»Ich hoffe es«, antwortete Ingo im Brustton der Überzeugung.
»Haben Sie eine Idee, wie Sie das Ziel erreichen könnten?«, fragte der Besucher weiter.
»Ich weiß genau, was ich dafür tun muss.«
Damit war die Veranstaltung beendet, alle Bücher verkauft.
Nachdem der Besucherstrom abgerissen und Stille auf der großen Bühne eingekehrt war, blieb Ingo Landry noch eine Weile ganz allein dort sitzen und ließ die schönen Erinnerungen an sich vorüberziehen. Es war ein Gefühl der Bewunderung, das er gerade erlebt hatte – ein Gefühl, das süchtig machen konnte. Ein Bick auf seine Literaturagentin Sonja Fries gab ihm die Gewissheit, dass ihm mit dieser Frau noch viel mehr gelingen konnte. Sie war eine aufregende Erscheinung, die ihn an alle Sünden erinnerte, die er noch nicht begangen hatte. Ein Lächeln zog sich über sein Gesicht.
Doch es sah gerade nicht so aus, als hätte er heute eine Chance bei ihr. Mit einem lasziven Kussmund verabschiedete sie sich und fort war sie. Ingo verzog sein Gesicht grimmig. Diese Frau wusste genau, wie sie ihn auf Hochtouren brachte. Sie ließ ihn zappeln. Und zwar aus purer Berechnung, damit er bei ihrem nächsten Stelldichein umso leidenschaftlicher war.
Er schnaufte – bemühte sich, an etwas anderes zu denken. Sein Blick fiel auf Matthias Hobelt, der geduldig auf ihn wartete. Zusammen machten sie sich auf den Weg zum Parkplatz. Erst jetzt bemerkte er den Temperatursturz. Während er vorgelesen hatte, war er so ins Schwitzen geraten, dass ihm das nicht aufgefallen war. Den Zuschauern wohl auch nicht, denn niemand von ihnen hatte es eilig gehabt, niemand wollte vorzeitig die Veranstaltung verlassen.
Am Auto angekommen schauten sich die beiden Männer an und lachten. Matthias Hobelt legte den Arm um seinen Freund, den Krimiautor: »Habe ich dir nicht gesagt, dass mit deiner Schreibkunst Geld zu verdienen ist?«
»Doch!«
»Es war geschickt, meine Beziehungen spielen zu lassen, damit du hier lesen kannst«, sprach Matthias weiter. »Es ist immer gut, wenn man Freunde hat. Seit ich hier ehrenamtlich arbeite, habe ich diesen Traum gehegt – nun ist er wahr geworden.«
»Ich bin froh, einen Freund wie dich zu haben«, gestand Ingo, wobei er sich bemühte, sehr überzeugend zu klingen.
»Ich hoffe, dir ist klar, dass wir den Gewinn teilen«, fügte Matthias an. »Ich kann den Zaster nämlich gut gebrauchen.«
»Klar, Junge! Habe ich dich jemals betrogen?«
»Nein! Ich rate dir auch, es niemals zu tun«, gab Matthias unmissverständlich zu verstehen.
»Du benimmst dich schon wie die Bösewichte in meinem Krimi.« Ingo fühlte sich aus seiner Schwärmerei gerissen.
»Das fällt mir leicht, wie du dir wohl denken kannst. Schließlich habe ich die kriminellen Charaktere entworfen.«
»Hast du sie wirklich nur entworfen?«, fragte Ingo, schlagartig ernüchtert.
Sibylle Kriebig und ihre Freundin Antonia Welsch saßen unter den Zuschauern. Während die Menschenmassen sich in den Bann der Erzählungen ziehen ließen, spürte Sibylle mit jedem vorgelesenen Wort größere Unbehaglichkeit. Es dauerte eine Weile, bis Antonia Sibylles Erregung registrierte. Sie fragte im Flüsterton: »Was ist los mit dir?«
Sibylle murrte: »Das ist ein Plagiat!«
»Pst! Nicht so vorschnell mit deinen Behauptungen«, bremste Antonia Sibylles Erregung.
»Wenn ich es dir sage«, beharrte Sibylle, doch Antonia ließ sie nicht weiter sprechen.
*
Geduldig lauschten sie dem Rest der Lesung. Als die Literaturagentin Sonja Fries die Bühne betrat, flüsterte Antonia ganz aufgeregt: »Die kenne ich.«
»Woher?«
»Sonja hatte großes Interesse daran, dein Buch zu vermarkten«, antwortete Antonia. »Aber du hast ja mich.«
»Davon weiß ich ja gar nichts.«
»Ich habe meinen Job verteidigt«, fügte Antonia grinsend an.
Als die Zuschauer auf die Bühne zusteuerten, um den Buchautor zu feiern, wurde es Sibylle zu bunt. Sie steuerte die entgegengesetzte Richtung an. Im Eilschritt verließ sie die große Tribüne der Freilichtbühne.
»Kannst du dich noch an die beiden Männer erinnern, die ganz zum Abschluss meiner Lesung in Saarlouis mein Buch gekauft hatten?«, fragte Sibylle, während sie ihr Auto in der Dunkelheit auf dem Schotterparkplatz suchte.
Antonia überlegte eine Weile, konnte aber nur den Kopf schütteln.
»Einer von beiden hieß Ingo Landry.«
»Warum ärgert dich das? Du willst doch, dass die Leute deine Veranstaltung besuchen und dein Buch kaufen.«
»Bist du so begriffsstutzig oder tust du nur so?« Sibylle wurde ungehalten. »Sein Kumpel hat mich ausgefragt, wie ich auf die Idee gekommen bin und solche Sachen. Der kleine Zwerg, der mir damals schon unheimlich vorkam, war heute auch dabei. Also hatten sich die beiden schon damals den Plan zurechtgelegt. Sie haben mein Buch gelesen und siehe da, schon war alles da: Ingo Landry brauchte nur meine Idee zu übernehmen, einige Namen zu ändern und das Ganze als Produkt seiner Fantasie zu verkaufen.«
Antonia wehrte ab: »Was ich hier gehört habe, ist für mich nur der Beweis dafür, dass er einen Krimi schreibt, in dem ein Mord vorkommt und Spannung und so. Alles andere spinnst du dir zusammen.«
Wütend entgegnete Sibylle: »Vielleicht wollte auch Sonja Fries die Idee klauen. Und du willst deiner Kollegin nicht in den Rücken fallen.«
»Ich glaube, jetzt gehst du zu weit.«
Sibylle stieg in ihren Wagen und bemerkte: »Stimmt! Entschuldige bitte! Zuerst werde ich das Buch wohl oder übel lesen müssen, bevor ich Anschuldigungen erhebe.«
»Willst du dir das wirklich antun?«
»Ja!«
»Du ärgerst dich jetzt schon. Also wird es eine Zerreißprobe für deine Nerven werden, dieses Buch zu lesen.«
Der Konferenzsaal füllte sich. Angenehmer Kaffeeduft zog herein. Das leise Gemurmel und Tassenklirren verstummte, Ruhe kehrte ein. Genau in diesem Augenblick öffnete sich die Tür und gab den Blick auf die Staatsanwältin Ann-Kathrin Reichert frei. Alle starrten sie an. Fürstlicher konnte ihr Auftritt nicht sein. Ihre giftgrünen Augen wanderten über die Kollegen, bis sie bei Jürgen Schnur aufblitzten. Sie steuerte ihn an.
Der Stuhl neben Schnur wurde sofort frei gemacht. Der Dienststellenleiter wartete, bis sie Platz genommen hatte. Dabei bemühte er sich, nicht auf die Staatsanwältin zu schauen, was ihm schlecht gelang. Sie trug ihre feuerroten Haare offen. Ihr sommersprossiges Gesicht wirkte schelmisch. Die Bluse zeigte ein offenherziges Dekolleté.
Alle warteten. Die Spannung stieg an. Plötzlich ertönte in voller Lautstärke Je t‘aime ... moi non plus , das französische Liebeslied von Jane Birkin und Serge Gainsbourg.
Schnurs Gesicht färbte sich dunkelrot. Hastig zerrte er an der Brusttasche seines Hemdes und zog sein Handy heraus.
»Scheiße«, murmelte er. »Wenn ich meinen Sohn in die Finger kriege, erschlage ich ihn.«
Brüllendes Gelächter brach aus. Schnur meldete sich, aber niemand interessierte sich dafür, wer der Anrufer war. Die Stimmung war zu ausgelassen. Als er auflegte, verstummten alle und schauten ihn erwartungsvoll an.
»Unsere Sekretärin bringt die Unterlagen des forensischen Anthropologen«, erklärte er.
Kaum hatte er ausgesprochen, betrat eine füllige Dame mit grellbunten Kleidern und starkem Make-up den Besprechungsraum. Sie legte jedem Polizeibeamten eine Kopie auf den Tisch und eilte wieder hinaus.
»Hier steht, dass es sich bei dem Skelett um ein männliches Opfer handelt«, begann Schnur. »Es genügt, wenn Sie den Bericht später lesen.«
Alle Augen richteten sich auf ihn. Ihre Belustigung stand immer noch in ihren Gesichtern.
»Theo Barthels hat einige Fundstücke untersucht, die in der Nähe des Skeletts lagen«, sprach Schnur weiter, wobei er sich bemühte, seinen Ärger über die aufgeheiterten Mienen nicht zu zeigen. »Theo, bitte erklär uns, was in deinem Bericht steht!«
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