5. Entscheidungserheblichkeit
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Weiterhin muss die dem BVerfG vorgelegte Norm entscheidungserheblich sein. Eine Entscheidungserheblichkeit liegt in der Regel dann vor, wenn die Entscheidungsformel selbst von der Gültigkeit oder Ungültigkeit der Norm abhängig ist. Als Faustformel kann man sich demnach die Frage stellen, ob die Entscheidung anders ausfallen würde, wenn die Norm ungültig wäre.[11] Aus diesem Grund hat das Gericht zunächst alle entscheidungserheblichen Tatsachen und Rechtsfragen zu ermitteln und darüber zu befinden. Gibt dann nur noch das Gesetz den Ausschlag für die Entscheidung, dann ist die Entscheidungserheblichkeit gegeben. Unter Entscheidung in diesem Sinne ist die endgültige oder vorläufige Beendigung des Verfahrens oder eines Teils des Verfahrens zu verstehen.[12] In Ausnahme zur Verpflichtung der Gerichte, alle vorherigen Tatsachen und Rechtsfragen zu klären, ist dies bei umfangreichen Beweisaufnahmen nicht notwendig, wenn die Vorlagefrage für das Gemeinwohl von allgemeiner und grundsätzlicher Bedeutung und damit die Dringlichkeit der Entscheidung gegeben ist.[13] Der an die Entscheidungserheblichkeit anzulegende Maßstab ist sehr hoch. Jedoch weist das BVerfG eine Vorlage nur zurück, wenn die Auffassung des vorlegenden Gerichts unhaltbar ist.[14]
Die Klärung der Sach- und Rechtslage durch das Gericht ist bereits abgeschlossen. Schließlich entscheidet nur noch die Klärung der Gültigkeit des Bundesgesetzes über den Ausgang des Verfahrens. Folglich ist die Entscheidungserheblichkeit der Richtervorlage zu bejahen.
6. Verfahren und Form der Richtervorlage
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Der Richter legt die streitentscheidende Norm dem BVerfG von Amts wegen vor. Eines Antrags der Parteien bedarf es nicht. Mangels entgegenstehender Sachverhaltsangaben ist davon auszugehen, dass der Antrag zudem schriftlich und mit der notwendigen Begründung nach §§ 23 I; 80 II BVerfGG erfolgte. Es muss keine Frist gewahrt werden.
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Die Richtervorlage ist zulässig.
III. Begründetheit
1. Entscheidung des BVerfG
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Das BVerfG entscheidet über die Vereinbarkeit der in Streit stehenden Norm mit dem Grundgesetz. Diesbezüglich wird auf die Maßstäbe der abstrakten Normenkontrolle in Fall 1 verwiesen. Stellt sich die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes heraus, dann erklärt das BVerfG das Gesetz gem. § 82 I i.V.m. § 78 S. 1 BVerfGG für nichtig. Die Nichtigkeitserklärung hat eine ex-tunc-Wirkung und kann das ganze Gesetz oder auch nur einen Teil (sog. Teilnichtigerklärung) umfassen.
Eine weitere Entscheidungsmöglichkeit des BVerfG ist es, das Gesetz lediglich für verfassungswidrig zu erklären, was zu dessen Unanwendbarkeit führt. Dies gibt dem Gesetzgeber die Möglichkeit der Neuregelung und Beseitigung des verfassungswidrigen Zustandes[15], da Gerichte, die in dieser Zeit mit diesem Gesetz befasst sind, das Verfahren bis zum Erlass der Neuregelung auszusetzen haben.[16] Die bloße Erklärung der Verfassungswidrigkeit ist dann angebracht und praktikabel, wenn eine Nichtigkeitserklärung den verfassungswidrigen Zustand aufgrund einer nun gänzlich fehlenden Regelung nicht beseitigen, sondern nunmehr verschlimmern würde. Da vorliegend keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine Nichtigkeitserklärung den verfassungswidrigen Zustand verschlimmern würde, wird das BVerfG das Gesetz bei Verfassungswidrigkeit für nichtig erklären.
Das Bundesgesetz wäre für nichtig zu erklären, wenn es formell oder materiell verfassungswidrig ist.
2. Formelle Verfassungsmäßigkeit des § 6 VIG
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§ 6 VIG ist dann formell verfassungsgemäß, wenn der Bund für den Erlass des Gesetzes zuständig ist sowie Verfahren und Form gem. Art. 76 ff. und Art. 82 GG eingehalten wurden.
a) Gesetzgebungskompetenz
aa) Grundsätze – Art. 30, 70 I GG
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Art. 30 GG regelt die grundsätzliche Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern. Demnach ist die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben Sache der Länder, soweit dieses Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zulässt. Damit geht das Grundgesetz vom Prinzip der Länderkompetenz aus.[17] Lex specialis zu Art. 30 GG ist im Bereich der Gesetzgebung Art. 70 I GG, der die Grundregel für die Kompetenzverteilung hinsichtlich der Gesetzgebungsbefugnisse enthält. In logischer Fortführung von Art. 30 GG sind danach die Länder für die Gesetzgebung zuständig, soweit nicht dem Bund die Zuständigkeit zugewiesen ist. Der Bund besitzt damit nur ausnahmsweise das Recht zur Gesetzgebung, der unbenannte Rest wird hingegen den Ländern zugewiesen.
Die Verleihung von Gesetzgebungskompetenzen zugunsten des Bundes erfolgt vorrangig in den Art. 71 – 74 GG. Hierin wird dem Bund in vielen umfangreichen Bereichen das Recht zur Gesetzgebung gegeben, so dass das faktische Schwergewicht des Gesetzgebungsrechts beim Bund liegt.[18] Fraglich ist damit, ob zugunsten des Bundes abweichend von der Zuständigkeitsvermutung der Länder nach Art. 70 I GG ein Kompetenztitel für die Erhebung von Verwaltungsgebühren vorliegt.
bb) Ausschließliche Gesetzgebungskompetenz nach Art. 71 i.V.m. Art. 73 I Nr. 6a GG
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Dem Bund könnte nach Art. 71 i.V.m. Art. 73 GG die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz zur Regelung der Erhebung von Verwaltungsgebühren zustehen. Folge der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz wäre der Eintritt einer Sperrwirkung für die Landesgesetzgebung; die Länder dürften nicht tätig werden. Ausnahmen davon wären nur möglich, wenn und soweit die Länder in einem Bundesgesetz ausdrücklich zur Gesetzgebung ermächtigt würden, vgl. Art. 71 GG. Voraussetzung für den Eintritt der Sperrwirkung und damit der ausschließlichen Zuständigkeit des Bundes ist jedoch, dass überhaupt ein Gegenstand der ausschließlichen Gesetzgebung vorliegt. Hierzu enthält Art. 73 I GG einen Katalog der Gegenstände der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz.
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In Betracht kommt Art. 73 I Nr. 6a GG. Der Bund hat danach u.a. die Gesetzgebungskompetenz für den Verkehr, den Bau, die Unterhaltung sowie den Betrieb von Eisenbahnen des Bundes. Zwar ist die Deutsche Bahn AG eine juristische Person des Privatrechts, ausschlaggebend für die Einordnung als Eisenbahn des Bundes sind jedoch allein die Eigentumsverhältnisse.[19] Da der Bund Inhaber aller Aktienanteile ist und es vorliegend um Maßnahmen geht, die mit Eisenbahnen im Zusammenhang stehen, könnte der Anwendungsbereich von Art. 73 I Nr. 6a GG eröffnet sein.
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Inhaltlich ist der Bund nach Art. 73 I Nr. 6a GG in Bezug auf die Eisenbahninfrastruktur zuständig für Regelungen über Bahnanlagen, ihre Planung, ihren Bau, ihre Unterhaltung und ihre Änderung einschließlich der finanziellen Konsequenzen.[20] Demzufolge könnten die mit einer Rodung verbundenen Kosten, wie die Verwaltungsgebühren für die Forsterlaubnis, unter die Gesetzgebungskompetenz des Bundes fallen.
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Dem ist entgegenzuhalten, dass die Durchführung der Eisenbahninfrastrukturmaßnahmen nicht von den Verwaltungsgebühren berührt wird. Nimmt die Deutsche Bahn AG Amtshandlungen von Landesbehörden in Anspruch, dann ist die Frage der Entrichtung der Verwaltungsgebühren nicht eine Frage der Infrastrukturmaßnahme an sich, sondern eine Frage der Inanspruchnahme der Verwaltung und des Verfahrens von Landesbehörden.[21] Behördenorganisation und die Regelung des Verwaltungsverfahrens sind jedoch – wie Art. 83 ff. GG zeigen – von den Gesetzgebungskompetenzen für einen bestimmten Bereich getrennt zu sehen. Schließlich lässt sich auch aus dem Gesetzeszweck und seiner Entstehungsgeschichte keine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes herleiten, da es zur Durchführung und Aufrechterhaltung des Eisenbahnbetriebes nicht unbedingt notwendig ist, auch die Gebührenfreiheit der Inanspruchnahme von Verwaltungstätigkeit zu regeln. Insbesondere ergaben sich aus den inhaltlich dem Art. 73 I Nr. 6a GG entsprechenden Regelungen der Weimarer Verfassung und der Staatspraxis der Weimarer Zeit keine derartigen Anhaltspunkte.[22] Art. 73 I Nr. 6a GG ist damit nicht einschlägig.
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