„ Bedenke bitte, du darfst Magie niemals in der Gegenwart von Menschen nutzen.“
„ Dazu müsste ich sie erst einmal beherrschen“ , lachte ich. „Aber du hast vollkommen Recht, das wäre ein echter Schocker.“ Dabei flitzte eine Szene mit fliegenden Gegenständen durch meinen Kopf und ich gluckste. Verlockend war die Vorstellung wirklich, im Supermarkt per Handschlenker binnen Minutenfrist die lästigen Einkäufe zu erledigen.
Elin schlenkerte einen Teller mit dick belegten Sandwiches und ein großes Glas kalte Milch auf den Küchentisch.
„Nanu?“
„ Probieren bitte, und schön aufessen. Du isst viel zu wenig.“
Erst zögerlich ein Eckchen von der ungewohnten Kost knabbernd, biss ich schnell herzhaft hinein. „Sind die Sandwiches lecker!“
Zufrieden verschwand sie.
„ Verflixt, ich wollte sie doch nach meinen Pflanzen fragen.“
Ganz schwach vernahm ich aus der Ferne ihre Antwort: „Ich habe mich nur ein wenig mit ihnen unterhalten.“
Beinahe hätte ich mich verschluckt.
Gerade als mein Entschluss feststand, den Nachmittag zum Zwecke der Gefühlskunde in der City zu verbringen, läutete es an der Haustür. Ohne Nachdenken riss ich die Tür auf, nur um in das fiese Gesicht meines Nachbarn aus dem Haupthaus zu blicken. „Wozu“ , schalt ich mich, „hast du eine Überwachungskamera?“
„Hallo, Frau Nachbarin, wie ich sehe, ist Ihr Umzug bereits überstanden.“
Ich bat ihn nicht herein. „Ja, Schnee von gestern“, entgegnete ich kurz angebunden.
„Dann darf ich Sie hoffentlich am nächsten Samstag auf meiner Party begrüßen? Es werden selbstverständlich eine Menge interessanter Leute da sein.“
Keine Ahnung, was mich ritt, oder ob ich ihn einfach schnellst möglich loswerden wollte, jedenfalls kündigte ich mein Erscheinen an.
„Das Buffet wird um Punkt 21 Uhr eröffnet.“ Damit trollte er sich.
„Wieso nehmen immer alle das Essen so wichtig? Wenn ich Hunger bekomme, esse ich oder auch nicht, basta. Punkt 21 Uhr. Seit wann hat mein Magen eine Zeitschaltuhr?“, schimpfte ich vor mich hin.
Aus dem Buch „Inghean“
Der schwarze Fürst muss seine versammelten Sklavenhorden offensichtlich bei Laune halten. Die Jagd auf mich ist eröffnet.
Der alte Mann saß in der rechten Ecke am Eingang des S-Bahnhofs, er fror unübersehbar erbärmlich. Als ich den Bettler sah, verlangsamten sich meine Schritte und ich konzentrierte mich. Aus seiner Seele schlug mir Verzweiflung in all ihren tragischen Facetten entgegen. Tief sitzender Hass grollte, Todesangst waberte erwartungsvoll dazwischen. Genug, wie grauenhaft! Mir wurde speiübel. Aus meiner Geldbörse zerrte ich das komplette Bargeld hervor und drückte es dem Bettler im Vorübergehen in seine Hände.
„Danke, mein Engel“, rief er mir Flüchtenden hinterher.
Schwer atmend landete ich in der erstbesten Boutique.
„Kann ich Ihnen behilflich sein?“ Die Verkäuferin drehte Däumchen, keine Kundschaft. Nach einem taxierenden Blick auf meine Kleidung strahlte sie mich an.
Irritiert empfing ich Signale blanker Gier. Wortlos vollzog ich die Kehrtwende und betrat als nächstes zwei Häuser weiter den vertrauten Kerzenladen.
Nachdem sich der Einkaufskorb mit diversen Kerzen und einer Packung nach Vanille duftender Teelichter gefüllt hatte, stellte ich mich zu der kleinen Schlange an der Kasse. Die Mutter vor mir schleppte eine chronische Erschöpfung mit sich herum. Kein Wunder, ihre zappelnde und quengelnde, höchstens zehn Jahre alte Tochter erwies sich als Aggressionsbündel mit Tendenz zur Shoppingsucht. Ein junges Mädchen, es bezahlte gerade sein Plüschkissen, litt nicht nur an Liebeskummer, in ihr brodelten ebenso Rachegelüste. Der Kassiererin ging es kaum besser. Wehmut, Sehnsucht und ein bitter enttäuschtes Herz, das Fass stand kurz vor dem Bersten. Sie tat mir aufrichtig leid. Solch ein liebenswertes Wesen im Innern und im krassen Gegensatz dazu ihr unattraktives Äußeres.
Da sich gleich nebenan eine Bankfiliale befand, wollte ich mir frisches Verschenkgeld besorgen. Niemand belagerte die Automatenreihe, also kam ich auf die seltene Idee, gleich noch Kontoauszüge zu holen. „Mal sehen, wie weit mein Vorsatz gediehen ist, die fünf Millionen Euro von meinem Konto sinnvoll unter die Leute zu bringen.“ Der Drucker fing zwar nicht an zu qualmen, ratterte aber gefühlt eine Viertelstunde vor sich hin.
Muss ich das wirklich noch niederschreiben? Der aktuelle Kontostand betrug glatte fünf Millionen. Das machte mich regelrecht unglücklich. „Du bist echt krank im Kopf“ , kommentierte mein Alter Ego.
Beklommen steuerte ich auf das Café vis-à-vis zu. Eigentlich zu voll besetzt für meinen Geschmack, trieb mich der Durst dennoch hinein. Eine unvorstellbare Flut aus Gefühlen und Empfindungen jeder erdenklichen Couleur brandete mir entgegen, überrollte mich, dass meine Sinne kollabierten. Irgendwie kam ich hinaus und lief in Panik fort.
Die Lichtwesen hatten meine Fähigkeit, die Gefühle von Menschen zu lesen, so absurd verstärkt, dass es mich fast um den Verstand brachte.
Hinterher konnte ich mich kaum erinnern, wie ich nach Santa Christiana gelangt war. Schluchzend brach ich neben dem Altar zusammen, gnädig sangen mich die Sternelben in tiefen Schlaf.
Als Pater Raimund gegen 23 Uhr von einem Leichenschmaus zurückkam, wobei ihn dieses Wort anekelte, durchfuhr ihn wegen des Lichts in der Kirche ein mächtiger Schreck. Zunächst Einbrecher vermutend, schlich er sich näher an die Tür. Das magische Licht verschwand. Er tastete routiniert nach dem Lichtschalter. Gelbtrübes Licht erhellte den Altarraum. Soweit auf den ersten Blick erkennbar, fehlte nichts. „Moment, sollte eventuell die junge Frau …?“ Entsetzt schnappte der Priester nach Luft, bevor er mich entschlossen an der Schulter berührte. Benommen schlug ich die Augen auf.
„Gütiger Himmel, Lilia, was tun Sie denn um diese Uhrzeit hier?“
Wahrheitsgemäß gestand ich, eingeschlafen zu sein.
„Kommen Sie, ich fahre Sie nach Hause.“
Widerspruch war zwecklos.
Eine halbe Stunde später lieferte mich Pater Raimund am Gartentor ab.
„Danke! Bis morgen.“
Er sandte leichte Verwirrung aus.
Im Gartenhaus brannte kein einziges Licht. Kein Abendessen stand auf dem Tisch, stattdessen befanden sich diverse Töpfe auf dem Herd.
„ Wo ist Elin?“
„ Sie wacht.“
„ Erst essen, dann reden.“
Leichter gesagt als umgesetzt. Wo befanden sich Besteck, Teller, Suppenkelle und ähnlich Notwendiges? Am Ende standen sämtliche Schubladen und Schranktüren offen. Fehlte noch der Wein. „Wo? Im Kühlschrank? Mist, kein Wein im Haus“, meckerte ich leise vor mich hin. „Sekunde mal, die Vorratskammer.“ Beim Anblick des gut sortierten Weinregals musste ich sofort wieder an den Bettler denken. „Im Luxus schwelgen, aber dann in deinen eigenen vier Wänden nicht auskennen“, stellte ich mich genervt in den Senkel. „Kannst du dir gleich für morgen vornehmen.“ „Was du heute kannst besorgen …“ , lästerte mein Alter Ego. „Ruhe! Essen!“
Als der Kamin und einige der erworbenen Kerzen brannten, machte ich es mir mit bereits dem zweiten Glas Rotwein auf der Couch gemütlich. „Verratet ihr mir, warum Elin immer bei Dunkelheit fortgeht?“
Die Sternelben lieferten eine genauere Auskunft, als am Ende verdaubar war: „Ihre Aufgabe ist es, über die Stadt zu wachen, damit das Böse in der Finsternis kein allzu leichtes Spiel hat.“
„ Aber was genau tut sie?“
„ Elin kämpft gegen Dämonen.“
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