1 ...8 9 10 12 13 14 ...51 „Mir ist nie zuvor die Wintersonne im Altarraum aufgefallen“, eröffnete er die Partie.
Geschickter Schachzug.
Die Sternelben kommentierten: „Er ist um die Kirche herumgegangen, um die Quelle des Lichts zu finden.“
„Mir auch nicht“, gab ich scheinheilig zurück.
Der Pater setzte nach: „Und ich glaube, ehrlich gesagt, nicht an real existierende Engel.“ „Aber Sie sehen wie einer aus“ , prangte in fetten Buchstaben auf seiner Stirn.
„ Womit soll ich ihm antworten?“ , fragte ich die unsichtbaren Dritten im Raum.
„ Versuche dich zunächst allein an der Antwort, Lilia.“
„Das scheint mir ein echtes Problem unserer Moderne zu sein. Wir sind vollkommen auf Technik fixiert und unsere Seelen verkümmern darüber.“
Höchst irritiert blickte mir Pater Raimund direkt in die Augen. Das, was er hätte aussprechen wollen, blieb ungesagt, sein Mund klappte regelrecht zu. Erschüttert schlug er die Augen nieder und stand auf.
Leise sprach ich ihn an: „Bitte, Pater, das Lernen ist doch Teil unseres Lebens. Oder?“
Hart stieß er hervor: „Glauben Sie an Gott, Lilia?“
„Nicht an Ihren Gott, nein, aber irgendwie an das Göttliche.“
Der Priester ließ sich wieder auf seinen Stuhl sinken. „Genau vor dieser Antwort habe ich mich gefürchtet.“
Mitleidig schaute ich zu ihm hinüber. „Pater Raimund, Sie sind doch keineswegs auf den Kopf gefallen. Schauen Sie, fünf große Weltreligionen binden den Glauben der meisten Menschen auf unserer Erde. Aber an was genau glauben sie eigentlich? Die jeweiligen Wurzeln betrachtet, betet jeder Gläubige das universelle Wissen über die Existenz von Gut und Böse an. Nur eben unterschiedlich verpackt.“
Verstehen erfasste seinen Geist, deshalb fuhr ich fort: „Ich halte mich an die Wurzel, viel mehr unterscheidet uns beide nicht.“
Er lachte gequält auf. „Nun ja. Ich wette, Sie erhalten von Ihrer Wurzel jene Antworten, die mir von meinem Gott verwehrt werden.“
Beinahe hätte ich ihn laut gefragt, was er denn würde wissen wollen.
Die Sternsängerinnen stoppten mich im letzten Moment: „Genug, Lilia, ihr solltet das Thema bei anderer Gelegenheit weiter besprechen.“
Auf den abrupt vollführten Themenwechsel ließ sich Pater Raimund bereitwillig ein. Also plauderten wir über die historisch äußerst wertvolle, leider hoffnungslos defekte Orgel mit ihrem einzigartigen Klang.
„ Darf ich?“
„ Bedenke dabei bitte, dass du die Kirche oft für dich allein benötigst“ , mahnten sie.
„ Da lässt sich bestimmt eine Lösung finden! Vielleicht könnten die Orgelbauer zu festgelegten Uhrzeiten in der Kirche arbeiten.“
Langsam sollte ich den Heimweg antreten, wenn ich noch in die Bank wollte. Wir verabschiedeten einander und ich versprach, bei nächster Gelegenheit wieder vorbei zu schauen.
Wer von uns beiden hatte an diesem Tag mehr Stoff zum Nachdenken bekommen?
Bevor ich mich daheim in die Badewanne sinken ließ, schaute ich in den Spiegel. „Warum hatte der Priester heute derart geschockt auf meine Augen reagiert?“ Mich näher zum Spiegel beugend, bemerkte ich die Veränderung. „Wann ist das denn passiert?“ Meine blauen Augen wirkten alt. Nicht trüb wie bei alten Menschen, vielmehr wie durchdrungen von tiefen Erinnerungen und Lehren der Weisheit. Der Kontrast zu meinem jungen Gesicht konnte kaum größer ausfallen. Kein Mensch besaß einen solchen Blick. „Elin, ja, ähnlich den Augen der Elbe.“ Die Sternelben hatten Recht, ich sollte mit ihr reden. Möglicherweise fanden wir doch einige Gemeinsamkeiten. Aber für heute war mein Limit erreicht. „Schluss, aus, Schaumbad.“
Ein opulentes Frühstück erwartete mich am nächsten Morgen bereits auf dem Küchentisch: Croissant, Zimtquark mit frischem Obst, Crêpe, Orangensaft und eine Kanne starker schwarzer Tee. Nach dem Bad am gestrigen Abend war ich so erschöpft gewesen, dass das Abendessen schlicht in Vergessenheit geriet. Heißhungrig verspeiste ich nun die Mahlzeit bis zum letzten Krümel.
Bei einer weiteren Tasse Tee überlegte ich, wo Elin wohl steckte.
Prompt erschien ihr Kopf in der Tür zum Wintergarten. „Ich habe mich um deine Pflanzen gekümmert.“
„ Aber die können seit meinem gestrigen Gießen doch unmöglich schon ausgetrocknet sein.“
Ihr ganzes elbisches Tun schüchterte mich ein. Um die Wahrheit zu sagen, begriff ich von all dem eine große Null. Vielleicht der springende Punkt zwischen uns. „Allerhöchste Zeit für Elbenunterricht“ , mahnte mein Gewissen. „Bitte, Elin, erzähle mir von dir und den Elben.“
Na also, der Anfang war geschafft.
„ Weißt du, warum deine Kleidung in weiß und blau gehalten ist?“
Wie freundlich von ihr, sie erinnerte mich an eine weitere ungeklärte Frage. „Da müsste ich raten“ , gab ich zu. „Vielleicht weiß für die Reinheit und blau, hmmh, blau für den Himmel. Nein, weiß für das Licht.“
„ Beides, Reinheit und Licht, und richtig, Blau steht für das Firmament“ , bestätigte sie.
„ Aber was spricht gegen die anderen Farben?“ , begehrte ich zu wissen.
„ Überleg selbst“ , forderte Elin mich auf.
„ Okay, schwarz ist finster und deshalb gestrichen, rot gilt als aggressiv, braun finde ich schrecklich. Was ist mit grün?“
„ Ganz einfach, es passt nicht zu deinen Augen“ , schmunzelte die Elbe.
Langsam entspannte ich mich, zudem bereitete mir unser Kopfgespräch kaum mehr Mühe.
„ Aber im Ernst“ , fügte sie an, „sollen die gewählten Farben dein Schicksal symbolisieren. Du stammst von uns ab, dein Weg wird für sämtliche Elben von größter Bedeutung sein.“
Instinktiv wusste ich, zu diesem Punkt würde sie keine Fragen zulassen. „Der Fragenberg wächst grundsätzlich schneller als das Häuflein magerer Antworten“ , stellte ich zum x-ten Mal frustriert fest.
„ Geduld, Lilia. Immer nur so viel, wie es deinen Fortschritten entspricht.“
„ Bin ich dermaßen langsam?“ Schnelligkeit gehörte eben nie zu meinen herausragenden Eigenschaften.
„ Keineswegs, wenn du deine eigenen Stolpersteine aus dem Weg räumst, lernst du hervorragend.“
Nebenbei „organisierte“ Elin frischen Tee. Ein guter Übergang für die nächste offene Frage, bei der ich mir allerdings reichlich albern vorkam. „Tust du etwas Ähnliches wie Magie, so wie Zauberei im Märchen?“
„ Daran ist gar nichts Geheimnisvolles, du siehst lediglich die gebündelte Macht des Lichts.“
Ihre Antwort klang so lapidar, als hätte ich nach ihrem neuen Strickmuster gefragt.
„ Heißt das, ich kann auch … wie nennst du es?“
„ Dafür existiert keine Entsprechung in eurer Sprache. Doch die Menschen nannten unsere Fähigkeiten vor ewigen Zeiten tatsächlich Magie oder Zauber.“
Das fand ich irgendwie enttäuschend.
„ Möchtest du es lernen?“
Die Frage kam absolut unerwartet.
„Ja, bitte!“ Vor Begeisterung wusste ich kaum wohin mit mir.
Zum ersten Mal lachte Elin.
Die nächsten Stunden vergingen wie im Flug. Höchst konzentriert versuchte ich, mittels Geisteskraft einfache Dinge zu bewegen. Nachdem mein Frühstücksteller in Trümmern auf den Fliesen lag, was ich als tollen Erfolg bejubelte, stieg ich auf den Scheuerschwamm, die Spülbürste und andere unkaputtbare Utensilien um. Elin amüsierte sich königlich, was ich beinahe noch schöner fand als die mäßig erfolgreichen Flugversuche.
„ Himmel, wie anstrengend!“ Der Schweiß rann mir aus sämtlichen Poren. Erst als mein Magen so laut knurrte, dass stures Ignorieren zwecklos wurde, beendeten wir unser Treiben.
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