Vinn legte seine Decke auf der frisch gestutzten Ligusterhecke ab. „Ich bin hier in der Gegend aufgewachsen, deshalb weiß ich von einer Frau, die in dieser Hütte gewohnt hat.“
Da sah der Schönling, vermutlich dieser Jockel, was für ein beknackter Name, aus dem rückwärtigen Fenster heraus. „Sie haben Alma gekannt?“ fragte er. „Sie war meine Großtante.“
„Natürlich habe ich sie gekannt. Sie war die interessanteste Frau in der Gegend. Leider hatte sie ein tragisches Ende.“
„Man hat sie als Hexe bezeichnet“, sprach Jockel mit angenehmer Stimme. „Und ihr Mörder wurde nie gefunden. Ich habe mich immer gefragt, ob sie deshalb erschlagen wurde, weil sie einem ihrer Kunden eine falsche Zukunft prophezeit hat oder so ähnlich.“
„Und sie schlafen jetzt in ihrer Hütte und in ihrem Bett“, tat Vinn erstaunt. „Haben sie keine Angst vor Geistern? Vielleicht kommt sie nachts und sucht ihren Mörder.“
Der Verwandte von Alma sagte mit der größten Selbstverständlichkeit: „Oh, es spuckt nachts schon, das spüre ich deutlich. Aber es scheint keine böse Absichten zu geben.“
Vinn fühlte sich veräppelt. Er studierte noch kurz Jockels ernstes Gesicht und wandte sich den Frauen zu. „Wohnen sie hier in der Gegend, dass sie ausgerechnet in dieser Einsamkeit einen Garten anlegen?“
„Wir machen das für Jockel und sogar beruflich. Wir drei arbeiten mit noch ein paar anderen Frauen in der Gärtnerei da vorne“, sagte die Schwarze.
„Und wohnen tun wir zurzeit nebenan im ehemaligen Fuhrunternehmen“, ergänzte die Blonde.
„Ach wie praktisch“, fand Vinn, „und wie erfreulich für diese trostlosen Gemäuer. Da findet das alte Haus einen richtig schönen Verwendungszweck“, grinste er. „Ich gehe mal weiter, mich abkühlen, macht’s gut.“ Hob die Hand zum Gruß, was von den Gärtnerinnen erwidert wurde, Jockel war schon wieder weg, und wanderte zum Fluss. Dort drückte er sich bald zwei Stunden auf seiner Decke herum, setzte sich manchmal ins Wasser, zum Schwimmen war es zu flach, suchte Vögel und hoffte auf Damenbesuch. Die Gärtnerinnen schienen aber nicht auf eine Abkühlung erpicht. In der Dämmerung wanderte er, von Hunger und Durst getrieben, zurück. Da gab es nur eins. Um seine Traumfrau ausfindig zu machen, musste er am nächsten Tag der Gärtnerei, in der er in seinem ganzen Leben noch nie gewesen war, einen Besuch abstatten. Wollte er nicht einen Rosenstock vor sein Haus setzen?
„Die langhaarige Schönheit muss ein Fotomodell sein“, war Vinn überzeugt, als er am nächsten Morgen erwachte. Er hatte wild von nackten Frauen geträumt, leider nur von Unbekannten, denen er nachjagte und die ihm alle entwischten. Von Woche zu Woche reifte in ihm der Wille, das weitere Leben mit einer Frau zu verbringen. Er gierte nach einer Lebensgefährtin, aber weil er so ungeschickt in der Eroberung war, spielte er mit dem Gedanken, sich an käufliche Damen zu halten.
Die Gärtnerei am Anfang der Süd-Straße war, ohne dass er es bemerkt hatte, aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht. So oft er an ihr vorbeifuhr, war ihm nie aufgefallen, dass die zerstörten Scheiben einiger Gewächshäuser ersetzt waren. Auch das Sortiment vor dem Laden erschien Vinn umfangreicher als bisher. Das Gärtnereigelände folgte der Biegung des Flusses, ein Fahrweg markierte die Mitte. Links des Weges standen sieben Gewächshäuser, wobei sich im ersten der Laden befand, die anderen in einer gebogenen Reihe dahinter. Rechts des Weges lagen bis zum Flussufer mehr oder weniger bepflanzte Beete. Die Gärtnerei und das ehemalige Fuhrunternehmen lagen als einzige südlich der Südstraße.
Vinn stellte sein Rad vor dem Laden ab, warf einen Blick hinein, der ihm aber keine schlanke Frau mit langen blonden Haaren offenbarte. Er spazierte den Weg entlang und inspizierte jedes Gewächshaus nach Frauen, überflog die Beete rechts des Weges, sah aber nur den blauen Bubikopf, der von ihm keine Notiz nahm und zwei Unbekannte. Gärtnerinnen waren einfach kernige Frauen, stellte er fest. Muskulös und zupackend. Ihnen fehlte das Gezierte und Puppenhafte seiner Frau.
Der Fahrweg endete am Flussufer an einer Sandbank. „Sie mal einer an“, dachte Vinn, „diese kernigen Damen haben ihren eigenen Badestrand.“ Er ging hinter den Gewächshäusern am Zaun entlang zurück. Zuerst befanden sich überwucherte Schrebergärten hinter dem Zaun, danach das benachbarte Fuhrunternehmen. Im Bereich des Ladens im vordersten Glashaus, war eine breite Schneise in den Zaun geschnitten worden. Zwei Gärtnereifahrzeuge parkten vor dem Büro des Fuhrunternehmens und die Haustür stand offen. „Das ist jetzt wohl zu frech, wenn ich noch ins Haus schaue“, bremste er sich. „Also auf zum Rosenkauf.“
Im Laden hinter einer Theke, stand nun die Blonde vom Vortag. Sie erkannten und grüßten sich und Vinn erklärte sein Begehr.
„Ich glaube, da haben wir genau den richtigen Rosenstock für sie. Er hat zwar keine großen Blüten, dafür blüht er aber den ganzen Sommer hindurch. Ständig wachsen kleine, rote Blüten nach, die sie nach dem Verwelken abschneiden müssen. Der Rosenstock ist auch hitzeverträglich, er muss nur die ersten zwei Wochen gegossen werden, absolut blühfreudig und pflegeleicht.“
„Ok, einpacken, ich nimm einen mit“, sagte er zufrieden.
„Sonst noch was?“ erkundigte sich die Verkäuferin.
„Ich habe gar keine Männer gesehen. Wer ist denn der Chef?“.
„Unser Chef heißt Gesine und ist die Schwarzhaarige von gestern Nachmittag“, wurde Vinn aufgeklärt. „Männer gibt es hier bis jetzt noch keine“, fügte sie mit einem schelmischen Lächeln hinzu.
Vinn. „Wieviel Frauen arbeiten denn hier?“
Verkäuferin: „Momentan acht.“
Vinn: „Und wo sind die alle?“
Verkäuferin: „Sind sie alleinlebend?“
„Zahlen“, sagte er, aber er grinste dazu.
Jedes Mal wenn er an der Gärtnerei vorbei fuhr, suchte er angestrengt nach der Silhouette einer gertenschlanken, langhaarigen Frau. „Du Blödmann“, schimpfte er sich, „du brauchst doch nur nach ihr zu fragen.“ Aber er traute sich nicht.
Vinn fuhr mit seinem neuen Tourenrad zur Kartonagenfabrik. Inzwischen war er ein leidenschaftlicher Sportler geworden. Wer nur faul herumhängt und vorsätzlich sein Vermögen dezimiert, sollte sich zumindest ab und an bewegen. Joggen, Radfahren, Schwimmen und Gymnastik, beanspruchten nun beträchtliche Stunden seines Daseins.
Er wurde von Snowy und einigen andern erwartet, denn er hatte mit ihnen einen Interviewtermin vereinbart. Die jungen Leute, wobei auch die vierzigjährige Bonny mit von der Partie war, sollten ihm erzählten, wie sie sich die Zukunft vorstellten. Snowys Truppe war auf über dreißig Leute angewachsen, mehrheitlich Frauen. Anscheinend war es ihm nicht gelungen die Halle zu mieten, denn der Strom wurde immer noch illegal abgezapft. Zudem bekam seine Firma ein Toilettenproblem. Erstens, weil die Örtchen überstrapaziert wurden und zweitens, weil es keine Putzfrau gab. In der alten Kartonagenfabrik gehörte der Toilettengang zu den unerfreulichen Geschäften.
Snowy und einige Abkömmliche waren um den Konferenztisch versammelt, den sie in einem leerstehenden Nachbargebäude entwendet und mühsam die Treppe hochgewuchtet hatten.
„Also, meine Damen und Herren“, begann Vinn, Förmlichkeit vortäuschend. „Ihr sollt mir nun erzählen, wie ihr die Zukunft seht und was ihr von ihr erwartet. Die Themen spielen dabei nur eine untergeordnete Rolle. Ganz egal ob Arbeit oder Freizeit, Politik oder Wetter, Krieg oder Frieden, Liebe, Landwirtschaft, Natur. Ich will wissen, was sich nach eurer Vorstellung wie entwickeln wird. Wenn sich spannende Äußerungen ergeben, lasse ich die in den Roman einfließen.“
Er sah in ein paar unbekannte Gesichter. Die bekannten gehörten dem Maserati fahrenden Chef, Gluck, Bruno, Ingo, Bonny und der süßen Laura, mit der er nicht mehr flirten konnte, weil sie nun einen eifersüchtigen Freund hatte. Trotzdem sah er in ihre Richtung, hob aufmunternd die Augenbrauen und grinste. Wenn er an seinen Vater dachte, hatte der vieles mit einem Grinsen erledigt. Mit seinem breiten Grinsen hatte er nicht nur Sympathien gesammelt. Er hatte damit auch unangenehme Situationen bereinigt, Zustimmung signalisiert, Absagen erteilt, andere Überredet.
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