»Das ganze Leben ist ein ewiges Wiederanfangen.«
- Hugo von Hofmannsthal -
So sehr die Scheidung von meinem Mann schmerzte, so gut tat nach einiger Zeit die Freiheit. Endlich konnte ich wieder mehr oder weniger tun und lassen, was ich wollte. Ich musste niemandem Rechenschaft ablegen und konnte mich vollkommen frei bewegen. Als Erstes besuchte ich meine Freundin Jessica in Nuweiba, eine gebürtige Schweizerin, die ebenfalls mit einem Beduinen verheiratet war und schon einige Jahre länger als ich im Sinai lebte. Ich verbrachte einige schöne Tage in ihrem Camp am Meer.
Gemeinsam mit ihrem Mann besuchten wir am Ende meines Aufenthalts ihre Schwiegermutter. Sie lebte in einer wunderschönen Oase, in der Nähe von Ain Umm Ahmad. Am frühen Morgen machten wir es uns im Jeep bequem und fuhren schon bald von der asphaltierten Straße in ein Wadi. Jetzt wurde es unbequemer, denn der Geländewagen musste ein gewisses Tempo haben, um nicht im Sand steckenzubleiben. Der Ausblick entschädigte uns für die Mühen. Abwechselnde Steinformationen in allen Farbtönen von beige bis schwarz zogen sich rechts und links an dem ausgetrockneten Flussbett entlang.
Nach kurzer Zeit sahen wir das erste Wasser. Ein schmales Rinnsal sorgte für ein paar kleine Palmen am Berghang. Wir legten eine kurze Rast an einer Stelle ein, an der sich das Wasser sammelte, wuschen uns den Staub aus den Gesichtern und reckten unsere Glieder. Unsere Jungs machten sofort eine Wasserschlacht und wollten erst gar nicht wieder in den Jeep einsteigen. Eine große Tüte Chips, die ich in Nuweiba besorgt hatte, half mir, sie schnell umzustimmen. Weiter ging die Fahrt durch tiefe Schluchten über Stock und Stein. Die Jungs kreischten zwischendurch vor Vergnügen, wenn der Jeep richtig Fahrt aufnahm und dadurch sicher seinen Weg durch den teilweise vorkommenden tiefen und feinen Sand meisterte. Mousallim war ein sehr guter Fahrer.
Es ist ein atemberaubender Anblick, wenn man nach der langen Tour durch die unterschiedlichen Beigetöne plötzlich eine größere Ansammlung leuchtend grüner Palmen erblickt, die in einem herrlichen Kontrast zu den Bergen stehen. Wir hatten unser Ziel erreicht und wurden sehr herzlich begrüßt.
Mousallims Mutter war eine sehr kleine Frau mit einer leicht gebückten Haltung. Die Sonne hatte tiefe Furchen in ein Gesicht gebrannt, aus dem mich funkelnde tiefbraune Augen seit meiner Ankunft freundlich anlächelten. Jessicas Schwiegermutter hatte einen kleinen Garten angelegt und bereitete uns einen Eintopf aus frisch geernteten Zucchini und dem frisch geschlachteten Huhn, das wir mitgebracht hatten. Wir wollten ihr ein wenig zur Hand gehen, aber das ließ die Dame des Hauses natürlich nicht zu. Obwohl Jessica zur Familie gehörte, waren wir für heute ihre Gäste.
Die Behausung bestand aus zwei einfachen, aus Natursteinen gebauten Räumen mit einem Dach aus Palmblättern. Eine mannshohe Mauer aus groben Zementblöcken schützte die Bewohnerin im Winter vor dem kalten Wind. Draußen vor dem Hof waren ihre Ziegen und Schafe in ebenfalls ummauerten Gehegen untergebracht. Jessicas Schwiegermutter lebte meist allein dort, ganz abgeschieden in den Bergen. Ihr Mann war bereits verstorben und nur hin und wieder kamen ihre Kinder oder deren Frauen für ein paar Tage oder Wochen zu ihr. Ich bewunderte ihren Mut, hier die meiste Zeit allein zu verbringen, denn sie schien sehr zufrieden mit ihrer Situation.
Ich ging mit Jessica ein wenig die Gegend erkunden und wir genossen es außerordentlich, durch die hügelige unbewohnte Landschaft zu laufen und die vielen Pflanzen an den steilen Berghängen zu bewundern.
Auf dem Weg entdeckten wir ein paar reife Kapernfrüchte. Grellgelb leuchtete das Fruchtfleisch im farblichen Gegensatz zu der knallroten Schale, die bereits aufgeplatzt war. Ich pflückte eine, pustete die Ameisen, die darauf herumkrabbelten beiseite und ließ mir genüsslich das herzhaft süße Fruchtfleisch schmecken. Die kleinen, scharfen Kerne, auf die ich zwischendurch biss, ergänzten angenehm kontrastreich den erfrischenden Gaumenschmaus. Für Jessicas Familie und meine Jungs hatte der Strauch ebenfalls noch ein paar reife Früchte anzubieten. Einige Kerne spuckten wir in den Sand, damit die Pflanze die Chance behielt, sich zu vermehren. Auch einige unreife Früchte hingen noch an den Zweigen. Diese sammelten wir, um sie zurück in Nuweiba mit viel Salz und geriebenem Ziegenkäse in Wasser einzulegen. Diese salzig-säuerlich und recht scharfe Mixtur nahmen die Beduinen bei Erkältungskrankheiten, aber auch als schmackhafte Zutat zu einigen Speisen. So wurde sehr gern Maadus, ein Gericht aus Linsen und Reis damit verfeinert oder ein Schuss dem Salat zugegeben. Wenn die Kinder oder ich im Winter mal einen etwas rauen Hals gehabt hatten, war dies meine bewährte und liebste Medizin dagegen.
Ich hatte dieses Hausmittel immer parat und Jessicas Mutter zeigte uns sofort ihren eigenen Vorrat, als sie sah, was wir mitgebracht hatten.
Wir alle waren von der Hitze sehr müde und hielten nach dem Essen Siesta. Meine Kinder schliefen recht schnell ein. Die Ruhe hier oben in den Bergen war fantastisch. Weit und breit kein Laut, außer dem gelegentlichen Meckern der Ziegen. Ich selber mochte nicht schlafen. Leise nahm ich mir einen kleinen Teppich und entfernte mich etwas von dem Haus der Schwiegermutter. Ich nutzte die Zeit, um mal wieder ausgiebig zu meditieren. Das gelang mir unter diesen Umständen ganz besonders gut.
Die Stille war noch immer etwas Besonderes für mich und ich bereute mal wieder, kein Kamel mehr zu besitzen. Unsere Wüstenschiffe waren leider alle während Samirs Drogenzeit verkauft worden.
Ich meditierte zum Loslassen und da ging es vor allem um meinen Ex-Mann. Ich konnte ihm alles vergeben und positiv in meine Zukunft sehen.
Als alle anderen wieder erwachten, fühlte auch ich mich frisch, erholt und voller Tatendrang. Ich freute mich auf Dahab und mein neues Leben dort.
Etwa zwei Monate später heirateten Sahi und ich. Wenn wir nicht in einem arabischen Land gelebt hätten, wäre ich sicherlich nicht so schnell auf eine Heirat eingegangen. Aber in Ägypten ist es verboten, mit einem Mann ohne Trauschein zusammenzuwohnen. Wir unterschrieben vorerst nur ein Papier bei einem Anwalt. Eine richtige Heirat, die auch von den deutschen Ämtern anerkannt wird, ist ein sehr langwieriger Prozess und mit einem Ehefähigkeitszeugnis und einigen Fahrten nach Kairo verbunden. Für uns und die Behörden reichte der sogenannte Urfivertrag vom Anwalt.
Zur Feier lud ich nur einige meiner guten Freundinnen ein und verzichtete gern auf eine der großen beduinischen Hochzeitsfeiern. Bei den Beduinen tun sich üblicherweise einige Paare zusammen. Diese Feste sind berauschend und gehen über drei Tage. Oft finden sie in einem der umliegenden Wadis statt. Jeder, der kommen möchte, ist dazu eingeladen und daher kosten diese Feste ein Vermögen, welches wir derzeit nicht hatten. Außerdem wollten wir nicht auf solch einen Termin warten. Wir feierten daher ganz bescheiden bei Sahis Schwestern.
Schon am frühen Morgen wurden eine Ziege und ein Schaf geschlachtet. Zahlreiche Gäste aus unserer Nachbarschaft kamen mittags vorbei, aßen mit uns und überhäuften uns mit den allerbesten Wünschen.
Meine Kinder mochten Sahi und seine Familie sehr gern und wurden herzlich von ihnen in die neue Sippe integriert.
Zu meinen zwei Schwägerinnen und meiner neuen Schwiegermutter hat sich schon bald eine sehr vertraute und liebevolle Beziehung entwickelt. Ich verbrachte viel Zeit bei ihnen, während Sahi und ich nebenan unser Haus herrichteten.
Wir besorgten zuerst Holzsparren für das Dach, die Fenster und Türen. Gemeinsam bauten wir das Haus erst einmal notdürftig zusammen, damit ich die nicht mehr anfallende Miete in die Renovierung stecken konnte. Das bedeutete, ich begnügte mich anfangs mit einem Dach aus Palmwedeln, die eng aneinandergelegt und festgeschnürt wurden. Auch der Verputz der Wände musste vorerst warten.
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