Dagmar hatte in der Küche aufgeräumt und kam nun hinzu.
»Na, ihr beiden, was seid ihr so fröhlich?«
»Bernd hat mich bei unserem Spiel heute das erste Mal besiegt, stimmt´s Bernd?«
Siegfried hob das Glas in Bernds Richtung.
»Ja, Schatz. Es war zwar schwer, aber ich bin halt ein Gewinner.«
»Das ist mir neu«, erwiderte Dagmar lachend.
An den letzten beiden Abenden bekam Bernd immer wieder verschlüsselte Schreiben von Heine, um das Dechiffrieren zu üben. Immer dann, wenn Dagmar sich um die Küche kümmerte oder müde nach oben in ihr Schlafzimmer ging. Das hatte sich so eingebürgert. Siegfried kochte, Dagmar räumte auf und wurde vom Rotwein schnell müde. Meist machte Siegfried absichtlich mehr schmutzig als nötig, damit er und Bernd mehr Zeit hatten. Nach einer Weile klappte es mit dem Dechiffrieren schon sehr gut.
»Mensch, Bernd. Du bist zum Agenten geboren. Es ist sehr einfach, wenn man weiß, wie es funktioniert. Was denkst du?«
»Ich denke, mein lieber Siegfried, dass ich startklar bin.«
»Dann übergebe ich dir mal die Sachen, die du brauchst. Die Dinge musst du irgendwie nach Hause schmuggeln. Am besten in der Schmutzwäsche versteckt. Als erstes ein Kofferradio von Grundig mit Ohrhörern. Damit hörst du die Nachrichten an dich ab. Hier ist dein Codebuch. Dazu gibt es dieses Frühstücksbrett. Ist ziemlich dick, ist aber Absicht. Das ist manipuliert, sieh mal.«
Der Österreicher klappte das Brett in zwei Hälften. Der Innenteil war ausgearbeitet, so dass das Codebuch hinein passte.
»Und nun noch ein paar Blatt Geheimpapier für das Schreiben der Briefe. Damit bist du bestens ausgerüstet. Dein Codename lautet Heinz Friedrich. Auch das solltest du dir unbedingt merken. Heinz Friedrich.«
Hartmann betrachtete die Dinge mit erstauntem Blick.
»Was ich dich nochmal fragen wollte, ohne dir zu nahe treten zu wollen. Hast du jemals an Flucht gedacht?«
Bernd lächelte.
»Manchmal denke ich schon daran, wie es wäre, im Westen zu leben. Aber wegen der Familie meiner Frau und den Repressalien, die sie zu erwarten hätten, kommt eine Flucht nicht in Frage. Uns geht es ja soweit auch nicht schlecht.«
»War auch nur eine Frage, keine Aufforderung, alter Freund«, lachte Siegfried.
»Na, ihr großen Kinder, spielt ihr wieder euer Spiel?«
Dagmar war wie immer in der Küche fertig und kam mit einem Glas Wein dazu.
»Was ist das?«, fragte sie Bernd und zeigte auf das Radio und die anderen Sachen, die Siegfried ihm gegeben hatte.
»Schau mal, ein West-Radio. Hat uns Siegfried geschenkt. Das andere ist nur ein Buch zu unserem Spiel.«
»Versteckt es gut, damit es euch bei der Heimreise morgen nicht sofort wieder abgenommen wird, das ist nämlich ein richtig gutes Radio. Das neueste vom Neusten sozusagen.«
»Das kriegen wir hin, nicht wahr, Schatz?«, sagte Dagmar und kraulte ihrem Mann den Nacken.
Madsen saß in seiner kleinen Wohnung und sah fern, als es an der Tür klopfte. Er stellte den Ton ab und stand auf, um nachzusehen, wer da etwas von ihm wollte. Er öffnete die Tür und sah einen Botschaftsmitarbeiter vor sich stehen.
»Guten Tag, Herr Madsen. Der Botschafter Jonathan Brinks wünscht, Sie zu sehen.«
Madsen nickte.
»Sagen Sie ihm, ich komme sofort.«
Er schloss die Tür und ging zum Fernseher, um ihn auszuschalten. Anschließend nahm er seine Jacke vom Kleiderbügel an der Garderobe, versicherte sich, dass seine Zigaretten in der Jackentasche waren, nahm seine Schlüssel und verlies seine Wohnung.
Madsen klopfte an. Die Tür wurde vom Botschafter selbst geöffnet, der anscheinend auf ihn wartete.
»Madsen, schön dass Sie so schnell kommen konnten. Kommen Sie bitte herein.«
Madsen folgte Brinks zu seinem Schreibtisch, vor dem bereits ein Mann saß.
»Ich darf Sie kurz vorstellen, Michael Madsen. Das ist John Rider.«
Brinks legte seine Hand auf den Arm des Fremden, der sich erhob und Madsen die Hand reichte.
»Kaffee?«
Madsen nickte und schaute neugierig zu dem fremden Mann. Nachdem Brinks Madsen eine Tasse frischen Kaffee eingeschenkt hatte, zeigte er auf den freien Stuhl vor seinem Schreibtisch.
»Bitte setzen Sie sich.«
Brinks schob Madsen eine Akte zu und lächelte. Madsen nahm sie und blätterte die erste Seite auf. Nach einigen Schlucken Kaffee und dem Studium der Akte meldete sich der Botschafter zu Wort.
»Da ist alles enthalten, was Sie über Mr. Rider wissen müssen. Ihr Chef in Langley hat ihn uns entsandt mit seinen besten Empfehlungen. Er soll sie bei ihrer Arbeit unterstützen. Rider hat bereits in Berlin gearbeitet, Sprache und Menschen sind ihm nicht fremd. Da Sie ja als offizieller Botschaftsmitarbeiter tätig sind, soll Rider die Sachen erledigen, die sie als Offizieller besser nicht tun sollten.«
»Dann sollte er das freie Büro neben meinem bekommen.«
»Schon erledigt. Darlene hat sich bereits um alles gekümmert. Auch die Wohnung liegt direkt neben der Ihren.«
Madsen musste beim Gedanken an Darlene lächeln. Er sah zu Rider und fragte sich, ob Darlene ihm auch den Kleiderschrank so schön eingeräumt hatte.
Madsen trank seinen Kaffee aus und stand auf. Er reichte Rider, der sich ebenfalls erhob, die Hand.
»Na dann, ich kann jede Unterstützung gebrauchen. Auf gute Zusammenarbeit. Sie kommen am besten gleich mit mir.«
Brinks sah vom Schreibtisch aus zu, wie die Männer das Büro verließen, und lächelte zufrieden.
Madsen hatte sich durch Riders beeindruckende Akte gearbeitet. Er war bereits seit 6 Jahren bei der Agency und hatte auch in Berlin schon diverse Aufträge erledigt. Er galt als absolut zuverlässig, und ihm wurde eine große Zukunft bei der CIA vorausgesagt.
Nun galt es, ihn in die aktuellen Geschehnisse einzubinden. Es stand ein Treffen mit Siegfried Heine in Wien an. Madsen war mitten in den Vorbereitungen auf das Gespräch und beschloss, Rider dorthin mitzunehmen. Aber als erstes musste er ihn auf den aktuellen Stand der Dinge bringen. Einen Teil wusste er bereits, den Rest konnte er ihm während des Fluges nach Wien erzählen.
Hoffentlich war Heine auch erfolgreich, dachte Madsen. Ich brauche so langsam etwas Nachweisbares, sonst bin ich schneller wieder in den Staaten, als mir lieb ist.
Der Flug war kurz und angenehm. Madsen und Rider nahmen am Flughafen ein Taxi und ließen sich zum Prater bringen. Nachdem sie bezahlt hatten, gingen sie noch ein ganzes Stück zu Fuß zum verabredeten Treffpunkt. Mehrfach blickten sich die Männer vorsichtig um, blieben an Schaufenstern stehen, um in der Scheibe nach potentiellen Verfolgern Ausschau zu halten. Diese Sicherheitsmaßnahme schien allerdings nicht notwendig zu sein. Unbesorgt betraten sie das Café. Heine wartete bereits im hinteren Teil, von wo er den Raum gut überblicken konnte.
Als die beiden Amerikaner an den Tisch herantraten, stand er auf und reichte Madsen die Hand.
»Hallo Mark.«
»Hallo Siegfried, du siehst gut aus. Wie war der Urlaub?«
»Erholsam und erfolgreich.«
»Ich darf euch erst einmal vorstellen. Siegfried Heine.
John Rider. John ist meine rechte Hand in Berlin. Aber setzen wir uns doch.«
Als sie saßen, fragte Madsen neugierig nach.
«Wie ist es gelaufen? Kannst du uns einen Mann präsentieren?«
»Es wird dich freuen zu hören, dass ich den Rekruten gewinnen konnte.«
Die Bedienung im kleinen, aber durchaus charmanten Café kam an den Tisch. Heine hatte den Platz bewusst ausgewählt, damit die Männer sich ungestört unterhalten können. Zum einen war man hier durch den regen Publikumsverkehr am Wiener Wahrzeichen völlig unauffällig. Zum anderen kannte er die Gegend wie seine Westentasche. Durch das Fenster des Cafés hatte Heine einen sehr guten Überblick und konnte schnell reagieren, falls es den Anschein nahm, dass die Männer beobachtet wurden. Alle drei bestellten Wiener Melange. Als die Bedienung gegangen war, wandte sich Heine an Madsen.
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