Laura fühlte sich angesprochen. „Ich erwarte, dass der Krebs besiegt wird“, schoss es aus ihr heraus. „Zwei meiner Tanten sind an Brustkrebs gestorben und ich habe natürlich Angst davor.“
„Ich glaube, das erwarten wir alle“, pflichtete Bonny ihr bei. „Die Krebsforschung wird ja mit viel Geld vorangetrieben, da stehen die Chancen auf Heilung vielleicht gar nicht schlecht.“
„Wusstet ihr“, meldete sich Bruno der Cannabisfreund, „dass ihr in der Zukunft am Adergeflecht eurer rechten Hand identifiziert werdet? Das soll sogar als Mikrobild auf die Identy-card, damit ihr weltweit und zweifelsfrei erkannt werdet.“
Niemand an der Tafel machte dazu eine Bemerkung, keiner schien das Thema zu interessieren.
Ein unbekanntes, rothaariges Schmalgesicht meldete sich. „Man müsste mal erforschen, wie man im Schlaf Bildung ins Hirn bringt. Ich meine, das erspart dem Staat viele Lehrer und Schulen. Die Schüler setzen sich abends einen Helm auf, legen sich ins Bett, starten ein Unterrichtsprogramm und am nächsten Morgen ist es in ihrem Kopf gespeichert“, meinte er mit hoffnungsvollen großen Augen. Einige am Tisch lachten.
Snowy saß mit verschränkten Armen hingestreckt an der Stirnseite des Tisches. „Aber Maxi, unser Hirn benötigt die Nacht um zu träumen, um das Erlebte zu verarbeiten und um sich zu erholen. Da kann es nicht noch gleichzeitig lernen.“
„Das würde die Menschen vermutlich in die Psychiatrie bringen“, warf Ingo ein. „Wenn schon, muss der Schüler tagsüber lernen.“
„Die Idee ist aber nicht schlecht“, fand Bonny. „Vielleicht lernt man in der Zukunft unter Hypnose.“
„Ich möchte Hundertzwanzig Jahre alt werden“, sagte plötzlich eines der Mädchen, die Vinn noch nicht kannte. „Ich bin sehr geschichtsinteressiert. Ich möchte erforschen, wie sich der Mensch verändert, ob er vernünftiger wird und sich die Welt verbessert.“
„Wer will denn freiwillig einhundertzwanzig werden. Vermutlich ist das sogar möglich, wenn der Krebs besiegt wird“, brummelte Gluck vor sich hin. „Aber da sitzt du doch nur noch vor dich hinsiechend im Sessel. Für mich ist das eher eine Horrer-Vorstellung als etwas erstrebenswertes.“
Ingo wandte sich dem Mädchen zu. „Dass so ein junges Ding schon ans Altwerden denkt, befremdet mich ein wenig. Ich konnte mir in der Schule nicht einmal vorstellen dreißig zu werden, was ich inzwischen bin.“
„Was, du bist erst dreißig“, lachte Bonny. „Dann hat dein Gesicht alle Chancen einhundertzwanzig zu werden.“
„Haha“, machte Ingo. „Angenommen, die Mediziner machen es möglich, dass wir alle so alt werden können. Was glaubt ihr, was das für die Menschheit bedeuten wird, wenn sie zur Hälfte aus Rentnern besteht. Das wäre für den Staat und die Gesellschaft eine unglaubliche Belastung.“
Es räusperte sich jemand. „Wenn die Alten eine zu große Belastung werden, wird der Staat bestimmt die Sterbehilfe vereinfachen und einige Augen zudrücken“, meinte der Jemand.
„Genau“, rief Laura. „In Zukunft sollte jeder selbst entscheiden dürfen, wann er aus dem Leben scheiden will. In meinen Augen ist alt sein nicht besonders erhaben. Was hat man schon zu erwarten?“
Vinn mischte sich ein. „Mein Vater ist fünfundneunzig geworden, den hat die Neugier am Leben erhalten. Viele wollen einfach wissen wie es weitergeht, was ihre Kinder so treiben und wie sich die Enkelkinder entwickeln. Im Prinzip hängt der Mensch am Leben, wer es vorzeitig beendet, ist in der Regel krank.“
Ingo kicherte. „Wenn die Menschen so alt werden, ist eh die Hälfte der Alten nicht fähig freiwillig aus dem Leben zu scheiden, weil sie nämlich dement sind.“
„Ich bezweifle“, wechselte Snowy das Thema, „dass der Globus es noch lange schafft die Menschheit zu ernähren. Irgendwann kommt es wetterbedingt zu einem riesigen Ernteausfall und Abermillionen werden verhungern.“
„Ich glaube“, so Bonny, „vorher entdeckt die Wissenschaft, wie man die Menschheit mit Gras ernähren kann. Da werden dem Viehfutter irgendwelche Proteine, Enzyme oder Mittelchen untergemischt, damit es einen Nährwert bekommt und vom Mensch verdaut werden kann. Die Rindviecher bleiben dann auf der Strecke, weil wir ihr Gras fressen.“
Vinn hob seine Hände. „An dieser Stelle muss ich kurz unterbrechen. Habt ihr denn keine technischen Visionen? Wenn ich mich mit jungen Leuten unterhalte, so habe ich mir vorgestellt, werde ich mit Science Fiction konfrontiert. Ihr denkt aber nur daran gesund zu bleiben und uralt zu werden“, sagte er.
„In der Zukunft werden alle Fahrzeuge mit Strom fahren und die Flugzeuge mit Strom fliegen“, meinte der rote Maxi. „Die Züge werden reibungsarm nur so von einer Metropole zur nächsten rasen.“
„Die Fahrzeuge werden schweben, wir werden keine Reifen mehr brauchen und die Straßen werden ewig halten“, sprach Gluck mit Überzeugung.
„Und wie sollen sie ohne Bodenkontakt bremsen? Sollen sie einen Anker werfen?“ lästerte Ingo.
„Blödmann, mit sowas wie Schubumkehr“, glaubte Maxi.
„Die Autos werden uns selbständig ans Ziel bringen.“
„Wir werden uns mit den Autos unterhalten können.“
„Wir werden uns sogar mit unseren Haushalsgeräten unterhalten können.“
„Drohnen werden uns die Post bringen.“
„Roboter werden für uns einkaufen.“
„Robotermaschinen werden die Landwirtschaft betreiben und für uns ernten.“
„Ein großer Fortschritt wäre für mich, wenn ich in Zukunft meine Steuererklärung selber machen kann“, wünschte sich Bonny.
„Und Krieg“ unterbrach Vinn. „Was glaubt ihr? Wird es in der Zukunft noch Krieg geben, oder wird die Menschheit vernünftig?“
Laura: „Dass das nichts bringt, sieht man doch in Georgien. Dort haben sich tausende Soldaten in den Kaukasustälern festgefressen und kommen nicht weiter.“ Mehrere Nato-Staaten unterstützen die Türkei bei ihrem Kampf gegen die Russen und versuchten Georgien zu befreien. Unmengen Drohnen flogen durch die Täler, um den Feind ausfindig zu machen und den Bombern Ziele zu übermitteln. Die NATO und Russland zerrieben sich im unwegsamen Gebirge. Auch Deutschland hatte Militär nach Georgien entsenden müssen. Mehrere Tausend Soldaten schützten mit Raketen die Hauptstadt Tiflis vor Luftangriffen. Bis auf zwei Verkehrstote hatte die Bundeswehr noch keine Verluste zu beklagen.
„Hoffentlich schickt dieser Russov keine Atomraketen, wenn er am verlieren ist“, schauderte es Bonny.
„Dieses Risiko wird keine Atommacht eingehen. Immer noch gilt: Wer als erster schießt, stirbt als Zweiter“, belehrte Snowy. „Ich befürchte aber, dass sie sich gegenseitig die Satelliten aus dem Orbit schießen werden. Das würde auch unsere Kommunikation ins Chaos stürzen.“
„Auf jeden Fall sieht alle Welt, dass dieser Krieg zu nichts führt“, stellte Gluck fest.
Maxi hob eine Hand und sprach sehr betont: „Wenn das beendet ist, so glaube ich, wird man nur noch Polizei benötigen. Die ganze Kämpferei kostet zu viel Geld und zu viele Menschenleben. Es wird massig zerstört und unter dem Strich gibt es nie Sieger. Über kurz oder lang wird das Militär abgeschafft.“
Auch die anderen waren sich einig darüber, dass Polizei ausreichend wäre. Snowy hob die Runde auf und schickte alle an die Arbeit, obwohl sie nicht für ihre abgesessenen Stunden, vielmehr für produzierte Ideen bezahlt wurden. Komisch, dacht der Schriftsteller, diese Computer-Leute haben die seltsamsten Zukunftsideen, jedoch nichts, was neue Computer, andere Netze, verbesserte Programme und Datenübermittlung betraf.
Vinn beobachtete noch die Neuen, versuchte zu ergründen, wer eventuell mit wem befreundet war, lief unauffällig durch die Halle und kontrollierte die Feldbetten und Isomatten auf Paarbildung. Dann schwang er sich auf sein Rad, fuhr zu seinem Haus und beobachtete die Vögel in den Schrebergärten und was sich sonst noch so tat. Seine Notizen hatte er achtlos auf einen Papierhaufen gelegt.
Читать дальше