Daniela Zörner
Das Kasematukel im Apfelbaum
Ein Vorlesebuch
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Inhaltsverzeichnis
Titel Daniela Zörner Das Kasematukel im Apfelbaum Ein Vorlesebuch Dieses eBook wurde erstellt bei
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Ausblick
Impressum
Kapitel 1
„ Igittigitt, igittigitt, igittigittigittigitt!“ Empört zog das Kasematukel seinen apfelförmigen, lindgrünen Kopf ein, als der fette Regentropfen auf seiner zarten Nase zerplatzte. „Wenn dieser abscheuliche Regen nicht schnellstens der Sonne weicht, wird mein Apfelmost eklig sauer.“ Bei der bloßen Vorstellung, den ganzen nächsten Winter lang sauren Apfelmost trinken zu müssen, schüttelte es sich. „Brrrh!“ Und noch einmal, wobei seine zwei braungrünen Zöpfe wild schlackerten. „Brrrh!“ Mit einem letzten, sehr wütenden Blick zu dem hoffnungslos dunkelgrauen Himmel knallte es die moosgrüne Tür zu. Rums!
Das also war Lodi Zuckerapfel, ein leibhaftiger Apfelgnom. Wobei nur Fremde auf die höchst unhöfliche Idee kamen, einen Apfelgnom auch so zu nennen. Denn sie selbst nannten sich stets Kasematukel, das klang schöner und – geheimnisvoller!
Wo das Kasematukel wohnte? Na, in dem alten Rosenapfelbaum natürlich. Er stand am Postweg der Heupferde. Wobei Lodi dort noch gar nicht lange wohnte, kaum drei Apfelzeiten. Davor hatte er in einem weit älteren Apfelbaum gelebt, ungefähr zweihundert Menschenschritte den geschlungenen Postweg hinunter. Für Kasematukel eine ordentliche Strecke!
„Ach ohwehohweh, ach herrjeminee, das waren noch schöne Zeiten damals“, jammerte das Kasematukel manches Mal vor sich hin, wenn ihm sein neues Zuhause allzu unkomfortiös erschien. Das unaussprechliche Wortungetüm „unkomfortiös“ traf die erbärmliche Geschichte seiner Meinung nach punktgenau auf den Apfelkern.
Warum das Kasematukel dann überhaupt umgezogen war? Nun, sein uralter Zwiebelapfelbaum war mit dem Greisenalter schläfrig geworden. Erst mochte er im Frühling kaum noch blühen, dann warf er manche Früchte halbreif, also ungenießbar ab. Das ging nun gar nicht. Schließlich zog das darüber verärgerte Bienenvolk um. Es hatte die obere Höhle im Stamm des Zwiebelapfelbaums bewohnt.
Aber das Allerschlimmste passierte damals bei dem ersten heftigen Herbststurm. Da riss und rüttelte der garstige Sturm so lange an dem morschen Geäst, bis ausgerechnet der dicke, knorrige Ast brach, in dem sich das kuschelige Schlafzimmer des Kasematukels befand. Ein schauerliches Knacken ließ den Baum erzittern, bevor der Ast mitsamt dem Mobiliar krachend in die Tiefe stürzte. Das schöne Wurzelschnitzerbett, alles hinüber!
Und um das Mostfass zum Gären zu bringen, geschah dieses Unglück ausgerechnet während der heiklen Erntezeit von Lodis heißgeliebten Liköräpfeln, den letzten Äpfeln der Saison.
Ohne die gewohnte Bienenwache machten ihm obendrein rauflustige Hornissen die süßen Früchte streitig. Ein Gegner, mit dem es das junge Kasematukel allein wahrlich nicht aufnehmen konnte.
Kurzum, Lodi musste sich ein neues Heim suchen. Er wurde mit fremder Hilfe in eben dem Rosenapfelbaum fündig.
Aber seine neue Wohnhöhle war, gelinde gesagt, ein wenig beengt. Eben unkomfortiös! In dem größten Raum befand sich die besonders wichtige Vorratskammer, rundum ausgekleidet mit Regalen, sogar über der Tür. Da gab es mit Heu gepolsterte Weidenkörbe für frische Äpfel, bauchige Steinguttöpfe für getrocknete Apfelspalten, karamellisierte Würfel oder eingelegte Knospen. Nebenan standen große und kleine Deckelgläser für Apfelmus und Gelee, birnenförmige Fässchen mit Apfelmost oder Honig gefüllt. In einem anderen Regal lagerten unzählige Dosen mit Apfelschalenmehl und Blütenteeblättern, außerdem Apfelzuckertöpfe und noch zwei, drei, vier kostbare Flaschen mit Apfellikör für besondere Gäste.
Allerdings bekam das Kasematukel eher selten Besuch. Am häufigsten klopfte noch seine Nachbarin, die Bienenkönigin, an. Sie war ganz verrückt nach Lodis fruchtig süßem Likör. Doch all ihre hinterlistigen Versuche, dem jungen Kasematukel sein Geheimrezept zu entlocken oder ihm zumindest ein einziges Fläschchen abzuschwatzen, schlugen fehl. Soviel sei verraten: Ein höchst wichtiger Bestandteil des Likörrezepts war ausgerechnet der Honig aus ihrem Bienenstock. Jedenfalls blieb Lodi stur wie Eichenknorre. So musste sich die Bienenkönigin dann und wann, wenn die Naschsucht sie allzu grausam quälte, persönlich vorbeibequemen.
Aber zurück zu der neuen Wohnhöhle. Der zweitwichtigste Raum darin war selbstverständlich die Küche mit dem Tänzer.
Unter der Küchendecke hingen zahllose Töpfe und Pfannen, Siebe und Schaumkellen, Trichter und Quirle, Löffel und Teigrollen, Stampfer und Pressen, Pinsel und Schaber, da blieb kein Daumbreit mehr Platz.
Auf dem Küchenboden, nämlich ganz genau in seiner Mitte, thronte der Tänzer, ein wahres Monstrum von einem Herd. Er war so groß, das Kasematukel musste um ihn herumlaufen, um an jede der sechs Herdplatten gelangen zu können. Und die Tür des Backofens war so riesig und schwer, einzig mit einem Flaschenzug konnte sie geschlossen werden. Woher der Name „Tänzer“ stammte, wusste niemand mehr, denn der Herd hatte bereits seiner Ururururgroßmutter gehört. Das nennt man unverwüstlich! Allerdings loderte das Torffeuer im Tänzer auch nur während der jährlichen Apfelernte. Dann jedoch Tag und Nacht.
In der übrigen Zeit begnügte sich Lodi mit einem winzigen Ofen in der Ecke, der nur zwei Herdplatten besaß. Innen bot er gerade genug Platz, um saftiges Brot und leckere Küchlein zu backen.
Durch eine Falltür gelangte das Kasematukel von der Küche in die darunter befindliche Kammer. Diese diente ihm als Werkstatt. An der linken Wand lagerten gebündelte Weidenruten, ganz frisch, zart und biegsam. An der gegenüberliegenden Wand beherbergte ein schmales Regal das Werkzeug und Lodis kunstvoll angefertigte Weidenflöten. Dazwischen stapelten sich Weidenkörbe und Kiepen von walnussklein bis kürbisgroß, mit und ohne Deckel, Henkel oder Trageriemen.
Mit den selbst geflochtenen Körben trieb das Kasematukel nach Lust, Laune oder eher unbedingter Notwendigkeit ein wenig Handel. Es tauschte sie gegen Werkzeug, Töpfe und anderes Unverzichtbare ein. Viel mehr brachte ihm die bescheidene Kunst der recht eintönigen Korbflechterei nicht ein, die er von seinem Vater gelernt hatte.
Tausendmal lieber vertrieb Lodi sich die lange Winterzeit mit Schnitzerei. Bereits in seiner Kindheit war das knifflige Anfertigen von Weidenflöten seine große Leidenschaft gewesen. Durch puren Zufall entdeckte Lodi irgendwann, dass die zauberhaft klingenden Instrumente von einem ganz bestimmten Völkchen heiß begehrt wurden. Doch dazu später mehr.
Über der Küche befand sich das Wohnzimmer, das nur über eine enge, steile Stiege zu erreichen war. Es musste dem Kasematukel zu seinem allergrößten Verdruss gleichzeitig als Schlafzimmer dienen. Denn mehr Räume gab dieser Apfelbaum nicht her.
Also nächtigte Lodi auf der Couch. Das ging mehr schlecht als recht, weil die harten Binsen nachts arglistig durch den fadenscheinigen Couchbezug stachen. Davon erwachte er manches Mal, weil die gepiesackte Haut stets zu jucken begann.
Dennoch schob das Kasematukel die lästige Wanderung zu den Leinewebern, um bei ihnen dicken Stoff zu tauschen, immerfort auf. „Ja, ja, übermorgen werd‘ ich Stoff besorgen“, greinte es des Nachts und kratzte sich dabei ausgiebig. Manchmal dachte es auch an sein verlorenes Wurzelschnitzerbett. Dann kullerten ihm ein, zwei, drei Tränen aus den lilafarbenen Augen über seine Apfelbäckchen. Es schluchzte laut auf, putzte hernach gewissenhaft trompetend seine feine Nase und verkündete zuletzt sehr laut: „Ach herrjeohnee, es hätte ja viel schlimmer kommen können!“ Danach schlüpfte Lodi zurück unter seine Decke und schlief sogleich wieder ein.
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