»Na ja, sagen wir mal, dass es ein vernünftiger Ermittlungsansatz ist. Von einem Motiv für einen Mord würde ich noch nicht sprechen. Allerdings klingt es schon mal sehr vielversprechend«, erwiderte Riedmann.
»Ich werde mich später noch einmal in der Wohnung von Kämper umsehen. Außerdem habe ich mir überlegt, dass wir uns mal in den Klubs umhören sollten, in denen Kämper so verkehrt ist. Es würde mich nicht wundern, wenn er dort aufgefallen ist. Man muss nur die richtigen Leute fragen. Aber jetzt werde ich erst noch dem einen oder anderen Studenten etwas genauer auf den Zahn fühlen. Mal sehen, ob sich noch jemand findet, der die Aussage von diesem Meier bestätigt. Bis später Karl.«
»Bis später Stefan«, erwiderte Hansen zufrieden. Endlich kam etwas Bewegung in die Sache. Er hatte gerade genug Zeit, um seinen Computer hochzufahren, als Beck und Marquardt in sein Büro traten.
»Was habt ihr herausgefunden?«
»Dir ebenfalls einen schönen Tag«, erwiderte Marquardt und plapperte los. »Wir haben einiges in Erfahrung gebracht. Bender war nicht verheiratet und soweit wir das herausfinden konnten, hatte er auch keine Freundin. Die Nachbarn und die Kollegen haben übereinstimmend ausgesagt, dass unser Mordopfer ein ziemlicher Alleingänger war. Demnach hatte er kaum soziale Kontakte. Jetzt wird’s allerdings interessant. Wir haben von Benders Eltern erfahren, dass er hochgradig spielsüchtig war. Er hat so ziemlich auf alles gewettet, was es gibt: Fußball, Pferde, Eishockey oder Basketball. Auch die Kollegen haben offenbar davon gewusst. Was nicht zuletzt daran gelegen haben wird, dass Bender sich auch immer wieder mal Geld von ihnen geliehen hat. Das waren zwar keine großen Beträge, aber bei einigen Kollegen hatte Bender eigentlich immer in der Kreide gestanden. Interessanterweise hat er dann vor ein paar Monaten auf einen Schlag die ganzen Schulden bei seinen Kollegen zurückgezahlt. Und sich seitdem auch nichts mehr geliehen.«
»Dann hat er wohl mal auf das richtige Pferd gesetzt«, mutmaßte Hansen.
»Möglich«, ergriff Beck das Wort. »Oder er hat eine Therapie gemacht oder eine Bank überfallen. Wir werden das weiterverfolgen. Die Kollegen der Spurensicherung sind übrigens noch in der Wohnung. Wir fahren jetzt auch dorthin.«
»Macht das. Ich komme später auch nach. Gute Arbeit. Jetzt haben wir noch einen konkreten Anhaltspunkt«, bemerkte Hansen, woraufhin er den beiden von Riedmanns und seinen neuesten Erkenntnissen erzählte. Kurz nachdem die beiden Kollegen das Büro verlassen hatten, erhielt Hansen die Information, dass Christoph Maas in der Zwischenzeit eingetroffen war und bereits am Phantombild gearbeitet wurde. Hansen hatte gerade das Gespräch beendet, da klingelte sein Handy erneut.
»Hier ist Becker aus dem Labor«, meldete sich eine Stimme am anderen Ende der Leitung. »Ich wollte Ihnen mitteilen, dass wir bei der Überprüfung der Visitenkarte vom letzten Tatort keine verwertbaren Spuren des Täters gefunden haben. Keine Fingerabdrücke, keine DNA-Rückstände. Es handelt sich um das gleiche Papier und es wurde der gleiche Drucker verwendet wie bei den anderen beiden Karten auch. Um es kurz zu machen, keine neuen Erkenntnisse diesbezüglich.«
Hansen bedankte sich und beendete das Gespräch. Das war keine Überraschung, nun ja. Er lehnte sich in seinen Bürostuhl zurück und es dauerte keine Minute, bis er eingenickt war.
Während Hansen nach seinem Powernapping noch einmal die Notizen der letzten Tage durchging, stolperte er über einen Eintrag, den er erst kürzlich gemacht hatte. Er bestand aus drei Worten: Warum die Visitenkarte?
Seit dem ersten Opfer hatte sich Hansen immer wieder gefragt, warum es dem Täter wichtig war, sich auf diese Weise zu erkennen zu geben und eine Verbindung zwischen den Morden herzustellen. Die anfängliche Theorie, dass es sich um die Signatur eines bekannten Profikillers handelte, konnte nicht belegt werden. Zumindest gab es in den Datenbanken von Euro- und Interpol keine vergleichbaren Muster. Nein, die Visitenkarten waren eine Botschaft an die Ermittler, sich vor allem mit den Opfern zu beschäftigen. Das wurde jetzt immer klarer. Drogen und Glücksspiel. Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand ... Die Opfer selbst und das was sie getan hatten waren der Schlüssel zur Lösung des Falles.
Der Mann war immer in Begleitung seines Leibwächters, einem ehemaligen Bundeswehrsoldaten, unterwegs. Seine Villa verfügte über modernste Überwachungssysteme. Er entschied sich, die Überwachung seines Opfers in den nächsten Tagen noch zu verstärken. Soweit das seine Zeit zuließ. Er würde der Gesellschaft einen Gefallen tun, dieses Individuum zu beseitigen. Denn obwohl die Polizei bestens über die illegalen Geschäfte des Mannes Bescheid wusste, war es ihr bisher nicht gelungen, ihn zu überführen, was die Vermutung nahe legte, dass er einen Maulwurf bei der Polizei hatte.
Sein Informant hatte ihm erzählt, dass sein nächstes Opfer jeden Freitag und Samstag im Restaurant »Zur Kaiserburg« anzutreffen war. Seit dem letzten Wochenende wusste er, dass das stimmte. Da hatte er sich zum ersten Mal auf die Lauer gelegt und die Verfolgung des Mannes aufgenommen. Er hatte sich für diesen Zweck extra einen Motorroller angeschafft und mit den Schriftzügen einer Pizzeria versehen, die auch noch nach Mitternacht Lieferungen vornahm. Ein Pizzalieferant fiel seiner Meinung nach nicht so schnell auf und würde nicht zwangsläufig das Misstrauen des Leibwächters oder seines Opfers selbst erwecken. Morgen war wieder Freitag und er wollte sich wieder auf die Lauer legen.
Allerdings durfte seine Arbeit auf keinen Fall unter seinen nächtlichen Aktionen leiden. Er wollte nicht unnötig die Aufmerksamkeit seiner Kollegen auf sich lenken, in dem er übermüdet und unkonzentriert zur Arbeit kam.
Hansen wollte gerade an der Wohnungstür von Mathias Bender klingeln, als ihm zu seiner Überraschung die Tür von Riedmann geöffnet wurde.
»Mit dir habe ich hier jetzt überhaupt nicht gerechnet!«, stellte Hansen überrascht fest.
»Du solltest wenigstens hin und wieder mal deine Mailbox abhören, wenn du dein Handy schon abschaltest«, entgegnete Riedmann süffisant.
»Immer diese neumodische Technik«, ärgerte sich Hansen. Es war in der Tat keine Seltenheit, dass er sein Handy einfach gedankenlos ausschaltete, nachdem er telefoniert hatte.
»Jetzt, wo wir nicht mehr zu telefonieren brauchen«, begann Riedmann, »Mertens hatte versucht dich zu erreichen, hat dann mich angerufen und hierher bestellt. Ich bin auch erst vor ein paar Minuten eingetroffen. Die Spusi hat etwas Interessantes gefunden. Es wird dir allerdings nicht gefallen«.
»Klingt nicht gut«, meinte Hansen enttäuscht.
»Mertens´ Leute haben diesen Schuldschein hier gefunden«, Riedmann hielt seinem Chef einen Beweismittelbeutel mit dem Schriftstück vor die Nase.
»Dass Bender spiel- beziehungsweise wettsüchtig war und Schulden hatte, wussten wir bereits. Insofern bin ich jetzt auch nicht allzu überrascht, dass in der Wohnung ein Schuldschein gefunden wurde. Was sollte mir daran nicht gefallen?«
Riedmann zögerte einen Moment, bevor er seinem Chef antwortete.
»Der Schuldschein ist auf Robert Meltin ausgestellt.«
Meltin war eine bekannte Größe im Rotlichtmilieu. Ihm gehörten mehrere einschlägig bekannte Klubs in Aachen und Umgebung. Er war die absolute Nummer eins, wenn es um legale oder illegale Prostitution ging.
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