasche. Dadurch, dass ich alle Wertsachen verteilt untergebracht hatte, fühlte ich mich sicherer. Irgendetwas würde mir schon noch bleiben, falls ich mal in schlechten Umgang geraten sollte! Jetzt fühlte ich mich gewappnet für die Nacht. Wie oft schon hatte ich draußen geschlafen, am liebsten unter freiem Himmel. Ich wusste: die Gefahr kam nicht von den Tieren oder der Natur. Die größte Gefahr für den Menschen ist der Mensch…
Читать дальше