„Wollen Sie nachschauen, ob Ihre Truppe ordentlich arbeitet?“ Ein verdammt gutaussehender Mann stand im Hauseingang und sah ihr erwartungsvoll entgegen.
„Äh, nein, ich suche Frau van Luzien.“
„Ach, Lilia! Da sind Sie hier falsch“, deutete Schorsch nach links, „sie wohnt im Gartenhaus“.
Katja klingelte am Tor, das sofort geräuschlos aufschwang. Und selbstverständlich registrierte sie die gut getarnte Überwachungskamera.
Die Sternelben warnten rechtzeitig vor meiner Besucherin. Gespannt saß ich nun am Küchentisch, wo Tee und Sandwiches bereit standen. „Katja, der Name kommt aus dem Russischen von Katharina, ‚die Reine‘. Und Raimund bedeutet ‚Schützer nach dem Rat der Götter‘“, fuhr ich grinsend fort. Georg ist ‚der Wachsame‘.“ Weiter kam ich mit dem merkwürdigen Befund über die Namen meiner neuen Bekanntschaften nicht.
Der Monitor zeigte eine mittelgroße, durchtrainierte, ungefähr dreißigjährige Frau. Praktischer kurzer Haarschnitt, wachsame braune Augen. „Na dann!“
„Hallo, ich bin Lilia.“
Zögernd ergriff sie meine ausgestreckte Hand. „Hauptkommissarin Rainer.“
Sie folgte mir in die Küche.
„Bitte, setzen Sie sich doch.“
Die Kommissarin registrierte den gedeckten Tisch. „Anscheinend erwarten Sie Besuch, dann will ich es kurz machen“, meinte sie widerstrebend.
„Nein, ich habe Sie erwartet“, erwiderte ich lächelnd und schenkte Tee ein. „Probieren Sie die Sandwiches, eine Spezialität des Hauses.“
Meinen Gast beschlich ein beunruhigendes Gefühl. Die Kommissarin versuchte, mir fest in die Augen zu schauen, konnte ein irritiertes Blinzeln aber nicht verbergen. „Sie – Sie haben mir eine eMail geschickt.“
Geduldig wartete ich ab, bis sie herausplatzte: „Woher stammen diese Informationen, Frau van Luzien? Taucher haben heute Morgen die Tatwaffe geborgen.“
Klar hatten sie das. Und in diesen Minuten suchte ihr Team gezielt nach den anderen Beweisstücken von meiner Liste. „Bitte, nennen Sie mich einfach Lilia.“ Auf zum schwierigeren Part. „Ich muss Sie um einige Zeit und reichlich Geduld bitten, bevor ich Ihre berechtigte Frage beantworten werde.“
Die Kommissarin wollte protestieren, beschwichtigend hob ich die Hand. „Würde ich Ihnen in diesem Moment die Wahrheit an den Kopf werfen, nähmen Sie mir kein einziges Wort davon ab.“
Wieder wollte Katja protestieren, doch ich ließ sie nicht zu Wort kommen. „Deshalb möchte ich Ihnen einen Vorschlag unterbreiten: Nennen Sie mir einen oder auch mehrere Ihrer ungelösten Fälle der Vergangenheit. Im Gegenzug erhalten Sie weitere Listen per Mail.“
„Sind Sie Privatdetektivin?“ Misstrauisch versuchte sie eine rationale Erklärung zu finden.
„Nein, nichts dergleichen“, versicherte ich, stand kurz auf und kam umgehend mit Schreibzeug zurück. „Also?“
Innerlich hin und her gerissen über die unwirkliche Situation, siegte zuletzt Katjas starker Instinkt. „Vor zwei Jahren wurde der neunjährige Ralf Bregen getötet. Der Täter konnte nie ermittelt werden. Im Juni letzten Jahres verschwand die vierjährige Eva Trinkhardt. Wir wissen nicht, ob sie noch lebt.“ Bleischwer lasteten die Fälle auf Katjas Seele. Monatelang hatte sie unermüdlich beinahe rund um die Uhr an sieben Tagen die Woche gearbeitet. Vergeblich. „Wenn Sie das schaffen, werde ich Ihnen glauben, wer auch immer Ihre Quelle sein mag.“
„ Nein, so schnell nicht“ , war ich mir aus eigener Erfahrung sicher, „aber für den ersten Schritt sollte es allemal reichen“.
Hinterher benötigte ich dringend frische Luft und schlenderte kurz entschlossen zum Vorderhaus.
„Hallo, Lilia, gut, dass du kommst. Wo kann man denn hier etwas Essbares kaufen? Unsere Mägen hängen schon in den Zehenspitzen“, lachte Jay.
„Lass mich das übernehmen, ich habe Zeit. Wieviel Mann seid ihr denn?“
„Sechs, aber lass man, Getränke brauchen wir ja auch noch.“
„Keine Widerrede, wird schon erledigt.“
Eifrig flitzte ich zurück.
In der Küche wartete meine magische Bestellung: zwei große Tabletts mit Bergen an Sandwiches, dazu drei Körbe mit kalten Getränken, Kaffee und dem benötigten Zubehör. „Das musst du jetzt wohl selbst schleppen. Jay fällt glatt in Ohnmacht, wenn ein Korb aus dem Nirgendwo vor seinen Füßen landet.“
In der Tat traute er selbst so seinen Augen kaum, als er mich postwendend mit dem ersten Tablett kommen sah. „Ach so, du wolltest uns überraschen“, fand er schnell eine Erklärung für sich – und half mir unwissentlich erst aus der magischen Bredouille und dann beim Schleppen.
Zehn Minuten später saßen die Männer um den großen Küchentisch herum und lobten mit vollen Mündern meine Sandwiches. Belustigt zog ich Leine, weil unterschwellig innere Unruhe aufkeimte. „Ab in die Kirche! Ach nein, die Orgelbauer arbeiten ja auch samstags um diese Uhrzeit noch.“
„ Komm ruhig, Lilia, sie haben heute in ihrer Werkstatt zu tun.“
Während ich den Schlüssel aus seinem Versteck pulte, kamen meine Gedanken über die Orgel zu dem ungenutzten Klavierflügel im Wohnzimmer. „Ob ich das Spiel erlernen darf?“ Eigentlich wollte ich die Sternelben gleich darum bitten. Doch vorrangig stand das beinahe vermasselte Treffen mit Katja auf der Tagesordnung. Mich in andere Menschen hinein versetzen, das barg neuerdings explosives Katastrophenpotenzial.
„ Lilia!“ , schmetternd entrissen sie mich der Grübelei und erteilten sogleich einen Tadel wegen der unbedachten Anwendung von Sandwich-Magie. „Erst denken, dann zaubern!“
„ Ja-a. Und der Flügel?“ , bettelte ich sehnsuchtsvoll.
Erheitert sangen sie: „Ja-a-a.“
Dann begann der wahrlich grauenhafte Teil unseres Treffens. Eine gewaltige Flut an Informationen über Katjas ungelöste Mordfälle ergoss sich in meinen Kopf.
Geraume Zeit später wollte ich abschließend von den Lichtwesen wissen, ob Katja hinterher erneut vor der Tür stehen würde.
„ In Zukunft ist sie dein häufigster Gast.“
„ In Freundschaft?“
„ Das hängt von deinem Geschick ab.“
„ Und eurer tätigen Mithilfe, hoffentlich.“ Stöhnend rutschte mir der Kommentar heraus: „Hattet ihr nicht kürzlich gemeint, das Ganze sei lediglich eine Übung?“
Funkstille.
Eben wollte ich den Heimweg antreten, da meldeten sie sich nochmals. „Möchtest du eine Aufgabe bekommen, die dir Spaß bereitet, wie die Menschenkinder es nennen?“
„ Aber immer!“
„ In der Rachmaninow-Straße droht der Musikschule aus Geldmangel die endgültige Schließung. Du spendierst doch so gerne“ , neckten sie mich.
„ Die Schule liegt auf meinem Rückweg!“ , rief ich begeistert.
„ Nein, Lilia, es dämmert bereits, warte bis morgen Vormittag.“
Die Sternelben wollten, dass ich die Nacht fürchten lerne.
„ Guten Morgen. Sind Sie der Leiter dieser Schule?“
„Wir nehmen keine Schüler mehr an“, wies er mich sichtlich zerstreut ab, „wir schließen“.
„Ich weiß, deshalb bin ich hier.“
Nun völlig verwirrt, nahm er mich erst richtig zur Kenntnis. „Warum das?“
„Sie benötigen ungefähr zweihunderttausend Euro zur Fortsetzung des Lehrbetriebs. Ich möchte schauen, ob eine Spende hier gut investiert wäre.“
Entgeistert fragte er: „Sie wollen spenden?“
„Wie wäre es, wenn Sie mich durch Ihr Haus führen und mir unterwegs Ihre Sorgen schildern?“
Eine lange Pause entstand, bis seine tief sitzende Resignation in vorsichtigen Optimismus umschlug.
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