Er schaute sich kurz um, entdeckte Heine und ging zielstrebig auf den Tisch zu. Heine stand auf und reichte Madsen die Hand.
»Hallo Mark, schön dass du da bist.« Madsen ergriff die Hand und lächelte den Österreicher an.
»Hallo Siegfried, ich hoffe, ich habe dich nicht zu lange warten lassen. Es ist ganz schön was los in der Stadt.«
Die Männer setzen sich.
»Ja, der Sommer steht vor der Tür. Die Urlaubszeit bricht an, und ich glaube nicht, dass es in den nächsten Monaten anders wird. Ich genieße es, die vielen Menschen zu beobachten. Aber reden wir von dir. Ich freue mich wirklich sehr, dich zu sehen. Ist hier alles in Ordnung? Hotel? Restaurants? Wenn du Hilfe brauchst, sag es mir einfach.«
Madsen winkte ab.
»Alles bestens. Wirklich. Ich fliege sowieso heute noch nach Berlin.«
Der Kellner kam und nahm ihre Bestellung auf. Heine orderte einen weiteren Kaffee, während der US-Amerikaner einen Cappuccino wählte. Als der Kellner sich entfernte, kam Madsen zur Sache.
»Unsere Leute sind sehr unruhig. Nicht nur, dass bei den Sowjets irgendetwas vor sich geht, auch unsere Agenten in der DDR fliegen neuerdings reihenweise auf. Deswegen bin ich hier. Du hast die Aufgabe, einen neuen Agenten, möglichst in der Nähe von Berlin wohnend, zu rekrutieren. Tarne das Ganze als Urlaub. Reise nach Ungarn oder Bulgarien. Finde jemanden, bilde ihn ordentlich aus und dann informiere uns. Den Rest machen wir wieder. Du hast in der Vergangenheit schon mehrfach deinen guten Instinkt bewiesen, wenn es um das Anwerben geht. Die Kosten trägt wie immer die Firma.«
»Was geht denn in der UdSSR vor? Kannst du mir Näheres sagen?«
Madsen trank einen Schluck und nickte.
»Unsere Leute in Moskau erzählen von enormen Truppenbewegungen. Die offizielle Verlautbarung deutet auf Manöver-Vorbereitung. Allerdings ist es im Nachbarstaat Afghanistan momentan auch sehr unruhig. Unsere Analytiker sehen einen Zusammenhang. Bislang haben sich die Sowjets zurückgehalten, obwohl der afghanische Regierungschef ihnen dauernd in den Ohren liegt und Unterstützung anfordert. Seit der Ermordung Mohammed Daoud Khans und seiner Familie gleicht Afghanistan einem Pulverfass. Die CIA unterstützt seit Jahren die Revolution, um die Demokratie und westliche Denkweise durchzusetzen. Mit einer vermeintlichen Einflussnahme der Sowjets wäre unsere jahrelange Arbeit zerstört. Deswegen brauchen wir so viele Informationen wie möglich. Wo bewegt der Russe etwas, werden Truppen verlegt? Das ist die große Frage. Unsere Analytiker übernehmen dann den Rest.«
»Was hat der Neue für Aufgaben?«
»Er soll lediglich beobachten. Er soll hier und da mal einen Blick auf die sowjetischen Stützpunkte werfen und melden, was auffällig ist. Eventuelle Truppenbewegungen, Mannschaftstärken, Fahrzeuge zählen und so weiter. Wir wissen beide, wie stark die sowjetischen Truppen an der deutsch-deutschen Grenze vertreten sind. Aber im Grunde genommen steckt hinter den Aufgaben nichts Wildes, völlig ungefährlich. Der Mann begibt sich also keinesfalls in Lebensgefahr oder bekommt irgendwelche Mordaufträge. Dafür haben wir Spezialisten. Das Ganze läuft unter dem Codenamen Heinz Friedrich.«
Heine nickte.
»Da sehe ich kein Problem, etwas Passendes zu finden. Ich melde mich bei dir, sobald ich zurück bin.«
Die Männer tranken ihren Kaffee aus. Als Heine zahlen wollte, winkte der Amerikaner ab.
»Geht auf Kosten der Firma.«
Er stand auf und schüttelte Heine die Hand.
»Viel Glück, Siegfried. Wir brauchen dringend Leute in Ost-Berlin, also versuche alles in deiner Macht Stehende, um neue Agenten auszubilden. Und vergiss bitte nicht, dass die Sache unserem Präsidenten sehr am Herzen liegt.«
Heine nickte.
»Keine Bange. Du sollst einen gut ausgebildeten Mann bekommen. Und danach suche ich weitere Kandidaten.«
Madsen drehte sich um und ging zur Theke, bezahlte und verließ anschließend das Cafe. Heine wartete einen Moment und ging dann ebenfalls.
Vor der Tür sog er die warme Frühlingsluft ein. Es wird Sommer, dachte er. Herrlich.
Nachdem er eine Nacht in einem Hotel verbracht und sich richtig ausgeschlafen hatte, checkte er aus und rief sich ein Taxi, dass ihn zur US-Vertretung in der Clayallee bringen sollte. Er war in der Vertretung offiziell als Vermittler für die neu eröffnete amerikanische Botschaft in Ost-Berlin angemeldet. Die reguläre US-Botschaft befand sich in Bonn, der Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland. Die neue Botschaft befand sich in der Neustädtischen Kirchstrasse, direkt in Berlin-Mitte. Sie durfte sich wegen des 4-Mächte-Status Berlins nur Botschaft bei der DDR nennen. Durch die Tarnung als Botschaftsmitarbeiter konnte Madsen zwischen den Staaten reisen, ohne auffällig zu wirken. Als Madsen das Taxi bezahlt hatte und ausgestiegen war, sah er sich erst einmal um. Dann betrat er das Botschaftsgelände. Madsen zeigte am Eingang seinen Ausweis und ließ sich beim offiziellen Vertreter der Vereinigten Staaten vom Amerika in West-Berlin, Jonathan Brinks, anmelden. Eine Sekretärin des Vertreters holte ihn am Eingang ab und stellte sich als Darlene vor. Madsen fand sie sehr attraktiv. Zusammen stiegen sie in den Fahrstuhl, der im dritten Stockwerk hielt. Die Sekretärin führte ihn in das Büro des Vertreters. Madsen stellte seinen Koffer ab und ging auf den Schreibtisch zu. Jonathan Brinks war ein kräftig beleibter Mann, der allerdings einen sehr flinken Eindruck machte. Er kam erstaunlich schnell um den Schreibtisch herum, um Madsen die Hand zu schütteln.
»Herzlich willkommen in Berlin. Bitte setzen Sie sich.«
Die Sekretärin schüttete beiden Männer Kaffee aus einer Kanne ein und zog sich zurück. Dabei nahm sie den Koffer von Madsen mit.
»Wir haben Ihr Büro und Ihre Wohnung fertig. Ich hoffe, Sie werden sich wohlfühlen bei uns. Sind Sie mit der aktuellen politischen Situation vertraut?«
»Ich hatte ein intensives Briefing, bevor ich über Wien hierher kam.«
»Wunderbar. Dann brauche ich nicht lange reden und Sie können sich in die Arbeit stürzen.«
Brinks nahm einen Schluck Kaffee aus der mit der US-Flagge verzierten Tasse und fuhr fort.
»Offiziell treten Sie als Vermittler zwischen den Botschaften in West- und Ost-Berlin auf. Entsprechende Papiere liegen in Ihrem Schreibtisch. Sie haben dadurch unbegrenzten Zugang in den Ost-Sektor der Stadt. Der Botschafter drüben heißt Seymour Wallace, ein angesehener Diplomat, der schon in Botschaften in Prag und Moskau gearbeitet hat. Sie sollten sich als erstes mit ihm treffen. Wenn Sie wünschen, lasse ich einen Termin für Sie vereinbaren.«
»Sehr gerne«, erwiderte Madsen. »So kann ich mir die Örtlichkeiten direkt anschauen. Vielleicht kann er eine kleine Rundfahrt durch Ost-Berlin organisieren. In West-Berlin war ich schon einmal, ich denke, dass ich mich hier zurecht finde.«
»Mal sehen, was sich machen lässt. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg mit Ihrer neuen Aufgabe. Meine Sekretärin wird Ihnen nun alles zeigen.«
Die Männer standen auf. Wie auf Kommando kam die Sekretärin herein.
»Darlene, bitte zeigen Sie Mister Madsen alles, was er hier kennen muss.« Brinks reichte Madsen die Hand.
»Wenn Sie Probleme haben, melden Sie sich einfach. Ich habe Order, Ihnen zu helfen, wo ich kann.«
Madsen nahm die Hand und bedankte sich.
»Es ist gut zu wissen, dass man Unterstützung hat.«
Darlene führte ihn in sein neues Büro, welches abgeschlossen war. Sie überreichte ihm die Schlüssel, nachdem sie aufgesperrt hatte. Madsen pfiff erstaunt durch die Zähne. Ein Personal-Computer von IBM thronte massiv auf dem im rechten Winkel angeordneten Schreibtisch. Eine dicke Akte mit dem Vermerk `Top Secret` lag auf dem Tisch. Von Notizzetteln bis hin zu Heftklammern und einem Telefon war alles vorhanden, was ein modernes Arbeitszimmer haben musste.
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