„Da kann ich Ihnen von ganzem Herzen zustimmen“, mischte ich mich in seinen Monolog ein.
Wie er mich mit einem Wechselbad der Gefühle ansah! Wollte ich ihn verspotten? Plötzlich strahlte er. „Sie wurden als Lilia vorgestellt, nicht wahr. Mein Name ist Frank, genauer gesagt Professor Frank Welten.“
„Freut mich, Professor.“
Mehr als bereitwillig räumten gleich vier Gäste kopfschüttelnd ihre Plätze. Entspannt begannen wir Zwei eine angeregte Plauderei über unsere Leidenschaft für versteinertes Strandgut.
So raste die Zeit auf drei Uhr morgens zu.
Unser Gastgeber torkelte mit einer feurigen Rothaarigen im Arm heran. „Ich fahre das Schätzchen mal eben nach Hause. Bleibt, solange ihr wollt.“
Ich intervenierte energisch: „Nehmen Sie ein Taxi, Sie können nicht mehr fahren!“
„Keine Sorge, Prinzesschen, wir sind schon erwachsen“, kam leicht lallend zurück.
Zweiter Versuch: „So seien Sie doch vernünftig.“
Aber das Pärchen verschwand bereits winkend zur Haustür.
Der Professor schüttelte unwillig seinen Kopf. „Stets übers Ziel hinaus, so war er schon immer.“
Nachdem mein Retter des Abends, obwohl nüchtern, in einem Taxi davonfuhr, betrat ich den Kiesweg zum Gartenhaus. Leichter Frost lag in der Luft. Der Sternenhimmel zeigte sich über meinem Kopf, soweit er das Stadtleuchten durchdringen konnte. Um den stillen Anblick zu genießen, blieb ich stehen. Da schoss eine Gänsehaut wie stechende Eiskristalle über meinen gesamten Körper. „Was …?“ Es kam langsam auf mich zugekrochen, mehr als nur Grauen, bestialisch, höllisch. Erstarrt registrierte ich die nie zuvor erlebte Empfindung.
Die Sternelben brausten panisch: „Lilia, ins Haus, sofort!“
Rennend öffnete ich mit Magie die Haustür, krachend fiel sie hinter mir zu. „Licht an!“ Mit einem heftigen Handschlenker erstrahlte die gesamte Beleuchtung. Ich flüchtete mich in die Küche. „Was ist das?“
„ Ein Dämon streift umher, Elin ist auf dem Weg, warte.“ Die Sphärenfrauschaft hüllte mich in ihr Licht. Aber sie verheimlichten mir, dass es meine erstrahlte Seele war, die den herumstreunenden Dämon anzog. Vor allem aber verschwiegen sie, dass ihr Licht lediglich meiner Beruhigung diente. Gegen einen Dämon war es nutzlos schwach an diesem Ort.
Mein Hirn wiederholte in Endlosschleife: „Ein Dämon? Ein Dämon! Ein Dämon? ...“
Bestimmt eine halbe Ewigkeit saß ich zitternd am Küchentisch und starrte zu den Fenstern. Plötzlich erleuchtete ein gleißend weißer Blitz den Park, kurz darauf erschien die Elbe.
„ Bist, bist du okay? Ist der – ist er tot?“, brachte ich mit klappernden Zähnen mühsam hervor.
Sie nickte und verschwand erneut.
Antworten wollte ich selbstredend keine. Zwischen den Schüben eines Schluckaufs, sicherlich die körperliche Reaktion auf den Zustand meines Gehirns, gab ich mir nun absichtlich mit einer halben Flasche Rotwein die Kante.
Aus dem Buch „Inghean“
Es wird von Nacht zu Nacht schwieriger, die Dämonen von dem Heim des Menschenkindes fern zu halten. Meine Sternschwestern haben die Gefahr unterschätzt.
Drei Tage später klingelte es. Ein Fremder stand vor der Haustür, wie die Überwachungskamera zeigte.
„ Bitte ihn hinein, Lilia.“
Unsicher öffnete ich dem immerhin sympathisch aussehenden Mittdreißiger.
„Entschuldigen Sie bitte die Störung, ich bin Georg, der Bruder von Golo.“
Es dauerte eine Sekunde, bis ich begriff, dass er meinen Nachbarn meinte. „Kommen Sie doch herein.“
Wir setzten uns in die Küche.
„Ihr Name stand auf der Gästeliste, deshalb dachte ich, Sie waren eine Freundin von ihm.“
„ Waren?“ Noch bevor er weitersprach, wusste ich, was geschehen sein musste. Wie hatten es die Sternelben nüchtern prophezeit: Das Problem würde in naher Zukunft verschwinden.
„Mein Bruder ist Samstagnacht bei einem Autounfall ums Leben gekommen.“
„Das muss schrecklich für Sie sein, mein Beileid“, antwortete ich aufrichtig.
„Ehrlich gesagt, wir standen uns nie nahe, hatten uns seit Jahren nicht mehr gesehen“, brachte er erklärend hervor. Der Tod seines Bruders traf ihn trotzdem, denn dieser Mann stellte dessen komplettes Gegenteil dar.
„Jedenfalls, die Beerdigung findet am Freitag statt, falls Sie kommen möchten.“
„ Sag zu.“
„Danke, das werde ich selbstverständlich tun.“
Die Party mit ihren Folgen hinterließ bei mir zwei Lektionen: über das Urvertrauen und über das Schicksal.
Am Freitag, kurz vor elf Uhr, betrat ich in Erwartung eines Menschenauflaufs die Kapelle des Westfriedhofs. Irritiert blinzelte ich in das schummrige Licht, bis sich ein kleines Häuflein herausschälte.
Georg löste sich aus der Gruppe und kam auf mich zu. „Wenigstens eine, die ihr Versprechen hält. Na ja, irgendwie nicht verwunderlich. Waren Sie eigentlich eine enge Freundin von Golo?“
Er überspielte seine Nervosität, ich lächelte ihm beruhigend zu. „Nein, bloß seine neue Nachbarin.“
Aus welchem Grund auch immer gefiel ihm meine Antwort spürbar. „Dann wollen wir die Zeremonie hinter uns bringen, Golo war ja kein gläubiger Mensch.“
„Und Sie?“, fragte ich unverschämt neugierig.
„Offen gestanden, meistens weiß ich nicht, was ich glauben soll. Ich bin Wissenschaftler“, fügte er halb entschuldigend hinzu. Sein Blick zuckte an mir vorbei. „Mensch, wo bleibst du denn?“, rief er einem jungenhaft aussehenden Mann entgegen.
Was war der süß, schlaksig, mit hellbraunem Lockenschopf. Aus der Nähe schätzte ich ihn unwesentlich jünger als Georg.
„Ich konnte keinen Parkplatz finden, Schorsch“, verteidigte er sich atemlos.
„Darf ich vorstellen, mein Lebensgefährte Jay. Und das ist Lilia, unsere baldige Nachbarin.“
„ Interessant!“
Wenn das Wetter es zuließ, ging ich neuerdings wieder am frühen Morgen joggen. Der zwingend notwendige Ausgleich zu dem Übermaß an Kopfarbeit. Seit der Party befand sich mein Innerstes in einem gewaltigen Prozess des Wandels. Erstens wusste ich die gruselige Erfahrung mit dem Dämon kaum zu verdauen. Zweitens nährte sich beständig die Furcht, mich selbst zu verlieren. Nach meinem Empfinden schlichen Monster um mein Heim, während sich ein fremdes Wesen in meinem ebenso fremden Körper ausbreitete. Da kam mein Kopf nicht annähernd mit.
Elin half und ermutigte, wo sie es vermochte. „Das Elbenkind in dir wächst. Selbst wenn es dir fremd erscheint, war es doch immer ein Teil von dir.“
Direkt am Tag nach der Party hatte sich die drastischste Veränderung gezeigt. Meine Magie floss in Strömen, völlig ohne Konzentration oder den bestärkenden Handschlenker.
„ Meine Güte“ , hauchte Elin, „wahrhaft beeindruckend“.
Doch in Wahrheit benötigte ich die Elbe mehr denn je – als Anker, Ratgeberin und Schutz vor mir selbst.
Gerade brütete ich an einer vagen Idee. „Was meinst du, Elin, sollte ich in die Kirche gehen und die Sternelben bitten, mir meine Furcht zu nehmen?“
Sie stimmte mit Bedacht zu: „Aber unbedingt nur den überflüssigen Teil, denn gesunde Furcht ist ein wichtiger Ratgeber.“
Aus dem Buch „Inghean“
Die sehenden Sternschwestern wissen weit mehr, als sie einer Dienerin wie mir mitteilen. Verborgene Kräfte wirken in dem Menschenkind. Die Seelenschmelze naht, und mit ihr die Rückkehr meiner Fürstin.
Zu frühzeitig erreichte ich Santa Christiana, glaubte ich angesichts der fleißig werkelnden Orgelbauer. Sie begannen jedoch gerade, für den Feierabend aufzuräumen. Die Männer grüßend, fragte ich nach dem Stand der Dinge.
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