1 ...7 8 9 11 12 13 ...51 Keine Spur von Elin, inzwischen herrschte draußen Dunkelheit. Vom Esstisch her duftete es verführerisch nach Tomatensuppe, meiner Leibspeise. Ein Salatteller und ein Schälchen mit Zitronencreme ergaben mein köstliches Abendessen. „Woher weiß die Elbe all diese Dinge über mich?“ , bedrängte mich abermals eine besorgte innere Stimme auf meinem Weg ins Schlafzimmer. „Hier fehlen aber noch Vorhänge oder Rollos an den Fenstern. Ach nein, sie wollen ja bestimmt wachen.“ Und damit schlief ich ein.
Aus dem Buch „Inghean“
Ahnt der schwarze Fürst die bevorstehende Rückkehr seiner ärgsten Feindin? Seine Sklaven kriechen durch die nächtlichen Straßen. Mir scheint, es werden immer mehr.
Einige Tage später befand sich mein Innenleben wieder einigermaßen im Gleichgewicht. Das Wetter tendierte in den letzten Februartagen zu matschiggrau. Hoffentlich kam bald der Frühling. Jedenfalls wollte ich an diesem Tag unbedingt Santa Christiana besuchen, die Kirche fehlte mir seltsamerweise. Seit dem Vortag stand ein funkelnagelneuer Kleinwagen in der Garage, die Sternelben wollten es so. Allerdings verspürte ich keine Lust, damit durch die Stadt zu fahren. Ein eigenes Auto hatte ich nie zuvor besessen. Wozu sollte man so was in Berlin auch benötigen, außer um unnötig viel Zeit im Stau zu vertrödeln?
Auf dem Weg zur S-Bahn ging ich im Kopf den Fragenberg durch, der sich zwischenzeitlich dank unserer stillschweigend vollzogenen Kommunikationspause angesammelt hatte.
Die Kirchentür stand offen, drinnen sah der Priester nach dem Rechten.
„Hallo, Pater Raimund“, grüßte ich ihn.
„Hallo, Lilia! Wie geht es Ihnen?“
„Gut, zumindest wenn Sie mich nicht rausschmeißen“, erwiderte ich keck.
„Um Himmels Willen, warum sollte ich.“ Er zögerte. „Hätten Sie später vielleicht Lust auf einen Kaffee, wenn Sie in der Kirche genug gefroren haben?“
„ Sag zu“ , riet elbischer Gesang.
„Gute Idee. Aber noch lieber auf Tee.“
Das Licht umarmte mich, während ich mit geschlossenen Augen horchte. Die Lichtwesen sangen mir ein Lied über die Elben aus längst vergangener Zeit vor und erinnerten mich auf diese Weise an meine Aufgabe. In den vergangenen Tagen hatte ich keinen einzigen Gedanken daran verschwendet.
Umgehend bekam ich ein ordentlich schlechtes Gewissen. „Bitte sagt mir, was ich für euch tun kann.“
Erfreut gaben sie Auskunft. „Lilia, um das Tun und Lassen der Menschen begreifen zu können, musst du ihre Gefühle und Empfindungen verstehen, ihre Seelen hören lernen.“
Statt einer Antwort schickte ich ausgiebiges Seufzen gen Himmel. Die alte Abneigung gegen Kontakte zu meinen Mitmenschen meldete sich. Tatsächlich hielt ich mich bei dieser Aufgabe für die ungeeignetste Person in ganz Berlin.
Mit großem Ernst riefen sie mich zur Ordnung. Die Sternelben hofften, ich würde rasch jene tiefgreifenden Veränderungen meiner Persönlichkeit akzeptieren und nutzen, die sie nach ihren speziellen Wünschen vorgenommen hatten. Zu mir meinten sie nun lediglich: „Dir mangelt es an Selbstvertrauen.“
„ Dann bitte ich euch darum, sonst werdet ihr nur weiter enttäuscht.“
Sie schienen besänftigt.
Also fragte ich, wie das Lernen am besten funktionieren würde – und beantwortete die dumme Frage gleich selbst. „Unter Menschen gehen, natürlich.“
Die Sternelben summten amüsiert. „Du kannst nachher bei Pater Raimund üben.“
„ Okay, das dürfte für einen ersten Versuch kaum allzu schwierig werden“ , stimmte ich erleichtert zu. Eine andere Geschichte brannte mir unter den Nägeln. „Ist Elin ganz allein hier?“
Traurig erklangen daraufhin ihre Stimmen. „Die wenigen verbliebenen Elben haben sich vor ewigen Zeiten auf eurer Erde verteilt. Sie wachen seither einsam und unsichtbar über das Böse, so gut sie es vermögen. Ihr Opfer ist unermesslich für euch.“
Mein Herz verkrampfte sich bei dieser ungeheuerlichen Vorstellung, bis mir Tränen über das Gesicht liefen. Doch bald schon würde ich mich mit grenzenlosem Zorn an ihre Antwort erinnern.
Eine weitere, nagende Frage bohrte sich hervor, obwohl ich ihre Antwort fürchtete. „Bin ich auch allein oder konnten andere Menschen ebenfalls das Buch lesen?“
„ Du bist allein. Nur weil sich das Erbe deiner Elbenahne in dir erhalten hat, erkannte dich das Buch. Wir haben lange auf dich gewartet.“
Elektrisiert richtete ich mich auf. „Ihr wusstet, dass dies alles passieren würde?“
„ Die Macht des Lichtes reicht weit.“
Aber es schützte mich nicht vor Einsamkeit. Allein unter Millionen Menschen! Todtraurig dachte ich an meine alten Freunde Peps, Emi, Phil und Suse. „Wie es ihnen wohl geht?“ Selbst wenn meine Freunde noch bei mir wären, sprang mich die Wahrheit an, könnte ich all die Ereignisse seit dem entscheidenden Besuch in Joschs Antiquariat niemals mit ihnen teilen. Sie würden mich in bester Absicht umstandslos in die Klapse einliefern. Unglücklich fügte ich mich den Tatsachen.
„ Lilia, der Priester wartet.“ Die Sternelben spendeten keinen Trost.
„ Seid ihr enttäuscht, hattet ihr mehr von mir erwartet?“
„ Wir hofften, du würdest dich Elin zuwenden.“
„ Ich …“ Elin war kein Mensch, ihr Wesen wirkte sehr fremd und einschüchternd. „… will mich bemühen“ , rang ich mich durch.
Zufrieden zog sich das Licht zurück.
Ja, zugegeben, ich glaubte ihnen damals jeden Unsinn, den sie mir auftischten. Obendrein forderte ein Teil meines Unterbewusstseins hartnäckig bedingungsloses Vertrauen gegenüber den Sternelben ein. Dabei reagierte ich normalerweise auf jede Art von einseitigen Nettigkeiten allergisch. Dumm nur, dass mein tief verankertes Misstrauen den entscheidenden Zeitpunkt für ultimativen Einspruch vergeigt hatte.
Der melodische Gong an der Tür des Pfarrhauses gefiel mir.
Pater Raimund öffnete. „Schön, dass Sie gekommen sind, der Tee ist gerade frisch aufgegossen.“
Wir gingen in ein gemütlich eingerichtetes Zimmer, halb Wohnzimmer und halb Büro, in dessen Mittelpunkt ein großer, runder Esstisch stand.
„Solange, wie Sie es in der Kirche aushalten, müssten Sie sich jedes Mal eine dicke Erkältung holen“, meinte er halb scherzhaft.
„ Komisch, mir ist nicht einmal kühl geworden.“ Das behielt ich aber schön für mich. Die Unruhe des Priesters war überdeutlich spürbar und so nickte ich ihm auffordernd zu.
„Heute Morgen erhielt ich einen Anruf unserer Buchhalterin. Sie unterrichtete mich über eine anonym eingegangene Spende für unsere neue Heizungsanlage. Sie wissen nicht rein zufällig etwas darüber?“
Ich lächelte spitzbübisch. „Das sind ja wunderbare Neuigkeiten.“
Die ausweichende Antwort interpretierte er kurzerhand als Eingeständnis. „Mir ist eine riesengroße Last von den Schultern genommen – durch einen Engel, wie mir scheint.“
Ah, jetzt kamen wir zum spannenderen Teil unseres Gesprächs. Ich genoss einen großen Schluck Tee und wartete entspannt, wie Pater Raimund die Kurve zum Licht nehmen würde.
Just in dem Moment platzte seine Haushälterin herein. „Aber Herr Pfarrer“, tadelte die mollige Endfünfzigerin, „wo ich frischen Kuchen gebacken habe. Und Sie bieten der jungen Dame nichts an.“ Wobei sie mir ein verschmitztes Lächeln zuwarf. Sie hob ihr schweres Tablett, beladen mit Kirschkuchen und Sahne, auf den Tisch. „Nun langen Sie mal kräftig zu.“
Eine Minute später waren wir wieder allein.
Während ich heißhungrig das erste Stück mit extra viel Sahne verschlang, spielte der Priester mit seiner Kuchengabel. Er rang mit sich und dem passenden Satzanfang. Noch nie hatte ich die Gefühle eines anderen Menschen so klar und überdeutlich wahrgenommen, als wären es meine eigenen.
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