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Der Normenkontrollantrag wäre begründet, wenn das InvestG in formeller oder materieller Hinsicht gegen die Verfassung verstoßen würde.
1. Formelle Verfassungsmäßigkeit[8]
a) Zuständigkeit
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Der Bund müsste gem. Art. 70 ff. GG zum Erlass des Bundesgesetzes zuständig sein. Nach Art. 70 I GG haben grundsätzlich die Länder das Recht der Gesetzgebung, soweit das Grundgesetz nicht dem Bund Gesetzgebungsbefugnisse verleiht. Der Bau einer Eisenbahnstrecke der Deutschen Bahn AG ist aber eine Materie der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes gem. Art. 71, 73 I Nr. 6a GG. Ebenso ist die damit verbundene Planung, die Eisenbahninfrastruktur allgemein, eine kompetenzrechtliche Angelegenheit des Bundes.[9] Auf die Subsidiaritätsklausel des Art. 72 II GG kommt es somit nicht mehr an. Danach ist der Bund auf den in Art. 72 II GG abschließend aufgezählten Gebieten der konkurrierenden Gesetzgebung zuständig, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht. Da hier bereits ein ausschließlicher Kompetenztitel für die Legislative des Bundes gegeben ist, muss daher nicht geprüft werden, ob das im InvestG geregelte Vorhaben der Herstellung gleichwertiger (nicht einheitlicher!) Lebensverhältnisse[10] oder der Funktionsfähigkeit des Wirtschaftsraums der Bundesrepublik dient. Infolgedessen war der Bund zum Erlass des Gesetzes zuständig.
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Das Gesetzgebungsverfahren (Art. 76 ff. GG) erfolgte mangels entgegenstehender Sachverhaltsangaben verfassungsgemäß. Die Form (Art. 82 GG) wurde eingehalten.
2. Materielle Verfassungsmäßigkeit
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Das Gesetz könnte jedoch materiell verfassungswidrig sein, wenn es gegen grundlegende Prinzipien des Grundgesetzes verstößt.
a) Verstoß gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz
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Der Gewaltenteilungsgrundsatz ist als Element des Rechtsstaatsprinzips eine fundamentale Entscheidung über die Staatsstruktur und die innerstaatliche Zuständigkeitsordnung. Nach Art. 20 II 2 GG besteht die Gewaltenteilung in der Aufteilung staatlicher Macht in gesetzgebende, vollziehende und rechtsprechende Gewalt. Darunter ist allerdings nicht nur die strikte Trennung der Gewalten zu verstehen, sondern auch die gegenseitige Kontrolle staatlicher Organe zur Verhinderung von Machtmissbrauch.[11] Die Verknüpfung und Überschneidung der Gewalten ist ein im Grundgesetz verankerter Bestandteil der Gewaltenteilung.[12] Somit ist das Prinzip der Gewaltenteilung nicht rein verwirklicht, sondern von zahlreichen Gewaltenverschränkungen geprägt. Beispielhaft seien hierfür die Instrumente der parlamentarischen Kontrolle der Bundesregierung nach Art. 43 ff. GG, die Regelungen zur Gesetzesinitiative gem. Art. 76 I, II GG, das Erfordernis einer von der Legislative erlassenen Ermächtigungsgrundlage für die Rechtsetzung durch die Exekutive nach Art. 80 GG sowie die Möglichkeit der Anrufung des BVerfG durch die Exekutive zur abstrakten Überprüfung von Gesetzen nach Art. 93 I Nr. 2 GG angeführt. Daher dient die Gewaltenteilung gleichermaßen der Entscheidungsfindung durch die Organe, die nach Funktion, Zusammensetzung und Verfahrensweise die beste Eignung aufweisen.[13]
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Fraglich ist somit, ob das InvestG gegen das Gewaltenteilungsprinzip verstößt, indem die Planung vom Gesetzgeber übernommen wurde. Der Bundestag ist als Legislativorgan verfassungsrechtlich zur Gesetzgebung ermächtigt und demokratisch legitimiert.[14] Aufgrund der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz konnte der Bund die Planungsentscheidung treffen. Allerdings könnte der Regelungsinhalt problematisch sein. Die Exekutive als ausführendes Organ ist für die Regierung und Verwaltung zuständig.[15] Da es sich vorliegend um eine planungsrechtliche Materie handelt, wäre zu klären, welchem der beiden Organe die staatliche Planung zuzuordnen ist. Im Grundgesetz sind Überschneidungen der Kompetenzen angedeutet. Dabei ist es jedoch entscheidend, dass keine Gewalt über die andere hinauswächst und die Zuständigkeit einer anderen an sich reißt.[16] Der Kernbereich der Organkompetenzen muss erhalten bleiben.[17]
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Ausnahmen hinsichtlich eines Übergriffs in andere Gewalten gelten bei konkret-einzelfallbezogenen Entscheidungen[18] und bei Planungsentscheidungen. Eine genaue Zuordnung kann im Planungsbereich nicht getroffen werden.[19] Im Grundgesetz lässt sich keine originäre und eindeutige Zuständigkeit der Exekutive im Bereich staatlicher Planung feststellen. Jedenfalls die Planvorbereitung soll Angelegenheit der Exekutive sein. Beim Bund verbleiben in diesem Fall die Kontroll- und Informationsrechte.[20] Ist aber eine Materie ihrer Natur nach geeignet, gesetzlich geregelt zu werden, so ist es der Legislative nicht prinzipiell verwehrt, einen Plan durch Gesetz zu beschließen.[21] Daher begründet der Erlass des Gesetzes zur Planung der ICE-Strecke grundsätzlich keinen Verstoß gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz. Allerdings ist der Übergriff oder die Beeinträchtigung eines anderen Gewaltbereiches nicht ohne weiteres zulässig.
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Als Maßstab für einen Übergriff in andere Gewalten gilt die bundesstaatliche Kompetenzordnung.[22] Dem Bund steht hier hinsichtlich der Bundeseisenbahnen und des Baus von Schienennetzen die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit zu (s.o.). Da es sich bei der Planungsentscheidung um einen komplexen Prozess handelt, steht allein mit einer solchen Entscheidung durch den Gesetzgeber nicht fest, dass er in originäre Funktionen der Exekutive eingreift. Der Bund beabsichtigt hier, mit dem Bau der ICE-Strecke die Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse zwischen Osten und Westen zu fördern. Weiterhin könnte durch die gesetzliche Planung das ICE-Projekt schneller durchgeführt werden. Ein Planfeststellungsverfahren und etwaige verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten bringen Verzögerungen mit sich. Die Eilbedürftigkeit und Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse sind geeignete Gründe, eine Planfeststellung per Gesetz zu rechtfertigen. Darüber hinaus ist dieses Gesetz eine Einzelfallregelung, so dass ein dauerhafter Verlust der Exekutivgewalt ausgeschlossen ist. Ausgehend von Art. 87e GG liegt zudem verwaltungstechnisch eine bundeseigene Verwaltung des Eisenbahnverkehrs vor. Somit ist auch die bundesrechtliche Kompetenzordnung gewahrt. Der Gewaltenteilungsgrundsatz ist folglich nicht verletzt.
b) Verbot des Einzelfallgesetzes
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Allerdings könnte ein Verstoß gegen das Verbot des Einzelfallgesetzes nach Art. 19 I 1 GG vorliegen. Ein Gesetz ist für den Einzelfall, wenn es nicht generell gilt, sondern auf einen bestimmten Adressatenkreis anwendbar ist. Ebenso verhält es sich mit Gesetzen, die abstrakt-generell formuliert sind und dennoch nur auf einen Einzelfall angewendet werden können.[23] Hierbei ist zwischen Einzelpersonen- und Einzelfallgesetzen zu differenzieren, also zwischen dem personellen und dem sachlichen Wirkungsbereich des Gesetzes.[24] Vorliegend wäre der sachliche Bereich betroffen, da das Gesetz nur für die Maßnahme „Planung der Ost-West-Achse“ gelten würde. Einzelfallgesetze sind nicht nach dem GG schlechthin, sondern lediglich nach Art. 19 I 1 GG unzulässig.[25] Dies ist nur dann der Fall, wenn in Grundrechte oder grundrechtsgleiche Rechte durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingegriffen wird. Dem lässt sich aber nicht entnehmen, dass das Grundgesetz von einem Gesetzesbegriff ausgeht, der nur allgemeine Regelungen erlaubt. Die Regelung für einen einzelnen Fall ist nicht gleichsam ein Bruch des Gewaltenteilungsgrundsatzes.[26] Entscheidend ist hier, dass die „objektbezogene Legalplanung“ für die ICE-Trasse zwar für eine Maßnahme gilt, aber dennoch für eine unbestimmte Anzahl von Fällen in der Zukunft Anwendung findet.[27] Das InvestG mit seinen Bestimmungen für die Planung und Enteignung gilt für eine Vielzahl noch nicht abzuschätzender Fälle. Das Gesetz regelt zwar nur eine Maßnahme, nämlich die Planung und das weitere Verfahren des ICE-Trasse-Projekts. Damit ist vorliegend eine konkret-individuelle Regelung getroffen worden, die aber abstrakt-generell wirkt. Schließlich soll die Regelung eines Einzelfalls auch dann möglich sein, wenn der Sachverhalt so beschaffen ist, dass es nur einen zu regelnden Fall dieser Art gibt und die Regelung dieses singulären Sachverhalts von sachlichen Gründen getragen wird.[28] Auch nach diesem Maßstab wäre das Gesetz hier zulässig, da der Bund die Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse zwischen Osten und Westen sowie die schnelle Durchführung des Projekts fördern möchte (s.o.). Ein Verstoß gegen das Verbot des Einzelfallgesetzes ist damit nicht gegeben.
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