Als Nächstes suchte Hansen Christoph Maas, einen langjährigen Freund von Körlings auf. Maas hatte Körlings seit der Schulzeit gekannt. Sie hatten die ganze Zeit über Kontakt gehalten und waren regelmäßig gemeinsam Tennis spielen gegangen.
Die erste Befragung von Christoph Maas hatte damals Riedmann vorgenommen. So ungewöhnlich diese Vorgehensweise war, Hansen musste da noch einmal nachhaken. Leider teilte ihm die Sekretärin von Maas bei seinem Anruf mit, dass er diese Woche Urlaub habe. Also wählte Hansen die Nummer der Telefonauskunft, um sich mit dem privaten Anschluss der Familie verbinden zu lassen. Schon nach dem dritten Klingeln hatte Maas das Gespräch entgegengenommen und einem Treffen in einer halben Stunde zugestimmt. So lange brauchte Hansen aber auch, um nach Roetgen in der Eifel zu fahren, wie ihm sein Navigationsgerät, ohne das er hilflos verloren war, mitteilte. Nach gut fünfundzwanzig Minuten hatte Hansen sein Ziel in der Eifel erreicht. Nachdem er an der Haustür des Bungalows geklingelt hatte, wurde ihm von einem attraktiven gepflegten Mann mittleren Alters die Tür geöffnet.
»Kommissar Hansen nehme ich an?«, wurde der Hauptkommissar freundlich begrüßt.
Hansen nickte und zeigte seinen Dienstausweis.
»Ich muss zugeben, dass mich Ihr Anruf einigermaßen überrascht hat. Ich wüsste nicht, was ich Ihnen erzählen könnte, was ich nicht schon Ihrem Kollegen berichtet habe«, meinte Maas. »Aber kommen Sie doch bitte erst mal herein, Herr Kommissar. Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten? Kaffee oder Tee vielleicht? Ich war so frei und habe schon einmal etwas vorbereitet.«
Hansen fiel sofort auf, dass das Haus der Familie Maas ebenso geschmackvoll eingerichtet war wie das Penthouse von Körlings. Wenn er sich richtig erinnerte, arbeitete Maas in leitender Funktion bei der Sparkasse.
»Ich würde gerne einen Kaffee nehmen, wenn Sie sich schon die Mühe gemacht haben«, antwortete Hansen freundlich.
»Sie haben außerordentliches Glück gehabt, dass Sie mich überhaupt noch hier angetroffen haben«, meinte Christoph Maas, während er Hansen eine Tasse Kaffee einschenkte. »Ich habe mir nämlich ein paar Tage freigenommen und wollte mich gerade auf den Weg zu meiner Familie machen. Hat Ihr Besuch vielleicht mit dem neuen Opfer des Racheengels zu tun? Eine furchtbare Sache! Sind Sie denn schon mit Ihren Nachforschungen weitergekommen?«, fragte Maas interessiert.
»Darüber darf ich Ihnen aus ermittlungstechnischen Gründen keine Auskunft geben. Aber es ist so, dass wir eine wichtige Spur verfolgen«, log Hansen. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich Ihnen gerne noch einmal einige Fragen bezüglich Herrn Körlings stellen.« Hier machte er eine kleine Pause und blickte Maas in die Augen. »Wie lange und vor allem wie gut haben Sie ihn gekannt?«
»Hans-Josef und ich kannten uns seit unserer Schulzeit auf dem Goethe-Gymnasium in Aachen. Im Laufe der Zeit wurden wir beste Freunde. Wir haben später sogar die gleichen Studiengänge belegt. Aber mit der Zeit haben wir uns etwas entzweit.«
»Könnten Sie das bitte etwas konkretisieren?« bohrte Hansen nach, obwohl er die Antwort wahrscheinlich schon aus dem Ermittlungsprotokoll kannte.
»Es begann schon kurz nach Beendigung unseres Studiums«, setzte Maas seine Ausführungen fort. HaJo, wie seine Freunde ihn nannten, bekam das Angebot ins Ausland zu gehen, um einen Job in den USA zu übernehmen. Da ich glücklicherweise direkt nach dem Studium eine Anstellung in Aachen gefunden habe, haben sich in der Folgezeit unsere Kontakte doch erheblich minimiert. Hin und wieder haben wir telefoniert. Aber das wurde mit der Zeit dann auch immer seltener. Wenn HaJo dann in Deutschland zu Besuch war, haben wir uns auch getroffen, aber ich hatte immer mehr den Eindruck, dass wir schon lange nicht mehr auf einer Wellenlänge lagen. Er hatte sich verändert.«
»Und wann ist Herr Körlings dann wieder nach Aachen zurückgekehrt?«
»Das muss etwa vor neun Jahren gewesen sein. HaJo hat mich eines Abends völlig überraschend angerufen und mir erzählt, dass er seine Stellung in den USA gekündigt hat und wieder in Aachen lebt. Er berichtete mir von seinen Plänen eine eigene Firma zu gründen, die Autozubehörteile herstellen und vertreiben sollte. Hans-Josef hatte wohl in den USA gute Kontakte in der Automobilbranche geknüpft und wollte sich hier in Deutschland eine Firma aufbauen, die sich mit der Produktion spezieller Zulieferteile befasste. Da er wusste, dass ich im Vorstand der Sparkasse sitze, erhoffte er sich meine Unterstützung bei der Finanzierung. Die Bewilligung des Kreditvolumens erfolgte natürlich nicht aufgrund unserer langjährigen Bekanntschaft. Nicht dass Sie da einen falschen Zusammenhang herstellen«, lächelte Maas. »Sein Konzept hatte einfach Hand und Fuß und der finanzielle Erfolg, der sich ziemlich bald eingestellt hatte, gab uns ja auch letztlich recht.«
»Und wie würden Sie Ihre Beziehung in den letzten Jahren beschreiben? Haben Sie die alte Freundschaft wieder aufgefrischt?«
»Von einer engen Beziehung konnte nicht die Rede sein«, erwiderte Maas. »Wir haben uns hin und wieder bei seinen Wohltätigkeitsveranstaltungen getroffen und sind alle paar Wochen Tennis spielen gegangen. Aber von Freundschaft im eigentlichen Sinne würde ich nicht sprechen. Vielleicht fehlte uns für eine intensive Freundschaft auch letztlich die Zeit. Wir beide sind, pardon, waren beruflich sehr eingespannt. Die wenige Freizeit, die mir bleibt, verbringe ich am liebsten mit meiner Frau und unseren beiden Kindern.«
»Sie haben meinem Kollegen bei der ersten Befragung von einer jungen Frau erzählt. Juliette Vermaelen. Können Sie mir vielleicht etwas über die junge Frau erzählen?«
»Ich fürchte, dass ich Ihnen auch jetzt nicht mehr sagen kann, als ich Ihrem Kollegen bereits erzählt habe«, schüttelte Maas den Kopf. »Ich kannte sie ja kaum. Wenn es nicht so ungewöhnlich gewesen wäre, Hans-Josef überhaupt in Begleitung einer Frau zu sehen, dazu noch einer so jungen und gut aussehenden, hätte ich das gar nicht erst erwähnt.
HaJo war im Grunde ein überzeugter Junggeselle. Das hing mit einer alten Geschichte zusammen, die er mir einmal erzählt hat. Er wollte vor Jahren eine Frau namens Susan heiraten. Aber es war wie in einem schlechten Hollywoodfilm: Sie hat ihn, noch bevor sie ihm das Jawort gegeben hat, einfach in der Kirche stehen lassen und ist abgehauen. Das hat ihn wohl so verletzt, dass er sich geschworen hatte, nie mehr einer Frau sein Vertrauen zu schenken. Er hatte zwar hin und wieder eine Affäre, aber nie eine feste Beziehung. Umso überraschender, dass er uns damals Juliette vorgestellt hat. Aber ich habe kaum ein Wort mit ihr gewechselt. Deshalb kann ich Ihnen wirklich nicht weiterhelfen.«
»Halten Sie es für denkbar, dass es sich um eine Dame von einem Escortservice gehandelt hat?«
»Das ist interessant, dass Sie das ansprechen«, erwiderte Maas. »Ein Bekannter von mir hat damals genau das Gleiche gemutmaßt.«
Maas zuckte mit den Schultern. »Aber ich persönlich glaube das nicht. Das war nicht HaJos Stil. Außerdem habe ich die beiden bestimmt noch zwei Mal zusammen gesehen.«
»Man kann sich auch mehrmals mit einer Frau eines Escortservices verabreden«, überlegte Hansen laut. »Körlings hätte Ihnen doch sicherlich erzählt, wenn die junge Frau seine Freundin gewesen wäre? Immerhin kannten Sie sich schon so viele Jahre.«
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