»Gleiche Vorgehensweise, wie bei Kämper und Körlings?«, wollte Hansen wissen.
»Genauso ist es. Ein sauberer Schuss in die Stirn und einer direkt ins Herz. Der Mörder tötet wie ein Profi, aber das wissen wir ja bereits. Auch ansonsten handelt es sich um die gleiche Handschrift. Abgelegener Ort, Tatzeit um Mitternacht herum, brutale Hinrichtung und nicht zuletzt die Visitenkarte.«
»Wer hat den Toten gefunden?«
»Ein Rentner ist mit seinem Hund spazieren gegangen und hat ihn entdeckt. Hubert Jansen heißt der Zeuge übrigens. Der arme Mann konnte keine Nachtruhe finden, drehte eine Runde mit seinem Hund, und dann fand er den Toten. Er ist völlig fertig mit den Nerven. Die Kollegen haben seine Personalien aufgenommen und ihn dann nach Hause geschickt. Ich hoffe, das ist kein Problem für dich?«
»Schon in Ordnung«, seufzte Hansen nachdenklich. »Ich würde mir den Tatort gerne ansehen.«
»Ja, natürlich. Er liegt gleich dort drüben in der Böschung an der Autobahn«, zeigte Mertens in Richtung der Stelle. »Wo ist eigentlich der Rest der Truppe?«
»Wahrscheinlich da, wo ich jetzt auch lieber wäre – im Bett. Ich hatte heute das alleinige Glück Bereitschaftsdienst zu haben, da Riedmann bis gestern Abend noch auf einer Fortbildung war«, erwiderte Hansen. »Marquardt und Beck werde ich gleich informieren. Ich wollte erst einmal abwarten, was ich hier vorfinde«.
Gemeinsam steuerten sie auf den Fundort der Leiche zu, wo Mertens´ Kollegen noch eifrig hin- und herliefen.
»Der Abstand, in dem unser Mörder zuschlägt, wird immer kürzer. Das bereitet mir Sorgen«, meinte Hansen schließlich, nachdem er sich den Leichnam angesehen hatte.«
»Das stimmt. Und wenn wir ihn nicht bald schnappen, fürchte ich, dass wir schon bald an einem neuen Tatort stehen werden, um die Leiche eines vierten Opfers zu untersuchen.« Mertens holte tief Luft, bevor er weitersprach. »Mensch Karl, wo soll das alles noch hinführen? Manchmal frage ich mich ernsthaft, warum ich diesen Scheißjob überhaupt noch mache? In den letzten Jahren ist alles immer schlimmer geworden. Ich frage mich, ob wir mit unserer Arbeit überhaupt irgendetwas erreichen?«
Hansen sparte es sich, auf Mertens Worte einzugehen. Auch wenn er seinen Kollegen wirklich gut verstehen konnte. Aber jetzt war weder der richtige Zeitpunkt noch der richtige Ort, um eine Grundsatzdiskussion über den Sinn und Zweck der Polizeiarbeit zu führen. Sie mussten einen Serienmörder schnappen.
»Wissen wir außer dem Namen des Opfers noch mehr über den Mann?«
»Nicht viel. Er war siebenunddreißig Jahre alt und wohnte in Monschau. Von Beruf Krankenpfleger im Luisenhospital. Wir haben einen entsprechenden Dienstausweis in seiner Brieftasche gefunden.«
Nach seinem Gefühlsausbruch von eben hatte sich Mertens ganz offensichtlich wieder gefangen, stellte Hansen erleichtert fest.»Wurde das Auto des Opfers wieder in der Nähe abgestellt?«, wollte Hansen als Nächstes von Mertens wissen. Schon bei den ersten beiden Morden hatte man die Autos der jeweiligen Opfer ganz in der Nähe der Leichenfundorte gefunden. Offensichtlich wurden die Opfer von ihrem Mörder gezwungen, in ihrem eigenen Wagen zu ihrer Hinrichtung zu fahren.
»Die Kollegen suchen bereits danach. Wir haben gerade erst von der Leitstelle erfahren, wonach wir suchen sollen. Apropos, ich muss da mal …«, murmelte Mertens und sprang eilig die Böschung hinab, kaum dass Hansen sich verabschiedet hatte.
Nachdem Hansen seinen Wagen erreicht hatte, teilte er seinem Team per SMS mit, dass er um neun Uhr eine Besprechung abhalten wollte, um über die neueste Entwicklung zu beraten. Schlafen gehen konnte Hansen jetzt nicht mehr. Dafür war er viel zu aufgekratzt. Also blieb ihm nur eine Möglichkeit. Er startete seinen Wagen und fuhr los.
Etwa eine viertel Stunde, nachdem Hansen den Tatort in der Soers verlassen hatte, erreichte er das Polizeipräsidium in der Innenstadt. Er stellte sein Auto auf dem Präsidiumsparkplatz ab und betrat das Gebäude aus dem Jahr achtzehnhunderteinundneunzig, das bis zum Einzug der Polizei vor einigen Jahren ursprünglich das alte Postgebäude gewesen war . Wie er nicht anders erwartet hatte, war außer dem wachhabenden Beamten niemand im Foyer zu sehen. Er nickte ihm zur Begrüßung zu. Hansen war dem jungen Kollegen dankbar, dass er ihm kein Gespräch aufdrängte, um sich nach dem Mord zu erkundigen, von dem er zweifelsohne gehört haben musste.
In seinem Büro in der zweiten Etage angekommen, beschränkte sich Hansen zunächst einmal darauf, die Fakten der ersten beiden Mordfälle auf einem Notizblatt zusammenzufassen: Das erste Opfer war der Student Michael Kämper, vierundzwanzig Jahre alt, ledig, gewesen. Er wurde vor knapp drei Wochen erschossen in einem Waldstück in Aachen aufgefunden. Er studierte im siebten Semester Maschinenbau an der Technischen Hochschule. Stabiles soziales Umfeld, keine Vorstrafen, keine finanziellen Probleme. Die befragten Kommilitonen hatten Kämper übereinstimmend als hilfsbereiten, sympathischen jungen Mann beschrieben. Er galt als fleißig, was nicht zuletzt dadurch unterstrichen wurde, dass er zwei Nebenjobs hatte, um sein Studium zu finanzieren. Er arbeitete in zwei Cafés als Aushilfskellner.
Hansen legte den Stift beiseite und dachte nach. Keiner der Befragten aus dem familiären Bereich oder im Freundes- und Bekanntenkreis konnte sich erklären, warum jemand Michael Kämper hätte töten wollen. Auch die Ermittler hatten bisher nicht fündig werden können.
Anfänglich hatten sie überlegt, ob sie es mit einem Auftragsmörder zu tun hatten. Die Vorgehensweise des Mörders sprach dafür. Der Mörder tötete kaltblütig und sehr professionell. Die Visitenkarten erinnerten an Mafiamorde, wo die Täter zuweilen eine Spielkarte bei ihren Opfern hinterließen. Zum einen, um zu zeigen, wer für den Mord verantwortlich war, zum anderen, um eine Warnung an all diejenigen auszusprechen, die sich gegen die Auftraggeber stellten. Also hatten sie in den Datenbanken nach ähnlichen Fällen gesucht, aber nichts gefunden.
Hansen glaubte auch nicht, dass es die Taten eines religiösen Fanatikers waren, wie die Presse mutmaßte.
Das zweite Opfer war der Geschäftsmann Hans-Josef Körlings, der eine Firma mit dem Namen Körlings CarSystem Technology besaß, in der Zulieferteile für die Autoindustrie hergestellt wurden. Achtundvierzig Jahre alt, ledig und tot in der Nähe der Panzersperren des alten Westwalls bei Oberforstbach gefunden.
Sie hatten keine Hinweise für mögliche Hintergründe der Mordtat finden können. Weder im privaten Bereich - Körlings hatte einen festen Platz in den wohlhabenden Kreisen der Aachener Gesellschaft inne - noch im Geschäftlichen. Körlings galt als integrer Geschäftsmann.
Darüber hinaus war er stark sozial engagiert. Neben seinen obligatorischen großzügigen Jahresspenden für in- und ausländische Hilfsprojekte hatte er in Aachen sogar ein eigenes Projekt ins Leben gerufen. Hier sollte straffällig gewordenen Jugendlichen und Straßenkindern geholfen werden, sich wieder in die Gesellschaft zu integrieren. »Reborn e. V.« war der Name der Einrichtung. Die Recherchen hatten ergeben, dass der Verein beachtliche Erfolge feiern konnte, was die Resozialisierung von Jugendlichen anging. Jedenfalls lag die Erfolgsquote weit über dem Landesdurchschnitt staatlicher Einrichtungen.
Читать дальше