Zurück im Wohnzimmer, waren gerade noch acht Leute anwesend. Ingo und Bonny nahmen Snowy in die Mitte und schleppten ihn hinaus. Auf der Straße wurde der Maserati-Fahrer auf seinen Beifahrersitz gesetzt, Bonny machte es sich hinter dem Steuer bequem. Sie legte einen Blitzstart hin, fuhr die ersten hundert Meter aufheulend im ersten Gang, blieb aber schnurgerade auf der Straße. Ingo warf einen interessierten Blick in die ehemalige Malerwerkstatt. Weshalb er seine Partys denn nicht in der Werkstatt mache, fragte er, die wäre doch viel einfacher zu putzen. Da hätte man auch tanzen können.
Nach einer letzten Kontrolle in Küche, Bad und Toilette, schloss er alle Türen ab, bewegte sich stöhnend nach oben, blickte nochmals in Büro und Gästezimmer und überlegte, ob er sich die Mühe machen und sein Bett frisch beziehen sollte. Der Gedanke erübrigte sich, sein Bett beherbergte einen Haarschopf. Vorsichtig lupfte er die Bettdecke und erkannte eine nackte Svenja darunter. Ohne einen weiteren Gedanken zu verschwenden, zog er sich aus und schob sich gegen sie unter die Decke, was er sich nüchtern nie getraut hätte. Im weiteren Verlauf des Morgens krabbelte sie auf ihn drauf und sie fühlte sich nicht schlecht an. Jung eben. Gegen fünfzehn Uhr erwachte sie und zog sich schweigend an. Vermutlich hatte auch sie einen tierischen Kater und vielleicht einen Filmriss. Ohne ihren Gastgeber noch eines Blickes zu würdigen, verließ sie das Haus. Vinn hatte nach langer Zeit mal wieder mit einer jungen Frau geschlafen. Aber irgendwie wollte sich das erhebende Gefühl, das ihn früher nach einer Eroberung beglückt hatte, nicht einstellen.
Weil er fest entschlossen war, nun auch die Malerwerkstatt auszuräumen und zu renovieren, informierte sich Vinn in einem Baumarkt über Holzböden. Zuvor hatte er eine Pritsche voll Papiermüll entsorgt. Das Werkstattgebäude stand parallel zum Wohnhaus, war aber länger. Dazwischen befand sich der Hof, auf dem der Kleinlaster parkte, am hinteren Ende des Hofes, der bemalten Fabrikwand entgegen, stand ein Carport, in dem früher Gerüstteile und Dielen lagerten. Das Gerüst hatte Amon vor langer Zeit verkauft.
Die Werkstatt zu renovieren bedeutete vor allem, Müll zu trennen und zu entsorgen. Mit leeren Kartons und alten Tapetenrollen hatte er den Anfang gemacht. Danach waren unzählige Lackreste zusammen zu putzen, die leeren Lackdosen und Eimer mussten austrocknen und mit anderem Metallzeug, wie alten Terpentinfässern, Trichtern und kaputten Geräten, zum Schrottplatz gebracht werden. Nicht verwendbare und eingetrocknete Farben kamen zur Schadstoffsammelstelle, leere Plastikeimer zu einer anderen, die Holzabfälle wieder an einen anderen Ort. Einige Abfälle zu entsorgen, kostete richtig Geld, belastetes Holz zum Beispiel. Wie es mit der Renovierung der Werkstatt weitergehen sollte, aus der er ein Partyraum mit einem tanzbaren Holzboden zaubern wollte, interessierte ihn, als er im Baumarkt stand, auf einmal nicht mehr. Auf dem dortigen Bildschirm verfolgte er beunruhigende Nachrichten. Die Lage in Georgien hatte sich dramatisch zugespitzt, die Auseinandersetzungen potenzierten sich, Krieg lag in der Luft.
Das Hickhack um das kleine Land auf der Südseite des Kaukasus ging nun fast schon ein Jahr. Begonnen hatte es, nachdem die prorussische Partei nach gewonnener Wahl an die Regierung gekommen war. Die Wahl wurde von der Opposition aber nicht anerkannt. Das führte im Parlament zu Streitereien, in Tiflis zu Demonstrationen und zu Brandanschlägen auf die Büros der Wahlsieger. Die Russlandsympathisanten benötigten eine Woche, um Gegendemonstrationen zu organisieren, Gegner und Befürworter der neuen Regierung legten durch ihre Proteste die Wirtschaft lahm, Georgien versank im Chaos. Um die Ordnung wieder herzustellen, wurde nach der Armee gerufen, doch die Militärführung war gespalten und hielt sich heraus, viele Soldaten begingen Fahnenflucht, um in ihrer Heimat Hof und Gut zu schützen.
In dieser verworrenen Situation und um noch mehr Schaden zu verhindern, bat die demokratisch gewählte Regierung Georgiens, die russische Regierung um Hilfe. Schon am nächsten Tag wurden einige hundert russische Fallschirmjäger über den Kaukasus geflogen und in Georgien abgesetzt, denn sie sollten die Straßen sichern. Transporthubschrauber versorgten diese mit Kleinfahrzeugen, Nahrung und Munition. Zeitgleich setzte sich eine LKW- und Panzerkolonne in Richtung Süden in Bewegung. Unaufhaltsam drangen von Norden russische Hubschrauber und Panzer herab, um die Ruhe wieder herzustellen. Ohne nennenswerten Wiederstand, bis auf wenige Antipathie-Bekundungen, gelangte die russische Armee bis nach Tiflis. Dort allerdings wurde sie mit der Wut der Hauptstädter konfrontiert, die sich sofort den Panzern und Lastwagen entgegenstellten und mit dem Gebrauch von Molotowcocktails nicht sparsam umgingen. Die angegriffenen russischen Soldaten, denen es an Gummiknüppeln, Tränengas und Wasserwerfern mangelte, konnten sich nur mit Schüssen wehren, Munition hatten sie reichlich.
Am lautesten empörte sich die türkische Regierung, die nicht Müde wurde zu betonen, dass Russen auf die Nordseite des Kaukasus gehören. Die Türken hegten zudem den Verdacht, dass Russlands Präsident Dimitrie Russov dort weiter machen wollte, wo Wladimir Putin aufgehört hatte. Kaum dass diese Anschuldigung veröffentlicht war, wurde sie auch schon bestätigt. Die Opposition war eines Ministers habhaft geworden und befragte ihn einige Tage lang zu gewissen Ungereimtheiten. Der Politiker hielt dem vielfältigen Druck der Befragung nicht stand und erklärte vor laufender Kamera reumütig, dass die neu gewählte Georgische Regierung in russischen Diensten stand. Russland hätte einen fantastisch hohen Betrag gezahlt, den kein vernünftiger Mensch ausgeschlagen hätte. Ziel der Bestechung sei gewesen, die Russen ins Land zu bitten, einen Grund würde sich finden. Der Minister meinte noch: Die höchsten Schmiergelder sind immer noch billiger, als eine kriegerische Auseinandersetzungen. Die Opposition und auch die türkische Regierung spannten den Faden aber noch weiter, sie vermuteten nämlich noch ein Endziel. Das Endziel sei, Aserbeidschan zu besetzten, um mit der ehemaligen sowjetischen Teilrepublik auch deren Ölquellen und Gasfelder zu gewinnen. Von Baku in Aserbeidschan, verlief eine Pipeline durch Georgien an das Schwarze Meer. Diese galt es nun zu sichern.
Seit dem Ende des Kalten Krieges war Georgien mit der NATO freundschaftlich verbunden, was besonders das NATO-Mitglied Türkei bislang sehr beruhigt hatte. Durch die Anwesenheit russischer Truppen in Georgien, fühlten sich die Türken jetzt akut bedroht und hetzten gegen Russland. Man könne unmöglich dulden, so die Türken, dass Russland sich kleine Länder einverleibe und der Bodenschätze beraube. Die Türkei wurde aktiv, schickte Soldaten um die Pipeline zu sichern und die Hauptstadt zu befreien. Dabei setzte sie auf den Umstand, dass es für die russische Armee mangels Passstraßen äußerst schwierig, umständlich und aufwändig war, genug Truppen über den Kaukasus zu bringen, während die türkische Armee mehrere gut befahrbare Straßen vor sich hatte. In Kürze war Tiflis befreit, die Russen zogen sich vorläufig in die Kaukasustäler zurück und warteten auf Entsatz und Nachschub. Der kam sehr plötzlich auf Truppentransportern über das Schwarze Meer. In Windeseile errichteten die russischen Truppen einen Brückenkopf, landeten Tag und Nacht neue Truppen und neues Material an und drängten die Türken zurück. Bei diesen Scharmützeln übertraten die russischen Soldaten einige Male die türkische Grenze.
Jetzt entstand die äußerst prekäre Situation, dass ein Nato-Land direkt angegriffen wurde, wobei ihm die anderen Nato-Partner beizustehen hatten. Die Vereinigten Staaten von Amerika schickten einen Flottenverband ins Schwarze Meer, der den russischen Nachschub unterbinden sollte. Keiner wollte Krieg, aber es wollte auch keiner nachgeben. Einem russischen Warnschuss folgte ein amerikanischer, einem versehentlichen Treffer ein Beabsichtigter. Bevor die Marineeinheiten wussten wie ihnen geschah, befanden sie sich in der ersten Seeschlacht seit dem zweiten Weltkrieg. Am Abend nach der Seeschlacht behaupteten die Amerikaner, die Nato sei angegriffen worden und befände sich mit Russland im Krieg. Jedes Natomitglied, also auch Deutschland, müsse sich nun mit Menschen und Material einbringen. Sämtliche Nato-Staaten versetzten ihre Streitkräfte in Alarmbereitschaft, Deutschland stand unter Strom, das friedliche Leben schien nun ein Bedrohtes.
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