Heilkräuter
und Zauberpflanzen
Wolf-Dieter Storl
Heilkräuter
und Zauberpflanzen
zwischen Haustür
und Gartentor
Am Grünen Donnerstag im Mai
kocht die Bäuerin ihren Brei
von neunerlei Kohlkräuterlein
sollt wider alle Krankheit sein.
Bauernweisheit
Sämtliche Rezepte sind, sofern nicht anders vermerkt, für 4 Personen berechnet.
Dieses Buch ist eine vollständig neu gestaltete Ausgabe des unter dem gleichen Titel seit 2000 im AT Verlag in 8 Auflagen erschienenen Werks.
9. Auflage, 2018
© 2000
AT Verlag, Aarau
Fotos: Lisa Storl, Seite 82 Bruno Vonarburg
Illustrationen aus: Hess/Landolt/Hirzel, Flora der Schweiz,
Birkhäuser Verlag, Basel
Gestaltung und Satz: AT Verlag, Aarau
E-Book-Herstellung und Auslieferung:
Brockhaus Commission, Kornwestheim
www.brocom.de
E-Book ISBN 978-3-03902-019-5
www.at-verlag.ch
Der AT Verlag, AZ Fachverlage AG, wird vom Bundesamt für Kultur mit einem Strukturbeitrag für die Jahre 2016–2020 unterstützt.
Inhalt
Zum Geleit
Brennnessel
Beifuß
Gundermann
Geißfuß
Wegerich
Ackerschachtelhalm
Gänseblümchen
Vogelmiere
Löwenzahn
Literatur
Stichwortverzeichnis
Der Göttin Chamunda gewidmet
Die weisen Pflanzen mögen hier erscheinen. Sie verstehen, wovon ich spreche, und wir können gemeinsam diesem Menschen seine Gesundheit wiedergeben.
Sie sind die Güte des Feuers, die Kinder des Wassers, sie wachsen und wachsen wieder nach, starke heilende Pflanzen mit tausend Namen, die alle hier zusammengetragen sind.
Aus der Atharvaveda
Zum Geleit
Dreimal drei Zauberpflanzen nahm der altheidnische Kräuterkundige gegen Gift und Ansteckung zur Hand. Mit dieser »grünen Neune« besiegte er die unheimlichen »Würmlein klein, ohne Haut und Bein«, die sich in den dunklen Tiefen des Körpers einnisten und einem die Kraft nehmen. Er folgte damit dem Vorbild des schamanistischen Zaubergottes Odin-Wotan. Dieser lehrte ihn die Lieder und Runen, mit denen Leid besungen und gebannt werden konnte. Im angelsächsischen Kräutersegen (niedergeschrieben in Wessex im 11. Jh.) heißt es von Odin: »Neun wundersame Zweige nahm er und schlug den giftigen Wurm, der da geschlichen kam, um einen Menschen zu zerreißen.«
Der alte Pflanzensegen schließt mit folgenden Bannworten:
»Nun haben diese neun Kräuter Macht
gegen neun böse Geister
gegen neun ansteckende Krankheiten
gegen das stinkende Gift
gegen das wütende Gift
gegen das gelbe Gift
gegen das grüne Gift
gegen das dunkle Gift
gegen das braune Gift
gegen das purpurne Gift
gegen Wurmblattern
gegen Giftblattern
wenn irgendein Gift kommt von Osten geflogen
oder irgendeins von Norden kommt
oder irgendeins von Westen über die Menschheit.«
Sicherlich, so könnte man meinen, handelte es sich bei diesen Heil- und Zauberpflanzen um irgendwelche seltenen, exotischen oder sonst ungewöhnlichen Gewächse. Aber die im angelsächsischen Kräutersegen angegebenen Pflanzen sind ganz gewöhnliche Kräuter wie etwa Beifuß, Wegerich, Kamille, Brennnessel, Kerbel oder wilder Fenchel, die wir eher als Unkraut bezeichnen würden.
»Negenderlei« (neunerlei) Kräuter wurden noch immer von den frommen Christenleut im Mittelalter verwendet. Es waren nicht immer dieselben; die Zusammensetzung des Kräuterbündels war von Gegend zu Gegend so verschieden wie die Mundarten, aber es waren immer einfache, gewöhnliche Wildkräuter. In Böhmen waren es zum Beispiel Quendel (Thymian), Wegerich, Löwenzahn, Schafgarbe, Butterblume, Eisenkraut, Ochsenzunge, Brennnessel und Odermennig. Mit dieser Zusammenstellung wurde geheilt, gezaubert, Blitz und Teufel gebannt; man trug die Kräuter als Kranz auf dem Haupt, goss ihre Abkochungen mit ins Badewasser, rührte sie in Salben hinein und räucherte mit ihnen. Oft wurden sie an besonders heiligen Tagen gesammelt, vor allem zu Johanni oder zu Mariä Himmelfahrt. Auch aß man die neun grünen Kräuter als eine Art Kultspeise am Gründonnerstag, um sich ihre Kraft einzuverleiben und um das ganze Jahr über gesund zu bleiben.
Es gibt heutzutage viele Kräuterbücher mit pharmakologisch genaustens analysierten Pflanzen. Leider werden die in diesen Werken aufgelisteten Exemplare praktisch nur als »Behälter« chemischer Wirkstoffe angesehen. Man ordnet die Pflanzen nach den in ihnen enthaltenen Alkaloiden, schwefelhaltigen Heterosiden, Glykosiden, Flavoniden, Bitterstoffen, Saponinen und so weiter. Den traditionellen Kräuterkundigen lässt das jedoch kalt, denn er weiß: Eine Pflanze ist mehr als nur die Summe der toten Stoffe, die sie enthält. Er sieht die Pflanze als ein Lebewesen, das sich auf recht intelligente Art und Weise jene Stoffe auswählt, welche sie zur Aufrechterhaltung ihres Lebens braucht. Er erlebt die Pflanze als Persönlichkeit, ein Wesen mit langer Geschichte hier auf Erden. Er redet und kommuniziert mit ihr, denn er empfindet, dass sie nicht nur einen Leib hat, sondern auch so etwas wie einen Geist und eine Seele, nur dass diese sich ganz anders ausdrücken als beim Menschen.
Der Pflanzenfreund vermag kaum jede einzelne Pflanzenpersönlichkeit kennen zu lernen und sich mit ihr zu befreunden. Bei den Menschen ist es auch nicht möglich, mit jedem Einzelnen in der Stadt, ja nicht einmal in der Nachbarschaft per Du zu sein. Aber man hat seine Freunde, die man gut kennt und auf die man sich verlassen kann. In Frage kommen da nur eine Handvoll. Das sind, wie die Indianer sagen würden, unsere pflanzlichen Verbündeten.
Auch Maria Treben, die erfolgreichste unter den wirklich kräuterkundigen weisen Frauen heutzutage, nimmt vor allem diejenigen Kräuter, denen der Normalverbraucher am liebsten mit dem Unkrautvertilger oder dem elektrischen Trimmer zu Leibe rückt. Huflattich, Hirtentäschel, Johanniskraut, Labkraut, Löwenzahn, Sauerklee, Schafgarbe und so weiter heißen die besten Gehilfen dieser Kräuterfrau. Auch sie vertritt die Anschauung, dass man nur eine Handvoll braucht – sieben oder acht genügen, um sämtliche Leiden heilen zu können. Wesentlich aber ist, dass man diese Pflanzen durch und durch kennt und liebt, man muss sie als Persönlichkeiten begreifen können: Dann werden sie regelrechte Wunder vollbringen.
Neun solche Pflanzen, willkürlich ausgewählt, werden wir uns hier genauer anschauen. Es sind gewöhnliche Wildkräuter, die bei mir – und sicherlich auch bei Ihnen – auf dem Rasen, am Gartenweg, am Zaun und in der Hecke wachsen. Wir wollen eine Ahnung davon bekommen, was für zauberhafte Persönlichkeiten sich im schlichten Grün verbergen, hören, was für Geschichten sie uns zu erzählen vermögen und welche Heilkräfte sie in sich bergen.
DANK
Ehe wir uns in das ethnobotanische Abenteuer begeben, möchte ich meinen beiden Lehrmeistern danken, deren Inspirationen mich beim Schreiben begleiteten. Zuerst dem Bergbauern Arthur Hermes (1890–1986), dessen Einsiedlerhof sich auf einer Megalithkultstätte im Waadtländer Jura befindet. Arthur Hermes sprach mit den Devas und Elementarwesen und rief seine Kühe durch Gedankenübertragung von der Weide. Hermes, der sein Leben dem kosmischen Christus und der Mutter Erde weihte, kam mir vor wie ein wiederverkörperter Druide oder ein Hierophant aus megalithischen Zeiten. Sein Blick konnte bannen, seine Stimme verzaubern.
Hermes erblickte unter einem Strohdach der norddeutschen Heide das Licht der Welt. In dem abgelegenen Dorf gab es weder Maschinen noch Strom; es gab Pflanzen, Tiere und die stillen Weiten der Heide. So ist es kein Wunder, dass ihm die Besinnlichkeit eigen wurde und sein geistiges Auge bis in das alteuropäische Neolithikum spähen konnte.
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