Daniela Zörner
Das Kasematukel und der Pfropftropffleck
Band 2
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Inhaltsverzeichnis
Titel Daniela Zörner Das Kasematukel und der Pfropftropffleck Band 2 Dieses ebook wurde erstellt bei
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Impressum neobooks
Bum, bum, bum. „Hiiiilfe!”
Das Kasematukel schreckte auf dem Sofa aus seinem sehr ausgedehnten Mittagsschläfchen hoch. Ganz genau betrachtet, hatte bereits der Nachmittag begonnen.
Bum, bum, bum. „Ist hier jemand? Hiiiilfe!“
Lodi Zuckerapfel warf seine Decke beiseite, rappelte sich auf, kletterte geschickt auf die Sofalehne und lugte vorsichtig aus dem Astlochfenster. Ein Riesenkind stand vor seinem Rosenapfelbaum. „Unerhört!“
Es donnerte mit seiner Faust gegen die moosgrüne Haustür, dass der ganze Baum erzitterte. Bum, bum, bum.
Fassungslos krächzte Lodi: „Aber, das ist unmöglich.“ Eigentlich hätte das Riesenkind seine Tür gar nicht entdecken dürfen. Schließlich war sie verkasematukelt! Doch dazu später mehr.
Hin und her gerissen zwischen der beträchtlichen Sorge, welcher Schaden aus dem Gedonnere entstehen mochte, und einer für Kasematukel geradezu unverschämten Neugier, schaute sich Lodi das Riesenkind genauer an. Hinter dem Fenster fühlte er sich sicher.
Und so erblickte das Kasematukel einen mächtigen Kopf, bedeckt mit roter Wollmütze, aus der rechts und links hellbraune Zöpfe herausragten. Darunter einen blauen Wollmantel mit zwei erstaunlichen, aufgenähten Taschen. Lodi stutzte. Wo waren die Hände? Er sah am Ende der monströsen Arme, von denen in eben diesem Augenblick der eine erneut auf seine schöne Holztür zuschoss, nur unförmige Kugeln aus rotem Stoff.
Bum, bum, bum.
Jetzt bewegte sich der Kopf. Aus dem hübschen Gesicht eines Mädchens schauten zwei große grüne Augen direkt zu ihm hinauf.
„Hiiiilfe!“
Vor Schreck plumpste das Kasematukel mit seinem Hintern auf das Sofa hinunter. „So eine Frechheit, nun langt es mir aber.“ Energisch kam es wieder auf die Beine. Dann riss es das Fenster so heftig auf, dass ihm Schnee ins Gesicht stob. „Brrrh, hör sofort auf! Du machst noch meine Tür kaputt!“, brüllte das Kasematukel hinaus. „Das ist mein Apfelbaum!“ Vor lauter Ärger lief sein zart lindgrünes Gesicht abscheulich giftgrün an.
Das Riesenkind kniff die Augen zusammen und starrte zu dem winzigen Fenster hinauf. „Wer ist da? Kannst du mir helfen?“
„Helfen?“, fragte Lodi. „Wieso helfen? Und warum schreist du so entsetzlich laut?“
„Ich, ich“, schluchzte das Riesenmädchen auf, „ich habe mich verlaufen“.
„Beim Apfelgriebs, schrei mich nicht so an, ich bin keineswegs schwerhörig“, schimpfte Lodi. Doch im nächsten Augenblick bereute er, unhöflich zu sein. Denn er beobachtete etwas so wunderschön Trauriges, wie er es in seinem ganzen Leben niemals gesehen hatte. Aus den großen grünen Augen des Mädchens rannen zwei mächtig dicke Tränen über gerötete Wangen, verharrten einen winzigen Moment an seinem Kinn und tropften dann als glitzernde Glasbälle in den tiefen Schnee. „Oooh!“
Es herrschte gerade tiefer Winter, die faulste Jahreszeit im Leben jedes Kasematukels. Die Winterzeit verhieß langes Schlafen, ausgiebiges Faulenzen und gutes Essen. Nur jeden Montag stand das pflichtbewusste Flechten von Weidenkörben an. Mit ihnen tauschte Lodi während der wärmeren Jahreszeiten ein, was er unbedingt benötigte, jedoch nicht selbst herstellen konnte.
Obendrein schnitzte Lodi an seinen geliebten Weidenflöten. Aber wirklich nur, wenn ihm der Sinn danach stand. Das kam vielleicht zwei, drei, vier Mal in einem ganzen Monat vor. „Besser bescheiden als übertreiben“, pflegte sein alter Onkel Helidor stets zu sagen.
Immer neue Tränen, begleitet von herzerweichendem Schluchzen, tropften in den Schnee. „Ich will nach Hause.“
Da Lodi ein wagschlaumutiges Kasematukel war, eine höchst selten vorkommende Ausnahme in seiner Familie, verkündete er jetzt: „Warte einen Moment, ich gehe herunter zur Tür.“
Normalerweise kannten Kasematukel von der Welt außerhalb ihres Apfelbaumes genau so viel, wie sie von ihren Astlochfenstern oder ihren Baumkronen aus erspähen konnten. Sofern sie dies überhaupt wollten, versteht sich. Wozu gab es schließlich die Heupferdboten für Post und Pakete? Auf die Wanderschaft gehen zu müssen, galt unter Kasematukeln als großes Unglück. Doch wie meist im Leben, wenn alle dasselbe taten, tanzte einer voller Übermut aus der Reihe.
Das Riesenmädchen wischte sich hoffnungsvoll mit seinen wollenen Fäustlingen die nassen Wangen ab. Danach kramte es ein gebrauchtes Taschentuch aus seiner Manteltasche hervor und blies in selbiges so energisch hinein, dass es riss.
Genau in dem Moment öffnete sich die Tür. Lodi traf eine gewaltige Böe, die ihn auf seinen Hosenboden plumpsen ließ. „Aua!“
„Hast du dir weh getan?“, nuschelte das Riesenkind hinter den Papierfetzen hervor.
Anstatt zu antworten, fragte Lodi voller Staunen: „Wie hast du das gemacht?“
„Oh“, kicherte es, „ich habe mir nur die Nase geputzt.“
„Das ist überaus gefährlich“, stellte Lodi fest. Vorsichtshalber klammerte er sich an den Türrahmen.
„Tut mir leid. Kannst du mir nun helfen?“ Flüsternd fügte das Riesenkind hinzu: „Es wird sicher bald dunkel.“
Insgeheim gab Lodi ihm den Namen Schneemädchen, weil es über und über mit Schneeflocken bestäubt war. Zudem steckten seine merkwürdigen Schuhe, die ihm fast bis an die Knie reichten, tief in einer Schneewehe
In den vergangenen Tagen hatte der eisige Wind immer neuen Schnee gebracht, ihn höher und höher rund um den Baumstamm aufgetürmt.
Obwohl in Lodis Augen riesengroß, glaubte er doch, Schneemädchen müsse noch ein Kind sein. Die wahrhaft riesigen Riesen reichten mit ihren astdicken Armen und tellergroßen Händen bis zu den Zweigen seines Apfelbaumes hinauf. Und was taten sie manches Mal zur Erntezeit? Seine Rosenäpfel stehlen! Schon deswegen mochte Lodi die Riesen nicht leiden.
Langsam merkte Lodi, dass seine Gedanken davon liefen. Also rief er sich zur Ordnung und fragte sogleich: „Wo befindet sich deine Wohnhöhle? Hier am alten Postweg?“
„Wie? Was?“ Das Riesenmädchen verstand seine Fragen nicht.
„Wo wohnst du?“, wiederholte Lodi.
„In Buch. Da sind wir erst vor einem Monat hingezogen.“
Lodi traute seinen Ohren kaum. „Du wohnst in einem Buch?“ Zwar besaß er selbst kein solches Ding, jedoch hatte er schon mal davon gehört. „Wer war es noch gleich?“, murmelte er vor sich hin. „Mein Freund Erdwich? Oder hatte Onkel Helidor in seinem unerschöpflichen Vorrat an alten Familiengeschichten mal ein Buch erwähnt?“ Laut begehrte das Kasematukel zu wissen: „Man kann in einem Buch wohnen?“
Schneemädchen sah ihn ein wenig mitleidig an. „Du bist aber dumm. Ich wohne in einem Haus und das steht in einem Ort, der Buch heißt.“
„So“, brummte Lodi verwirrt.
„Kennst du denn Buch nicht? Es muss doch hier ganz in der Nähe sein.“ Natürlich kam Schneemädchen zunächst nicht auf die Idee, was für es selbst eine geringe Wegstrecke bedeutete, könnte für den kleinen Lodi ein echtes Abenteuer sein.
Eigentlich wunderte sich Schneemädchen über gar nichts. Weder über die Wohnung in einem Baum, noch über das seltsame Wesen, das darin lebte.
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