Ausgerechnet bei Almas Hütte saß manchmal ein junger Kerl, ein richtiger Schönling. Arbeiten taten aber nur die Frauen, immer zwei oder drei, während der Schnösel abwesend auf seinen Laptop starrte und die emsigen Damen ignorierte. Ein richtiger Träumer. Die bunte Hütte war nun deutlich zu erkennen, denn es waren einige Büsche zurückgeschnitten, wenn nicht sogar entfernt worden. Wann immer Vinn diese Hütte zu Gesicht bekam, stieg Ärger in ihm auf, und das lag an dieser unseligen Hexe und an seiner Mutter.
Seine Mutter Ulrike hatte Vinns Vater sozusagen als Beute von einem Afrikaurlaub mit nachhause gebracht. Im Alter von vierundvierzig Jahren erfüllte sich Amon einen großen Traum und buchte eine Tansania-Safari. Gleichzeitig war er beruflich am Scheideweg gestanden, denn sein Arbeitgeber wollte das Geschäft aufgeben, weil seine Frau, die auch als Bürokraft fungiert hatte, gestorben war. Wegen des abgelegenen Standorts in der Südstraße aber, fand er keinen Käufer.
Auf der Safari bekam es Amon mit einigen wohlhabenden und abgehobenen Mitreisenden zutun, die in den Weiten Afrikas fehl am Platze wirkten. Der gut gebaute und fast ein Meter neunzig große Amon, schien aber wie geschaffen für ein Leben in der Wildnis. Die Männer, die zuhause wichtige Personen waren und das bestimmt auch heraushängen ließen, zollten dem Malermeister Respekt, deren Frauen fraßen ihn mehr oder weniger mit ihren Augen. Eine sehr unglückliche Mitreisende war die Frau eines Arztes, die von ihrem Mann sehr herablassend behandelt wurde. Er hatte sie wegen ihres Aussehens und weil sie das Kaufmännische beherrschte, geheiratet, denn er hatte nicht nur eine schöne Frau, sondern auch eine Verwaltungsangestellte für seine Praxis gesucht. Nur hatte er nicht damit gerechnet, dass eine Arztfrau die nur schön war, aber kein Abitur und kein Studium vorweisen konnte, in der medizinischen Gesellschaft keine Anerkennung fand. So hatte der Arzt seine Frau, vermutlich sogar unbewusst, zur Angestellten herabgestuft. Ihr Zusammenleben war bestenfalls noch eine lieblose Zweckehe.
Die Frau machte während der Safari einen so unglücklichen Eindruck, dass Amon sich genötigt sah sie aufzuheitern. Mit ihr hatte er, wie immer charmant, höflich und gut aufgeräumt, leichtes Spiel gehabt. Es folgten heimliche Zusammenkünfte nach dem Abendessen, während die anderen der Gruppe angeberisch an der Bar einer Lodge oder am Lagerfeuer saßen. Die Frau taute auf, Amon gab ihr gute Laune, am vierten Abend auch seinen Samen, was sich dann fast täglich, bzw. nächtlich wiederholte. Bei jeder Gelegenheit verschwanden sie in einem Zimmer, in einer Toilette, hinter Büschen oder im hohen Gras. In der Serengeti, im Ngorongoro-Krater, im Selous-Nationalpark. Ulrike lernte kennen, was landläufig als heiße Liebe bezeichnet wird. Ihren Mann ließ sie links liegen und der Gehörnte durschaute nicht einmal an was es lag.
Als Amon Ulrikes Beruf erfuhr, kam ihm eine zukunftsfähige Idee, die er ihr mitteilte und in die sie nach kurzer Bedenkzeit einwilligte. Bei der Ankunft auf dem Frankfurter Airport folgte sie Amon, nicht ihrem Mann. Zum Abschied wünschte sie ihrem Mann nicht alles Gute, sondern sagte: „Ich kündige.“ Zuhause stellte Amon Ulrike seinem Chef vor, erklärte, dass sie Kauffrau sei und er sie heiraten wolle. Dann machte er dem Alten das Angebot, den Laden solange weiterzuführen, bis er einen Käufer gefunden hat. Der Alte ging ins Altersheim, der Käufer wurde nie gefunden, Amon und Ulrike erbten den Betrieb vom kinderlosen Vorgänger. Billiger ging es echt nicht. Mit fünfundvierzig wurde Amon nicht nur Chef, er wurde auch erstmals Vater. Zwei Jahre später kam Villmut hinzu. Er gab das Reisen auf, nicht den Sport, kümmerte sich nur noch um Geschäft, Kinder und Frau, nur selten auch um anderes.
Ulrike war eine kleine, brave, anständige, wenig temperamentvolle, gute Mutter und Ehefrau gewesen. Was sie machte, machte sie gut, war aber immer etwas blutleer. Deshalb fiel niemandem auf, dass sie nach und nach schlapper wurde. Die Kinder studierten, Amon war mit seinem Betrieb und seinen Vereinen beschäftigt. Ulrike ließ sich untersuchen, und die erschütternde Wahrheit hieß Leukämie, was sie aber für sich behielt. Anstatt zu einem anderen Arzt zu gehen, um sich eine zweite Diagnose zu holen, wie sie es ihrem Hausarzt versprochen hatte, war sie zu Alma gegangen. Ulrike hatte vor der Krebsbehandlung Angst gehabt und sich lieber in die Hände der Hexe begeben. Die Hexe wusste Rat, gab ihr blutbildenden Tee und Vitamin C-reiches Obst. Ulrike ließ sich von Alma mit den bedenklichsten Mitteln und Kräutern behandeln. Alma redete ihr Mut zu, las ihr immer wieder neue Erkenntnisse der Naturmedizin vor, die sie noch ausprobieren sollten, was aber alles nichts nutzte und den Verfall nicht aufhalten konnte. Almas Behandlungen gingen so lange, bis Ulrike zuhause zusammenbrach und vom Notarzt geholt wurde. Erst da beichtete sie ihrem Mann, dass sie an Leukämie erkrankt sei. Vinns Mutter hatte das Krankenhaus erst wieder als Tote verlassen, durch Almas langwierige Behandlung war jede Chance auf Heilung vertan worden. Deshalb die Abneigung gegen Almas Hüte, die Vinn damals am liebsten angezündet hätte. Der siebenundsechzigjährige Amon wollte ohne seine Frau den Malerbetrieb nicht weiterführen, was er auch nicht konnte, weil ihm eine kundige Bürokraft fehlte. Danach verlegte er sich auf Schwarzarbeit, was er Sonderaufträge nannte, begann wieder zu reisen und Frauen zu erobern. Monate nach Ulrikes Tod wurde Alma von unbekannter Hand ermordet.
Vinn beobachtete nun weniger die Vögel, als die gut gebauten Frauen. Völlig aus der Luft gelöst, schwebte auf einmal eine langhaarige, blonde Schönheit in den Garten, anmutig, gertenschlank, wie ein Wesen aus einer anderen Welt, das dort nicht hingehört. Er war elektrisiert. Die junge Frau, Vinn schätzte sie auf Mitte Zwanzig, hatte eine lässige Art sich zu bewegen. So bewegen sich nur Leute die über den Dingen stehen, oder denen alles egal war. Sie unterhielt sich kurz mit den Frauen und schwebte gemessenen Schrittes wieder davon. Nur selten, ach was, überhaupt noch nie, hatte ihn jemals eine Frau so stark beeindruckt. Er war völlig gefangen von dieser unglaublichen Erscheinung, stierte ins Leere und fragte sich, ob er diese Scene soeben geträumt hatte. Ob ihm sein Unterbewusstsein einen Streich spielt und vorgaukelt, was er am meisten begehrt? Aber nicht einmal im größten Suff hatte er jemals Gespenster gesehen, er war stocknüchtern, also musste die Blondine der Realität entsprechen. Das Einzige was Vinn noch denken konnte war: Ich muss den Engel unbedingt aus der Nähe sehen. Er beschloss, die Badehose anzuziehen und im Fluss baden zu gehen, was er seit seiner Kindheit nicht mehr getan hatte. Der kürzeste Weg führte an Almas Hütte vorbei. Mit einer zusammengerollten Decke unter dem Arm, schlenderte er durch die halb zugewachsenen Wege der Schrebergartenanlage, blickte neugierig in die einzelnen Gärten und pirschte sich an sein Ziel heran.
Drei Frauen waren noch da, aber von der Begehrten keine Spur. Am Gartentürchen zur Hexenhütte blieb er stehen und warf ein fröhliches „Hallo, hier wird ja gearbeitet“, hinein. Die jungen Frauen sahen auf. Eine große Muskulöse, zwischen deren Schenkeln er keine Chance hätte, warf ihre langen schwarzen Haare zurück und fragte. „Sind sie einer unserer Nachbarn?“
„Nein, ich habe hier keinen Garten. Ich wohne in der Südstraße und gehe gerade zum Fluss. Warum?“
Aus dem Hintergrund schimpfte eine verschwitzte Blondine: „Uns wächst das Zeug der Nachbarn in den Garten. Wir wollen nun mal keine Brombeeren, Essigbäume und Efeu auf unserem Grundstück.“
Vinn war seine Neugier nun egal. „Wie kommt ihr ausgerechnet zu diesem Garten? Habt ihr ihn gekauft?“
„Unser Freund Jockel, der hier manchmal übernachtet, hat ihn von einer Tante geerbt“, erklärte die Schwarzhaarige. Die Dritte der fleißigen Damen, die Schweigsame, zierte eine blaue Bubi Frisur.
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