Tatjana stöhnte, als sie auf die Berge von gegenseitigen Anzeigen sah, die sich vor ihr auf dem Tisch türmten. Seit Jahren tobte ein Nachbarschaftskrieg zwischen Fuchs und den Zimmermanns, der weit zurückging und der sich in den letzten Monaten verschärft hatte.
„Wahrscheinlich wissen die nicht mehr, wie der Streit überhaupt angefangen hat“, schüttelte Werner fassungslos den Kopf. „Ich verstehe nicht, wie es so weit kommen kann, dass man nur noch so miteinander kommuniziert. Unfassbar!“
„Das geht schneller als du denkst“, sagte Tatjana, der die Ursache hübsch egal war. Hier prallten Charaktere aufeinander, die sich offensichtlich nicht ausstehen konnten. Sie ärgerte sich nur darüber, dass sich Gerichte damit beschäftigen mussten. Aber das war nicht ihr Problem, das ging sie nichts an.
Leo und Hans waren überrascht, als sie vor Fuchs‘ Haus in der Brechtstraße standen.
„Hast du diesen Pomp erwartet?“, fragte Leo fassungslos. „Ich habe mir Fuchs immer in einem kleinen, dunklen Hexenhaus vorgestellt. Aber das hier ist ja eine Luxusimmobilie in sehr privilegierter Lage.“
„Die Lage hier ist echt top, keine Frage. Eine Zufahrtsstraße und nur sechs Häuser, die man eher als Anwesen bezeichnen könnte. Und ringsherum nichts außer Natur - echt klasse. Ich habe gehört, dass Fuchs nicht zu den ärmeren Mitbürgern gehört. Er stammt aus reichem Hause, er hat von mehreren Seiten geerbt. Diese Wohnlage ist echt der Wahnsinn und entspricht nicht unserer Gehaltsklasse.“
„Hör doch auf, der von Fuchs aber auch nicht. Wenn er wirklich geerbt hat, dann muss das jede Menge gewesen sein. Von einem Beamtengehalt schaffst du das zu Lebzeiten nie und nimmer. Lebt Fuchs allein hier?“
„Keine Ahnung. Sehen wir uns auf dem Grundstück um, danach befragen wir die Nachbarn.“
„Machen wir. Obwohl es mich reizen würde, mich auch innen umzusehen.“
„Mich auch, aber das vergessen wir lieber. Nicht am helllichten Tag.“ Leo lächelte. Es war klar, dass sie damit warten mussten, bis es dunkel war und die Nachbarn schliefen.
„Schönes Grundstück, toll angelegt“, bemerkte Hans. Dann sah er die Absperrbänder der Polizei. Ein großes Loch klaffte vor einem Minibagger. Weit und breit war kein Arbeiter zu sehen.
„Hier wurde die Tatwaffe gefunden, das ist klar. Und wo soll der Mord passiert sein?“
„Auf der Terrasse.“
„Auf welcher? Von hier aus sehe ich zwei.“ Leo sah sich um, während Hans vor dem Baggerloch kauerte. Irgendetwas gefiel ihm nicht. Die Erde war aufgelockert, das kam sicher nicht von dem Bagger.
„Hans! Komm her!“, rief Leo, der auf der kleinsten der insgesamt drei Terrassen Blutflecken und Kreidezeichnungen entdeckt hatte.
„Das ist alles? Hier soll ein Mord passiert sein? Mit einer Axt? Müsste da nicht die Terrasse mit Blut vollgetränkt sein? Und wo wurde der Sohn niedergeschlagen? Auch hier? Das ist viel zu wenig Blut.“
„Das denke ich auch. Wenn hier der Tatort ist und dort hinten die Axt gefunden wurde, müsste sie von hier bis dahin gelangt sein.“ Leo ging den Weg langsam ab. „Ich sehe nichts. Es könnte sein, dass Spuren bereits gesichert wurden, wovon aber nichts in den Unterlagen zu lesen war. Die Informationen sind nicht vollständig. Du weißt, was das heißt?“
„Ich nehme an, dass Krohmer und der Staatsanwalt nicht umfassend informiert wurden.“
„Wir müssen irgendwie an die Tatortfotos kommen, mit Mutmaßungen kommen wir hier nicht weit.“
„Befragen wir die Nachbarn, vielleicht können die uns weiterhelfen. Siehst du die Gardine, die sich dort bewegt? Mit dem Haus fangen wir an.“
Der Staatsanwalt war endlich weg und Krohmer atmete erleichtert auf. Warum hatte Eberwein gerade heute so viel Zeit und textete ihn zu?
Krohmer griff zum Telefon und rief Dr. Wilhelm Grössert an, den Vater von Werner Grössert und seines Zeichens Anwalt in Mühldorf. Er erklärte dem Mann ausführlich, was vorgefallen war. Auch Krohmer hatte die Vermutung, dass die Unterlagen, die ihm vorlagen, nicht vollständigen waren, was er Dr. Grössert auch mitteilte.
„Ich spreche mit Herrn Fuchs. Wenn er nicht möchte, dass ich ihn vertrete, kann ich leider nicht mehr tun.“
„Ich habe erfahren, dass Fuchs jeglichen juristischen Beistand ablehnt. Der Sturschädel ist sich offensichtlich nicht bewusst, in welcher Lage er sich befindet. Machen Sie ihm klar, dass es sehr schlecht um ihn steht.“
„Ich werde mein Möglichstes tun, versprochen. Wer sagten Sie, leitet die Ermittlungen?“
„Sebastian Wild.“
„Mit ihm spreche ich zuerst und lasse mir die aktuellen und hoffentlich vollständigen Unterlagen aushändigen, wovon Sie selbstverständlich Kopien bekommen, Herr Krohmer. Erst, wenn ich auf dem aktuellen Stand der Ermittlungen bin, gehe ich zu Herrn Fuchs und versuche, ihn als Mandanten zu gewinnen.“
„Vielen Dank, Dr. Grössert. Sie tun mir damit einen persönlichen Gefallen.“
„Merken Sie sich das für die Zukunft, Herr Krohmer, ich komme gelegentlich darauf zurück.“
Dann rief Krohmer Tatjana Struck an, die immer noch die diversen Anzeigen sortierte, um sich einen Überblick zu verschaffen.
„Haben Sie Neuigkeiten für mich?“
„Noch nicht, Chef. Wir sind dabei, Informationen über die Opfer und das Verhältnis zu Fuchs zu sammeln.“
„Und?“
„Das sieht nicht gut aus. Die drei haben sich nicht gemocht, das beweisen diverse Anzeigen von beiden Seiten. Wegen jedem kleinen Mist haben die sich gestritten. Könnte es nicht sein, dass die Sache doch eskaliert ist?“
„Nein, auf keinen Fall. Fuchs ist unschuldig und damit basta!“ Krohmer knallte den Hörer auf. Er wollte nicht hören, dass man an der Unschuld seines langjährigen Mitarbeiters zweifelte. Er schätzte Fuchs sehr und wollte einfach nicht glauben, dass er zum Verbrecher wurde.
Der Tag war für Krohmer gelaufen, als ihn der Anruf Eberweins erreichte. Er hatte sich nach einem ausgiebigen Frühstück gerade von seiner Frau verabschiedet und war auf dem Weg ins Büro. Fassungslos hatte Krohmer mit anhören müssen, was Fuchs vorgeworfen wurde und dass es der Mühldorfer Kriminalpolizei untersagt war, in dem Fall zu ermitteln. Verdammter Eberwein! Warum hatte sich der Mann in die Sache eingemischt? Hätte er seine Finger rausgelassen, wären sie für den Fall zuständig gewesen und alles wäre sehr viel leichter. Jetzt mussten seine Leute verdeckt ermitteln, was vermutlich früher oder später Probleme mit sich brachte. Aber darum würde er sich kümmern, wenn es so weit war. Viel mehr ärgerte ihn, dass er sich darum bemühen musste, an die erforderlichen Unterlagen den Fall betreffend zu kommen. Das war nicht leicht. Er traute Eberwein nicht über den Weg. Schon lange hatte er den Eindruck, dass ihn der Staatsanwalt auf dem Kieker hatte. Warum, war ihm noch nicht klar.
Krohmer musste aktiv werden, auch wenn das dem Staatsanwalt nicht schmeckte. Davon musste der ja nichts erfahren. Sebastian Wild leitete die Landshuter Mordkommission. Ein kompetenter und verdienter Kollege, der in Krohmers Augen immer korrekt arbeitete. An ihn musste er sich halten. Dessen Kollegen Habermas, Ackermann und Liebl kannte er nur flüchtig.
Krohmer zögerte nicht, sondern rief Wild an.
„Ja?“, meldete der sich knapp. Als Wild verstand, wer ihn anrief, veränderte sich dessen schlechte Laune schlagartig. „Herr Krohmer? Sie rufen persönlich an? Welche Ehre!“
Krohmer war einen Moment irritiert. War das sarkastisch gemeint oder wie musste er das verstehen?
„Ich nehme an, Sie wissen, warum ich anrufe.“
„Klar. Jeder weiß, dass Ihnen Ihre Leute am Herzen liegen. Wir würden uns über einen solch fürsorglichen Chef auch freuen, sind aber mit unserem auch so zufrieden. Sie wollen Informationen den Fall Fuchs betreffend? Sie wissen, dass ich Ihnen eigentlich nichts sagen darf.“
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