Celeste lag in ihrem Bett und streckte sich.
Oh mein Gott, wo bin ich hier gelandet? Geht der Traum nun wirklich so weiter? Ist das, bin ich nun in dieser Frau? Kann sie mich hören? Hallo, ... ähm ... Hallo, Celeste?
Wie Herr Gutermann beschrieben hatte, konnte Manuel im Körper von Celeste Mamani zwar klar denken und bekam alles mit. Eingreifen in das Geschehen konnte er aber nicht. Er versuchte es natürlich, hob seinen Arm, hob sein Bein, schüttelte mit dem Kopf, schrie laut. Celestes Aktionen wurden davon nicht gelenkt oder beeinflusst. Er fühlte sich so machtlos wie noch nie. Das einzige, was ihn in der Situation zumindest etwas beruhigte war der feste Glaube daran, in einem Traum festzustecken. Irgendwann würde er schon aufwachen. Und solange musste er das Spiel mitmachen. Und Celeste sein.
So sah er zu, wie sie sich nackt aus dem Bett schälte – das fand er noch ganz amüsant –, er begleitete sie zur Morgentoilette und beim Duschen und bekam einen Einblick in ihre tägliche Routine, Pachamama, Mutter Erde, für ihr Leben zu danken.
Manuel brauchte mehr als zwei Stunden, um sich seiner ausweglosen Lage hinzugeben. Er versicherte sich weiterhin, in einem Traum zu stecken und beobachtete dann aufmerksam, wie Celestes Leben so verlief. Immerhin könnte es laut Herrn Gutermann bald sein Leben sein.
Celeste stand gerade auf den Treppen vor ihrem Haus und atmete tief ein. Manuel spürte die frische, saubere Bergluft in Celestes Lungen. Sie streckte sich noch etwas und blickte dann hinüber zur Kapelle. Von dort lief ein Mann geradewegs auf sie zu und winkte ihr.
»Guten Morgen, Celeste. Bist du schon lange wach?«
»Guten Morgen, Evo. Ich bin mit der Sonne aufgestanden, ich schätze mal vor rund drei Stunden. Heute wird ein anstrengender Tag. Wohin bist du unterwegs?«
»Runter zum Fluss, ich will angeln. Hast du heute Termine? Schade, ich hatte gehofft, dass du mich begleitest. Ich sehe dich kaum noch. Geht es dir gut?«
»Aber ja, Evo. Mir geht es sehr gut. Dank Pachamama. Ich kann dich ein Stück begleiten, ich muss zum Bürgermeister und da kann ich auch am linken Flussarm entlanglaufen.
Da willst du doch sicher angeln, oder? An deiner Lieblingsstelle. Wo die Fische immer ein Stück größer sind als im rechten Arm.«
Celeste warf ihre langen braunen Haare nach hinten und lachte laut. Evo, ihr ältester Freund, grinste sie an.
»Du kennst mich zu gut, Celeste. Und es stimmt wirklich: Erst letzte Woche habe ich einen viel größeren Fisch als mein Bruder geangelt. Und der war zeitgleich am rechten Arm. Was machst du bei Felipe? Willst du ihm die Leviten lesen?«
Evo wusste, dass Celeste das konnte. Und dass sie das auch schon des Öfteren getan hatte.
»Nein nein, er begleitet mich, also ich begleite ihn zu einem Interview mit einem Fernsehsender. Die Reporter kommen extra aus Santa Cruz hierher. Felipe wird etwas zu den Gesetzen sagen und ich bin für inhaltliche Fragen rund um das Schutzgebiet dabei. Sie finden die Kombination aus Umweltschutz und Tourismus spannend und für unser Projekt können wir jede laute und einflussreiche Stimme gut gebrauchen.«
In Celestes Augen blitzte es auf. Sie wirkte kämpferisch, entschlossen. Auch Manuel bekam das mit. Er fühlte einen deutlich stärkeren Energiefluss in Celestes Körper als er es jemals bei sich selbst gespürt hatte.
»Wollen wir los?«
»Gern.«
Celeste griff nach ihrem Handy, steckte ihren Hausschlüssel in die Tasche und folgte Evo auf die Dorfstraße hinaus.
»Es ist schön, dass wir uns sehen. Ich hoffe aber, dass du nicht an meinem Haus vorbeigekommen bist, weil du Angst um mich hast?«
Evo blickte zu Celeste rüber, während sie nebeneinander die Straße entlangliefen.
»Angst? Nein, das nicht. Aber ich sorge mich natürlich trotzdem um dich. Die Geschichte vor drei Wochen will nicht aus meinem Kopf.«
»Evo, lass gut sein. Heute ist doch so ein schöner Tag und ich will keine schlechten Gefühle. Sonst fängst du keinen Fisch und ich vermassle das Interview. Also, wie geht es deinen Eltern? Und Bartolina?«
Celestes positive Einstellung fand Evo immer schon beeindruckend. Es gab eine Zeit, da war er von ihr nicht nur beeindruckt gewesen. Aber die Zeit war lange vorbei.
Sie hatte ihm damals klargemacht, dass sie keine Zeit für Liebeleien oder dergleichen hatte und dass er doch lieber mit der kleinen Bartolina aus der Nachbarstraße ausgehen sollte. Sie wäre in ihn regelrecht verschossen und auch in einem passenden Alter, um irgendwann seine Frau zu werden und ihm Kinder zu gebären. Nach langem Hin und Her war Evo ihrem Rat gefolgt.
Seitdem waren sie wieder nur sehr enge Freunde.
»Allen geht es gut, danke. Bartolina wird meiner Mutter immer ähnlicher. Das kann gut, aber auch schlecht sein. Wir werden sehen. Nun gehe ich aber erst einmal angeln. Und wie läuft dein Projekt am Fluss? Das ist schon das, worüber du mit dem Sender sprechen wirst, oder?«
»Ja, genau. Wir können bald damit beginnen, denke ich.
Evo, ich bin schon sehr aufgeregt. Wenn der Sender die Informationen landesweit ausstrahlt, ist das ein Sieg auf ganzer Linie. Ich werde berichten. Soll ich morgen mal zu euch kommen? Ich kann mein berühmtes Pique Macho mitbringen, was sagst du? Das magst du doch so gern.«
Was reden die denn hier? Pique Macho? Ich kenne nur Machu Picchu. Bartolina? Und was denn für ein Projekt?
Manuels Neugierde war geweckt. Als stiller und passiver Beobachter konnte er aber nichts weiter tun, als still und passiv zu beobachten. Er war positiv überrascht, dass Herr Gutermanns Spiel so gut angelaufen war.
»Das klingt fabelhaft, Celeste! Gegen Mittag würde es uns gut passen.«
Celeste nickte Evo zu.
Dann liefen sie die nächsten fünf Minuten wortlos nebeneinander her. An einer Stelle am Fluss, wo das Gras schon stark zertrampelt war, verabschiedeten sich die beiden und Evo begann sogleich, seinen Rucksack mit den Angelutensilien auszupacken. Celeste sah noch zwei Mal zu ihrem Freund zurück und lief dann schneller zum Haus am Hang.
Dort residierte Felipe, ein ehemaliger Lehrer von Celeste und Evo und mittlerweile Bürgermeister von Agua Huta. Er war im Großen und Ganzen eine gute Besetzung für das Dorfoberhaupt, auch wenn er sich gelegentlich den ein oder anderen Patzer erlaubte oder auch mal konträre Positionen zu Celeste vertrat. Direkt vor dem Haus des Bürgermeisters stand auch schon ein Kastenwagen des Fernsehsenders aus Santa Cruz. Celeste eilte zur offenen Haustür und trat ein. Im Salon fand sie den Bürgermeister, dessen Frau und das Kamerateam samt Reporter vor.
»Guten Tag in die Runde. Entschuldigt bitte, dass ich etwas spät bin. Ich bin vom Dorf hierhergelaufen und habe den Weg unterschätzt.«
» Celeste! Das ist kein Problem. Wir haben gerade erst begonnen, das Interview vorzubesprechen.«
Felipe winkte Celeste zu sich her.
»Das hier ist Luis Arroy, der Reporter. Herr Arroy, Celeste Mamani. Unser Star, unser Motor.«
»Guten Tag, Frau Mamani. Ich freue mich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen. Wissen Sie, in Santa Cruz sind Sie ja schon recht bekannt. Dank Ihrer ganzen Initiativen.
Kontrovers, sicher. Aber auch erfolgreich, nicht wahr?«
»Guten Tag, Herr Arroy. Sie meinen das in Oruro? Das war wirklich genial, wenn ich das mal so sagen darf. Aber wir sprechen doch heute über das Proyeto Caluyo , oder?«
»Jaja, aber natürlich. Trotzdem ist es immer nett, zu Beginn des Interviews einen guten Aufhänger zu haben. Wenn Sie erlauben, würde ich Sie zu Beginn in einigen wenigen Sätzen vorstellen, etwas von Ihren vergangenen Aktionen erzählen und dann können wir zu Ihrem neuen Projekt sprechen. Der Herr Bürgermeister hat dem Ablauf schon zugestimmt, Sie doch hoffentlich auch?«
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