„Es ist mir völlig gleichgültig, ob wir zuständig sind, oder nicht“, rief der fünfundfünfzigjährige Hans Hiebler aufgebracht. Er schnaubte vor Wut. Trotz der draußen vorherrschenden Kälte hatte er das Hemd weit offen. Außerdem umgab ihn auch heute wieder ein betörender Herrenduft, der neu sein dürfte, denn niemand kannte diese äußerst herbe, aber angenehme Note. „Ich kenne Fuchs seit vielen Jahren und schätze ihn als Kollegen, auch wenn er mir oft mit seiner schlechten Laune auf die Nerven geht“, fuhr Hans fort. „Wenn Fuchs Schwierigkeiten hat, steht es für mich außer Frage, dass ich ihm helfe. Wofür sind Kollegen denn da? Ich würde dasselbe erwarten, wenn ich mich in einer ähnlichen Lage befände.“
Leo und Werner stimmten sofort zu. Tatjana Struck hielt sich zurück. Die achtunddreißigjährige Leiterin der Mordkommission hatte den Kollegen Fuchs als mürrisch und unsympathisch kennengelernt. Ob der kleine, schmächtige Mann gewalttätig werden konnte oder sogar ein Mörder war? Warum nicht? Sie hatte schon Pferde kotzen sehen. Außerdem würden sich kompetente Kollegen darum kümmern und die würden den Fall sicher aufklären.
Rudolf Krohmer musste für einen kurzen Moment schmunzeln, was den anderen nicht entging. Er hatte damit gerechnet, dass die männlichen Kollegen, die Fuchs seit vielen Jahren kannten, so reagieren würden. Frau Struck war noch nicht lange in Mühldorf und würde sich an seine Anweisung halten. Krohmer vertraute darauf, dass die Männer sie überzeugen würden, sobald sie die Unterlagen durchgelesen hatten, die er in aller Eile besorgt hatte und die jetzt vor ihm auf dem Tisch lagen.
„Ich verbiete Ihnen, in dem Fall zu ermitteln“, wiederholte Krohmer mit fester Stimme. „Die Landshuter Kollegen sind zuständig. Sie haben die klare Anweisung, nichts zu unternehmen. Ich hoffe, wir haben uns verstanden. Sollte mir etwas Gegenteiliges zu Ohren kommen, werde ich sehr ungemütlich. Das war es für heute.“ Krohmer stand auf und ging, dicht gefolgt vom Staatsanwalt. Der hatte die Blicke und das Schmunzeln des Mühldorfer Polizeichefs als einziger nicht bemerkt.
„Haben Sie Ihre Leute nicht zu hart angefasst?“
„Nein, das denke ich nicht. Frau Struck ist kein Problem, sie wird nichts unternehmen. Bei Grössert, Hiebler und Schwartz bin ich mir da nicht so sicher. Ihnen muss man deutlich machen, dass ich es nicht dulden werde, wenn im Fall Fuchs ermittelt wird. Ich hoffe, Sie sind zufrieden, Herr Eberwein.“
„Ja, das bin ich durchaus. Gut gemacht, Herr Krohmer.“
Leo, Werner, Tatjana und Hans stürzten sich auf die Mappe, die Krohmer zurückgelassen hatte. Den vieren war klar, was Krohmer im Schilde führte. Offiziell durften sie nichts unternehmen, die Anweisung war deutlich und konnte vom Staatsanwalt bestätigt werden. Trotzdem erwartete der Chef, dass sie sich sehr wohl um den Fall kümmerten.
Die spärlichen Informationen gingen reihum. Dann war es still.
„Für die Fuchs zur Last gelegten Taten gibt es keine Zeugen. Die Fotos des Toten und des Verletzten sehen schlimm aus.“
„Die Tatwaffe wurde kurz nach Fuchs‘ Verhaftung auf dessen Grundstück von einem Bauarbeiter in der Erde gefunden. Der Mann arbeitete an einem geplanten Gewächshaus. Das ist doch lächerlich. Jeder könnte die Tatwaffe dort vergraben haben.“
„Fuchs‘ Aussage spricht nicht gerade für seine Unschuld. Die beiden Opfer und unser Kollege waren direkte Nachbarn und hatten mehrere Auseinandersetzungen, was Fuchs bestätigt hat und wofür es vermutlich jede Menge Zeugen gibt. Allerdings bestreitet er, den Nachbarn getötet und dessen Sohn niedergeschlagen zu haben. Schon gar nicht mit einer Axt, die zugegebenermaßen ihm gehört.“
„Passen die Verletzungen überhaupt zu der Tatwaffe?“
„Keine Ahnung, darüber steht nichts in den Unterlagen.“
„Ich finde keinen Hinweis darauf, weshalb man Fuchs als Täter verdächtigt. Gut, der Tatort ist vermutlich sein Grundstück, außerdem hat man die Tatwaffe, die Fuchs gehört, auch da gefunden. Aber er bestreitet die Tat und es gibt keine Zeugen.“
„Die Sache stinkt“, sagte Leo. „Wenn es sich um einen Fremden handeln würde, wäre die Sache klar. Aber Fuchs? Niemals! Dem will man was anhängen.“
„So sehe ich das auch.“
„Und wenn ihr euch irrt? Wenn Fuchs tatsächlich die Taten begangen hat?“, warf Tatjana ein.
„Und dann ist er so blöd und vergräbt die Tatwaffe genau an der Stelle, an der gerade gegraben wird? So dumm ist Fuchs bestimmt nicht. Nein, ich stimme Leo zu: Die Sache stinkt!“ Hans war sich sicher, dass dem so war. Tatjana war nicht überzeugt. Alle versuchten die Kollegin mit Beispielen auf ihre Seite zu ziehen, was ihr mehr und mehr auf die Nerven ging. Ja, gegen vieles hatte sie nichts einzuwenden, trotzdem war ihr der Leiter der Spurensicherung mit seiner ruppigen, unfreundlichen Art ein Dorn im Auge. Hans und Werner gaben auf, aber Leo redete sich in Rage.
„Hör endlich auf!“, rief sie irgendwann genervt. „Ich mag Fuchs nicht und aufgrund dessen, was ich gelesen habe, ist der Mann für mich vorerst der Täter, auch wenn mir ebenfalls die vorliegenden Beweise dürftig erscheinen. Aber ich werde euch helfen. Schon allein deshalb, damit du mich endlich in Ruhe lässt, Leo. Eins sage ich euch gleich: Ich habe keine Lust, mich in der Saukälte draußen herumzutreiben. Ich bleibe im Warmen und sammle Informationen über die Zimmermanns. Vor allem die Verletzungen des Sohnes interessieren mich, denn davon steht hier nichts.“
„Ich helfe dir“, sagte Werner schnell, der seit Tagen eine leichte Erkältung mit sich herumschleppte und auch nicht scharf auf einen Außeneinsatz war.
„Dann fahren wir beide zu Fuchs‘ Haus. Wir sehen uns dort um und sprechen mit den Nachbarn.“
„Aber vorsichtig, ihr habt den Chef gehört“, mahnte Tatjana.
Friedrich Fuchs saß in einer kargen Zelle und verstand die Welt nicht mehr. Er wurde in aller Herrgottsfrühe von der Polizei aus dem Bett geklingelt und dann hatte man ihn mit Vorwürfen konfrontiert, die völlig an den Haaren herbeigezogen waren. Er hätte den alten Zimmermann getötet und dessen Sohn schwer verletzt. Schwachsinn! Wie einen Schwerverbrecher hatte man ihn abgeführt. Von Landshuter Kollegen, die in Mühldorf in seinen Augen überhaupt nicht zuständig waren. Wo waren seine hiesigen Kollegen? Und warum hatte man ihn bis nach Landshut verfrachtet, wo Mühldorf doch eine sehr angesehene JVA hatte?
Für Fuchs stand fest, dass sich das Ganze als Irrtum herausstellte und dass man ihn zeitnah freilassen würde. Fuchs war wütend und verschränkte die Arme. Wer sich bei ihm entschuldigen musste, stand noch nicht fest. Aber das würden viele, sehr viele sein.
Fuchs behielt die Tür im Auge. Jeden Moment musste jemand kommen und ihn freilassen. Aber nichts geschah. Wie lange musste er noch warten? War es klug, auf einen Anwalt zu verzichten? Ja, denn er hatte sich nichts vorzuwerfen.
Er mochte die beiden Zimmermanns nicht, die ihn ständig mit irgendwelchen Vorwürfen überhäuften. Ja, er selbst stand darin in nichts nach und reagierte seit zwei Jahren auf die vielen unberechtigten und geradezu lächerlichen Anzeigen, die beinahe jeden Monat ins Haus flatterten, mit Gegenanzeigen. Das war zwar nicht die feine Art, aber er fühlte sich bei seinen Anzeigen im Recht.
Wie kamen die Landshuter Kollegen nur auf die völlig absurde Idee, ihn des Mordes und der Körperverletzung zu bezichtigen?
Die Zeit verging und seine Wut stieg. Wie lange musste er denn noch auf seine Freilassung warten? Wo waren seine Kollegen, wenn man sie brauchte? Konnte es sein, dass sie ihn im Stich ließen? Nein, daran wollte er nicht glauben. Es dauerte sicher nicht mehr lange, und er konnte endlich in ein bekanntes Gesicht blicken.
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