»Sei bitte nicht albern Helen.« Titania war erstaunt über Helens Frage. Obwohl ihr eine Krone schon außerordentlich gut stehen würde, wie sie fand. »Ich bin keine Königin. Meine Mutter ist eine Elfe und mein Vater ein Zwerg. Deshalb bin ich auch etwas petit. Verstehst du?«
Helen sah sie wortlos an, beide Augenbrauen nach oben gezogen. »Offensichtlich nicht. Gut, dann also die Langfassung. Meine Mutter, Eleonora, ist eine Elfe. Sie war Schauspielerin am Theater, als sie meinen Vater kennenlernte. Er ist ein Zwerg und baute damals die Bühnendeko für das Theater. Sie probte, er baute, so lernten sie sich kennen. Du musst wissen, dass Zwerge handwerklich äußerst begabt sind. Tja, und da das Stück, in dem Mutter mitspielte, Shakespeares Sommernachtstraum war, fanden sie den Namen Titania wohl naheliegend.«
»Elfen? Zwerge?« Helen schaute noch verwirrter drein.
»Oh man, ich hätte besser Lehrerin werden sollen. Also pass auf: Elfen sind zierliche Geschöpfe mit länglichen Ohren, wie du an mir siehst. Und bevor du fragst, wir können nicht besser damit hören. Viele Elfen besitzen die Fähigkeit zum Manipulieren. Böse Elfen machen sich das zunutze und verwenden es für ihre kriminellen Machenschaften. Das Gute an Elfen ist, dass sie künstlerisch sehr begabt sind. Viele, viele Elfen sind große Künstler. Ob Maler, Tänzer oder Schauspieler, wir lieben die Kunst. Mein Vater, der ein Zwerg ist, hat ganz andere Eigenschaften. Natürlich ist er klein, deswegen bin ich auch nicht so groß geraten. Allerdings haben Zwerge beeindruckende Handwerkskünste. Viele sind Ingenieure oder haben eigene Firmen. Entgegen allen Gerüchten sind Zwerge freundliche und großzügige Wesen. In den Medien werden sie leider immer anders dargestellt. Und was wirklich besonders ist, sie sagen immer die Wahrheit. Zwerge können nicht lügen. Das macht sie übrigens so attraktiv für Frauen. Viele Richter sind übrigens Zwerge.«
Helen musste erst langsam diese Informationsflut verarbeiten. »Und welche Besonderheiten hast du von deinen Eltern?«
»Naja ….«, Titania überlegte kurz, »… diese hübschen Ohren sind von meiner Mutter. Von meinem Vater habe ich die Großzügigkeit und die Unfähigkeit zum Lügen.«
»Beweise es.«, Helen kniff die Augen etwas zusammen. »Sag mir, was ich noch nicht von dir weiß. Was war auf der Weihnachtsfeier vor drei Jahren, als ich krank war und nicht dabei sein konnte? Ich weiß bis heute nicht, was auf der Feier passiert ist.«
»Helen, zwing mich nicht dazu.«
»Oh doch, was passierte an jenem Abend?«
»Ich war voll wie ein Schichtbus und hab auf dem Tisch getanzt. Anschließend habe ich mit zwei Typen rum geknutscht und hab dann aber die Nacht mit der Barfrau verbracht.«
»Du hast was?« Helen sah völlig entgeistert ihre Freundin an. »Du sagtest mir doch, du wolltest nicht auf diese Party gehen.«
»Hey, das war auch nicht gelogen! Ich wollte wirklich nicht. Aber Johnny rief an und fragte mich, ob ich nicht auch Lust hätte zu kommen. Eins ergab das andere …. Du kennst das. Könnten wir nicht zurück zum Thema kommen, bitte?« Die Spitzen ihrer Ohren verfärbten sich aus Scham rot.
Helen stand wortlos auf und ging zu ihrem Globus rechts neben dem Kamin. Obwohl neueren Datums, war er altmodisch gebaut. Edles Mahagoniholz wurde für das Gestell verwendet und die Erdkugel war ebenfalls aus edlem Holz, die Kontinente stellten sich braun dar. In verschnörkelter Schrift konnte der Betrachter die Bezeichnung der Länder und Städte lesen. Scheinbar gedankenversunken drehte sie sacht an der Erde. Sie stoppte und strich über die antike Weltkarte, ihre Finger blieben ungefähr auf der Höhe des Äquators hängen. Ein sanfter Druck ließ die Nordhalbkugel nach oben klappen. Titania konnte nicht erkennen, was Helen im Inneren der Erde suchte. Ihre Freundin drehte sich um, in ihren Händen hielt sie eine Flasche Champagner. Sie befreite die Flasche von ihrer Verpackung am Korken und setzte die Daumenkuppen direkt unter dem Verschluss an. Sie brauchte nur wenig Druck und der Korken flog unter einem lauten Knall quer durch das sonst stille Zimmer. Titania traute sich nicht, diese unheimliche Ruhe, die nur vom Entkorken unterbrochen wurde, zu stören. Helen schaute kurz auf die Flasche, die sie neulich entdeckt hatte, als Sherlock auf den Globus sprang und diesen mit seinen Pfoten versehentlich öffnete. Es war eine goldene Flasche der Marke Armand De Brignac, auf dem Etikett glänzte das Symbol eines Asses mit dem Buchstaben A. Sie setzte die 295 Pfund teure Flasche an und ließ das prickelnde Getränk in ihren Mund fließen. Als sie absetzte, wischte sie sich den Mund mit ihrem Handrücken ab und sagte trocken: »Alles klar, weiter geht’s. Demzufolge du bist eine Art Zwerlf? Halb Zwerg, halb Elf? Sonst noch was?«
»Also wenn du das so sagst, klingt das irgendwie unerotisch.« Titania ließ sich mit dem Rücken gegen die Couch fallen. »Und ja, ich glaube, dass Joshuas Tod irgendetwas mit der Kugel von gestern zu tun haben muss. Dafür fehlen mir aber die Beweise.« Helen nahm einen weiteren kräftigen Schluck aus der Flasche und ließ sich anschließend rechts neben ihre Elfen-Freundin auf die Couch fallen. Ohne sie anzuschauen reichte sie ihr die Flasche nach links. Wortlos nahm Titania diese und setzte sie an ihren Mund an, um einen mehr als kräftigen Schluck zu nehmen.
»Gutes Zeug«, sagte sie, als sie die Flasche wieder abstellte. »Ja«, entgegnete Helen, »die war anscheinend für einen besonderen Anlass gedacht. Ein höchst skurriler Anlass tut’s wohl auch, schätze ich. Was wusstest du über meinen Bruder?«
»Ich habe seinen Namen im Zusammenhang mit seltenen Gegenständen gehört. Er konnte alles finden und besorgen. Allerdings kannte niemand seinen Nachnamen. Mehr weiß ich nicht.«
Helen streckte Titania ihren rechten Arm entgegen. »Ich befürchte, dass das kein Edding ist und du nicht in irgendeinen Anfall von Kreativität an mir rum gemalt hast?«
Titania betrachtete eingehend den schwarzen Mistelzweig am Handgelenk.
»Nein, Honey, tut mir leid. Ich war das leider nicht.«
»Ein Versuch war es wert.«
»Aber ich weiß, wer uns das sagen könnte. Vorher sollten wir uns jedoch etwas aufhübschen. Der Typ ist nämlich echt heiß.«
Helen ging in ihr Schlafzimmer mit angeschlossenem Badezimmer und Titania in das Gästezimmer, ebenfalls mit Bad. Beide Zimmer lagen in der ersten Etage. Titanias Notfalltasche beinhaltete alles, was sie brauchte. Nach dem Duschen und Haare föhnen, entschied Helen sich für eine dunkelblaue Jeans und einem schwarzen Kaschmir-Pullover. Sie vermutete, dass sie praktische Kleidung heute der Eleganz vorziehen müsste. Hinter ihr ging die Tür auf und Titania betrat das Zimmer. Auch sie trug eine blaue Jeans, kombiniert mit einer knallroten, eng anliegenden Bluse. Ihre Füße steckten in schwarzen Pumps. Helen setzte sich gerade auf ihr Bett und schlüpfte in Lederstiefel.
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