5. Besondere Voraussetzungen des Art. 72 II GG
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Nach Art. 74 I Nr. 11 i.V.m. Art. 72 II GG hat der Bund das Gesetzgebungsrecht jedoch nur, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht.
Die Kostenumlage und die damit verbundene verschärfte und erweiterte Bankenaufsicht dienen der Wahrung der Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse. Denn hierbei geht es um die Erhaltung der Funktionseinheit des gemeinsamen Wirtschaftsraumes. Würden in den verschiedenen Bundesländern unterschiedliche Regelungen gelten, würde die Gefahr einer Umgehung der Aufsicht drohen. Die Banken würden ihre riskanten Finanztransaktionen einfach in das Bundesland verlagern, das die geringste Bankenaufsicht hat. Insbesondere da Banken bundesweit agieren, würden erhebliche Rechtsunsicherheiten für Banken drohen, wenn in jedem Bundesland andere Regelungen gelten würden und damit eine Rechtszersplitterung vorläge. Damit dient eine einheitliche Regelung sowohl der Wahrung der Wirtschafts- als auch der Rechtseinheit. Daher ist eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich, so dass die Voraussetzungen von Art. 72 II GG gegeben sind.
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Der Bund hat die Gesetzgebungskompetenz hinsichtlich der Kostenumlage als Annex zur Sachzuständigkeit in Art. 74 I Nr. 11 GG.
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Prüfungsschema zur konkreten Normenkontrolle
Art. 100 I GG, §§ 13 Nr. 11, 80 ff. BVerfGG
I. Zulässigkeit
1. Zuständigkeit des BVerfG
Art. 93 I Nr. 5, Art. 100 I 1 GG, §§ 13 Nr. 11, 80 I BVerfGG; Gericht hält Bundesgesetz mit dem Grundgesetz, Landesgesetz mit dem Grundgesetz oder sonstigem Bundesrecht für unvereinbar.
Art. 100 I 1 GG, § 80 I BVerfGG; nur Gerichte (sachlich unabhängige Spruchkörper, die aufgrund eines formellen Gesetzes in dieser Funktion tätig sind).
Art. 100 I 1 GG; formelle, nachkonstitutionelle Gesetze.
4. Überzeugung des Gerichts von Verfassungswidrigkeit
Art. 100 I GG; Gericht muss von der Nichtigkeit der Norm überzeugt sein (d.h. auch verfassungskonforme Auslegung der Norm muss ausgeschlossen sein). Bloße Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit sind nicht ausreichend.
5. Entscheidungserheblichkeit der Norm
Die Norm ist entscheidungserheblich, wenn das Gericht bei Ungültigkeit der Norm anders entscheiden müsste als bei Gültigkeit dieser Norm.
Form, §§ 23 I, 80 II BVerfGG; eine Frist ist nicht zu wahren.
7. Keine entgegenstehende Rechtskraft)
Wenn BVerfG in anderem Verfahren (z.B. Art. 93 I Nr. 2, 2a, 4a, b GG) Vereinbarkeit der vorgelegten Norm mit GG bereits bejaht hat, ist erneute Vorlage nur zulässig, wenn neue rechtliche oder tatsächliche Gesichtspunkte vorgetragen werden, die eine neue Überprüfung rechtfertigen.
Der Antrag ist begründet, wenn die entscheidungserhebliche Norm tatsächlich gegen das GG bzw. bei Landesgesetzen auch gegen sonstiges Bundesrecht verstößt.
1. Formelle Verfassungsmäßigkeit
a) |
Kompetenz (Zuständigkeit) |
b) |
Verfahren |
c) |
Form |
2. Materielle Verfassungsmäßigkeit
Prüfung, ob der Antragsgegenstand gegen das GG verstößt.
Fall 6 Hilfe aus einer Hand
Themenschwerpunkte:Verwaltungskompetenzen, Bundestreue, Aufgabenverteilung, Verbot der Mischverwaltung, Kooperation, Konnexitätsprinzip, Bund-Länder-Streit
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In den letzten Jahren haben sich die jährlichen Asylantragszahlen u.a. wegen des Bürgerkrieges in Syrien stark nach oben entwickelt. Die damit einhergehende steigende Arbeitsbelastung der zuständigen Behörden bereitet der Bundesregierung Sorgen. Denn auch in Zukunft ist nicht mit einer Entspannung der Flüchtlingslage zu rechnen. Die Bundesregierung will deshalb die Behördenarbeit effizienter gestalten und zugleich den Asylsuchenden, die oftmals in ihrem Herkunftsland unvorstellbares Leid ertragen mussten, besser helfen. Dazu soll eine Arbeitsgemeinschaft aus Bund und Ländern gebildet werden, die als zentrale Stelle den Asylsuchenden eine kompetente Hilfe „aus einer Hand“ bietet für alle Regelungen, die ihre Rechtsstellung betreffen und in verschiedenen Bundesgesetzen verankert sind, so z.B. im Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) und Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Bisher sind in den jeweiligen Gesetzen nämlich unterschiedliche Behörden zuständig: Nach § 5 I 1 AsylVfG entscheidet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als Bundesoberbehörde über Asylanträge einschließlich der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, für aufenthaltsrechtliche Maßnahmen sind hingegen die Ausländerbehörden der Länder zuständig, vgl. § 71 AufenthG.
Der Bundestag erlässt daraufhin auf Initiative der Bundesregierung formell rechtmäßig ein Gesetz, das regelt, dass die sog. „Asyl-Center“ als gemeinschaftliche Verwaltungseinrichtung die gesamten hoheitlichen Aufgaben rund um die Asylbewerber und deren Aufenthalt wahrnehmen sollen, einschließlich des Erlasses von Verwaltungsakten. Bezüglich der Finanzierung ist im Gesetz eine Teilung der anfallenden Kosten zwischen Bund und Ländern vorgesehen.
Die Innenminister von Bund und Ländern versprechen sich von einer derartigen gemeinsamen Zusammenarbeit nur Vorteile: Zum einen werden die Strukturen übersichtlicher, was den Geflüchteten zugutekomme, da die Aufteilung in Bund- und Länderkompetenzen selbst für Juristen nicht immer nachvollziehbar sei. Zum anderen sei die Zusammenarbeit von Bund und Ländern unter dem Dach einer Verwaltungsbehörde effektiver und damit auch aus Kostengründen legitim. Der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit dürfe schließlich nicht unberücksichtigt bleiben. Allein die Landesregierung X fragt sich, ob eine derartige Zusammenarbeit zwischen Bund und Land von Verfassungs wegen überhaupt zulässig sei, da der föderative Charakter aufgehoben werde. Schließlich sei ja nicht klar, wer bei diesen zusammengemischten Arbeitsgemeinschaften eigentlich die Letztverantwortung trage.
Um den Asylbewerbern nach Abschluss des Asylverfahrens und Erhalt eines Aufenthaltstitels in Deutschland einen besseren Neuanfang zu ermöglichen, erlässt der Bundestag des Weiteren ein Gesetz, in dem Subventionen an örtliche Unternehmen ermöglicht werden. Mit diesen Subventionen sollen die Unternehmen einen größeren Investitionsspielraum erhalten um Arbeitsplätze u.a. auch für ehemalige Asylbewerber zu schaffen. Das Gesetz bestimmt, dass der Bund 65 % und die Länder 35 % der entstehenden Ausgaben tragen sollen.
Die Landesregierung X ist damit ebenfalls nicht einverstanden. Sie ist der Meinung, dass das Subventionsmodell europarechtswidrig sei; zur Vermeidung innereuropäischer Wettbewerbsverzerrungen könnten nicht einfach Geldleistungen an Unternehmen erbracht werden. Sie beschließt daher, im Land X keine der vorgesehenen Subventionen an die Unternehmen zu leisten.
In einem Gespräch mit dem zuständigen Landesminister weist der zuständige Bundesminister auf die dringliche Lage hin und macht deutlich, dass er eine Nichtbefolgung des Gesetzes im Bundesland X nicht dulden werde, schließlich führen die Länder das Gesetz wegen Art. 104a III 2 GG im Auftrag des Bundes aus. Notfalls werde er die Handlungsinitiative an sich ziehen. Nachdem sich der Landesminister weiter widerspenstig zeigt (der Landeswahlkampf steht bevor!), weist der Bundesminister den Landesminister schriftlich an, die bereitgestellten Gelder an die Unternehmen auszuzahlen. Der Landesminister ist darüber empört. Auch wenn der Bundesminister damit den ehemaligen Geflüchteten helfen wolle, so könne es doch nicht angehen, von den Ländern die Gewähr von Geldleistungen zu verlangen, bei der sich die Länder haftbar machen könnten. Aus diesem Grund könne und wolle er der Weisung des Bundesministers nicht folgen. Schließlich entfalte eine Verpflichtung zur Befolgung einer Weisung keine Wirkung, wenn diese offensichtlich rechtswidrig sei. Aus diesem Grund will die Landesregierung auch gerichtlich gegen das Schreiben vorgehen.
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