172
Hinweis:
Die Kollisionsregelung des Art. 31 GG (Bundesrecht bricht Landesrecht) kommt hier nicht zur Anwendung. Im Grundgesetz sind die Gesetzgebungszuständigkeiten auf Bund und Länder aufgeteilt. Auch wenn hier ein Widerspruch bundesgesetzlicher und landesgesetzlicher Regelungen vorliegt, so kommt Art. 31 GG nicht zur Anwendung, da dem Bund bereits die Gesetzgebungskompetenz fehlt.
173
Mangels entgegenstehender Sachverhaltsangaben ist von einem ordnungsgemäßen Gesetzgebungsverfahren nach Art. 76 ff. GG auszugehen, ebenso wie von der Beachtung der nach Art. 82 I GG erforderlichen Form.
3. Materielle Verfassungsmäßigkeit des § 6 VIG
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Nichtigkeitsgründe in materieller Hinsicht bestehen nicht.
175
Das BVerfG wird § 6 VIG insoweit für nichtig erklären (§ 78 S. 2 BVerfGG).
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Im Ergänzungsfall ist fraglich, ob der Bund die Gesetzgebungskompetenz zur Regelung einer Kostenumlage zugunsten der Bankenaufsicht hat.
I. Gesetzgebungskompetenz für das Kostenumlage-Gesetz
1. Spezielle Gesetzgebungskompetenz des Bundes gem. Art. 105 II GG
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Dem Bund könnte die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz nach Art. 105 II GG zustehen, wenn es sich bei der Kostenumlage um eine Steuer handeln würde. Da maßgeblich für die Zuordnung zu einer öffentlich-rechtlichen Abgabe nicht ihre Bezeichnung durch den Gesetzgeber ist, sondern ihr materieller Inhalt[38], könnte demnach auch die „Kostenumlage“ eine Steuer darstellen.
Der Begriff der Steuer ist im Grundgesetz selbst nicht definiert, so dass auf die herkömmliche Begriffsbildung der Finanzwissenschaft zurückgegriffen werden kann.[39] Diese findet sich in § 3 I 1 AO. Danach ist eine Steuer eine Geldleistung, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung eines öffentlich-rechtlichen Gemeinwesens darstellt und zur Erzielung von Einnahmen allen auferlegt wird, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft. Infolgedessen handelt es sich bei der Kostenumlage um keine Steuer: Die Kostenumlage dient nicht der Mittelbeschaffung für den allgemeinen Finanzbedarf eines öffentlichen Gemeinwesens, sondern sie wird vielmehr nur von einem bestimmten Kreis zweckbezogen zur Finanzierung einer besonderen Aufgabe – der Bankenaufsicht – erhoben.[40] Eine Gesetzgebungskompetenz aus Art. 105 II GG scheidet damit aus. Mithin muss auf die allgemeinen Vorschriften der Art. 70 ff. GG zurückgegriffen werden.
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Exkurs
Abgabe ist der Sammelbegriff für alle kraft öffentlicher Finanzhoheit zur Erzielung von Einnahmen erhobenen Zahlungen. Die öffentlich-rechtlichen Abgaben lassen sich in Gebühr, Beitrag, Sonderabgaben und Steuern unterteilen.
Beitrag
Beiträge sind Geldleistungen, die zur vollen oder teilweisen Deckung des Aufwandes einer öffentlichen Einrichtung oder Anlage von denjenigen erhoben werden, denen die Herstellung, Anschaffung, Erneuerung oder der Bestand der Einrichtung oder Anlage besondere Vorteile gewährt. Damit gleicht der Beitrag die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer staatlichen Leistung aus. Nicht notwendig ist es hingegen, dass die Vorteile vom Zahlungsverpflichteten wirklich in Anspruch genommen werden, es genügt die bloß potentielle Begünstigung.[41] Beispiel: Erschließungsbeiträge, Kurbeiträge.
Gebühr
Im Allgemeinen sind Gebühren öffentlich-rechtliche Geldleistungen, die aus Anlass individuell zurechenbarer öffentlicher Leistungen dem Gebührenschuldner durch eine öffentlich-rechtliche Norm oder sonstige hoheitliche Maßnahmen auferlegt werden und dazu bestimmt sind, in Anknüpfung an diese Leistung deren Kosten ganz oder teilweise zu decken (Kostendeckungsprinzip).[42] Im Gegensatz zum Beitrag besteht damit bei der Gebühr eine unmittelbare Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung. Beispiel: Erlaubniserteilung, Beurkundung, Benutzung von Wasser, Gas und elektrischem Strom, Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln.
Sonderabgaben
Die Sonderabgabe ist eine nichtsteuerliche Abgabe, die Finanzierungszwecken dient und die eine besondere Finanzierungsverantwortung der Abgabepflichtigen beansprucht.[43] Üblicherweise erfolgt die Mittelverwendung außerhalb des Bundesfinanzhaushaltes und finanzverfassungsrechtlicher Verteilungsregeln.[44] Angesichts des im Vordergrund stehenden Finanzierungszweckes, der von einer bestimmten Gruppe gewährleistet werden soll, ist die vorliegende Kostenumlage als eine Sonderabgabe einzuordnen. Die Voraussetzungen für eine Sonderabgabe sind streng: Nach BVerfGE 108, 186 (213) muss für die Sonderabgabe ein über die Mittelbeschaffung hinausgehender Sachzweck vorliegen, nur eine homogene, speziell vom Sachzweck betroffene Gruppe darf in Anspruch genommen werden und die Abgabe darf nur „gruppennützig“ verwendet werden.
2. Gesetzgebungskompetenz gem. Art. 71, 73 GG
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Der Bund könnte die Gesetzgebungskompetenz nach Art. 71, 73 GG haben, wenn eine Materie der ausschließlichen Gesetzgebung einschlägig wäre. Dies ist jedoch vorliegend nicht der Fall. Regelungen im Bereich des Finanzdienstleistungswesens sind nicht im Katalog des Art. 73 GG enthalten. Infolgedessen scheidet eine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes aus.
3. Gesetzgebungskompetenz gem. Art. 74 I Nr. 11 i.V.m. Art. 72 II GG
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Möglicherweise ist der Bund im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung zuständig. In Art. 74 I Nr. 11 GG ist das Recht der Wirtschaft verankert. Davon ist ausdrücklich das Bank- und Börsenwesen umfasst. Der Begriff „Recht der Wirtschaft“ wird vom Bundesgesetzgeber extensiv ausgelegt.[45] Dem weitumfassenden „Recht der Wirtschaft“ unterliegen alle Vorschriften von Erzeugung, Herstellung und Verteilung von Gütern des wirtschaftlichen Bedarfs, bis hin zu Vorschriften des wirtschaftlichen Lebens und der wirtschaftlichen Betätigung als solche.[46] Umfasst sind in Bezug auf das Bankwesen damit die Gesamtheit aller Rechtsnormen, die sich auf die Banken als solche beziehen und den für diese typischen Geschäftsbereich regeln, insbesondere Fragen der rechtlichen Organisation des Bankenwesens.[47] Fraglich ist, ob die Kostenumlage zugunsten der Bankenaufsicht von dieser Gesetzgebungskompetenz gedeckt ist. Problematisch ist hierbei, dass die Kostenumlage weniger mit der Organisation und dem Betrieb von Banken zu tun hat, sondern vielmehr der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dient. Die Bankenaufsicht soll primär hochriskante Finanzspekulationen unterbinden, um staatliche, wirtschaftliche und finanzielle Stabilität zu wahren und damit für die Sicherheit des Gemeinwesens zu sorgen. Mit dem Betrieb und der Organisation des Bankenwesens ist somit kein direkter, unmittelbarer Zusammenhang gegeben.
4. Ungeschriebene Gesetzgebungszuständigkeit kraft Annexkompetenz
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Allerdings ist ein inhaltlicher Zusammenhang zum Bankwesen nicht vollständig von der Hand zu weisen, da die Bankenaufsicht ebenfalls einen wirtschaftspolitischen Zweck verfolgt. Eine eindeutige Abgrenzung, was zum Recht der Wirtschaft gehört und was der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zuzurechnen ist, ist nicht immer möglich.[48] So weist das BVerfG darauf hin, dass nicht wenige Normen des Wirtschafts- und Gewerberechts mittelbar oder unmittelbar der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dienen.[49] Damit sei jedoch keine Veränderung der Gesetzgebungszuständigkeiten verbunden. Denn die Gesamtheit der Normen, die der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dienen, bildet keinen selbstständigen Sachbereich im Sinne der grundgesetzlichen Verteilung der Gesetzgebungszuständigkeiten. Die Konsequenz dessen wäre nämlich eine für den Bürger kaum noch nachvollziehbare Aufspaltung zwischen Ordnungsgewalt und dem jeweiligen Sachgebiet. Deshalb sind ordnungsrechtliche Bestimmungen – wie die Aufsicht für Banken, die der Überwachung und Umsetzung von bundesgesetzlichen Regelungen dient – als Annex zu Art. 74 I Nr. 11 GG zu sehen. Die Annexkompetenz ist eine ungeschriebene Gesetzgebungskompetenz, bei welcher der Bund in einem Sachbereich tätig wird, der bereits ausdrücklich – als geschriebene Sachzuständigkeit – dem Bund zugeordnet wird. Als Annex zu dieser Materie regelt der Bund dann aber einen Bereich, der ursprünglich den Ländern vorbehalten ist.[50] Mit ihr kann sichergestellt werden, dass, soweit der Bund die Gesetzgebungskompetenz für ein bestimmtes Sachgebiet hat, er dieses auch durch den Erlass spezialpolizeilicher Vorschriften durchsetzen kann. Ausnahmen können nur dort gelten, wo die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung den alleinigen und unmittelbaren Zweck bildet, was vorliegend jedoch nicht der Fall ist. Damit unterfällt die Regelungskompetenz der konkurrierenden Gesetzgebung als Annex zu Art. 74 I Nr. 11 GG.
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