Fabian Fischer - Wie sieben Jahre Regenwetter

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"Der Blitz schlägt nicht zweimal an derselben Stelle ein".
Der Roman Wie sieben Jahre Regenwetter beschreibt in zwei miteinander verwobenen Erzählsträngen die Schicksale zweier Familien, die sich über unterschiedliche Zeiträume hinweg in einer deutschen Kleinstadt einfinden. Der Fokus liegt dabei auf ihrem schwierigen Ankommen in einem alteingesessenen, «deutschen» Umfeld. «Der Blitz schlägt nicht zweimal an derselben Stelle ein»? In dieser Kleinstadt trifft das nicht zu.
Marta und Sepp Opitz mussten 1957 – schweren Herzens, schwanger und zusammen mit Martas Mutter – aufgrund von Schikanen und Anfeindungen ihre mittlerweile polnisch verwaltete Heimat in Oberschlesien verlassen. Sie ziehen in eine Kleinstadt in Westdeutschland, in die Nähe von Martas Bruder Günter. Die Vorfreude auf Ruhe und eine harmonische Nachbarschaft wird allerdings bereits kurze Zeit später zerstört. Nachbarn beschimpfen, mustern und beobachten sie. Gespräche bleiben meist oberflächlich. Offenere Nachbarn haben resigniert und treten kaum in Erscheinung.
Die Familie zieht sich in die eigenen vier Wände und den Garten zurück und verhält sich fortan neutral und unauffällig.
Das Vorgehen scheint zu funktionieren, bis 2013 Familie Fakhry aus Syrien in das leer stehende Haus direkt neben Familie Opitz einzieht. Die rechte und ausländerfeindliche Gesinnung mancher Nachbarn kommt erneut zum Vorschein, was sogar in einer Straftat resultiert.
Familie Opitz wird aus ihrer Neutralität gezogen. Dieses Mal schweigen sie aber nicht mehr. Sie entscheiden sich – auch, da sich nichts am Bild mancher Nachbarn ihnen gegenüber geändert hat – dazu, aufzustehen und für eine offenere Gesellschaft einzutreten.

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Impressum

Texte: © 2021 Copyright by Fabian Fischer

Umschlag: © 2021 Copyright by Fabian Fischer

Verantwortlich

für den Inhalt: Fabian Fischer, Niddagaustraße 54, 60489 Frankfurt am Main, fabianfischer.autor@gmail.com

Druck: epubli – ein Service der Neopubli GmbH, Berlin

Über den Autor

Seit 2015 wohne und arbeite ich in Frankfurt am Main. Als studierter Orientalist und Kulturgeograph mit Schwerpunkt Entwicklungsforschung und politischer Geographie bin ich als Autor ein klassischer Quereinsteiger.

Die Idee, einen Roman zu schreiben, hatte ich schon länger. Die Zeit, ihn zu Papier zu bringen, allerdings nicht. Geschrieben habe ich zwar schon immer gerne, allerdings ging das nie über ein paar Seiten hinaus.

Wie sieben Jahre Regenwetterist mein erster Roman.

Im ersten Corona-Lockdown 2020 habe ich gemerkt, dass ich ein Ventil brauche, um mich sinnvoll und kreativ zu beschäftigen.

Nun hatte ich auch die Zeit, um mich diesem Projekt zu widmen.

Es hat mir wahnsinnig viel Freude bereitet, meine Gedanken und auch meine Erinnerungen niederzuschreiben. Denn in meinem Roman verwebe ich reale Ereignisse meiner Familie mütterlichseits und fiktive Situationen, die so oder auch anders passiert sein können.

Ich habe den Roman auch in der Hoffnung geschrieben, dass man aus der Geschichte lernt und sich manche Ereignisse nicht mehr wiederholen.

Widmung und Danksagung

Für alle, die irgendwo ankommen möchten.

Mein Dank geht an Timo, Mareike, Chrissi und Judith.

Glossar

Ahle Gake – Alte Gans (schles.)

Blödok – Blödmann (schles.)

Bytomska – Beuthener Straße

Dobry dzień – Guten Tag (poln.)

Do widzenia! – Auf Wiedersehen (poln.)

Hackfleischgulasch – Bolognese-Soße (schles.)

Halawa – Süßigkeit (arab.)

Krewatschlich – unordentlich, schräg (schles.)

Jeronje – Oh Gott, ach herrje (schles.)

Ma'amoul – Syrische Süßspeise (arab.)

Mostrich – Senf (schles.)

Newahrnein? – oder? (schles.)

Nudelkulle – Nudelholz (schles.)

Plotsch – Tölpel (schles.)

Poproszę chleb żytni – Ein Roggenbrot, bitte (poln.)

Renftel – Endstück eines Brotes (schles.)

Ritsche – Schemel (schles.)

Stickel – Stückchen (schles.)

Sträselkucha – Streuselkuchen (schles.)

Tamam – In Ordnung, klar! (arab.)

Eine Kleinstadt in Deutschland

Eine Kleinstadt in Deutschland.

Sie liegt im Westen, Osten, Norden oder Süden.

Auch eine Lage im Landeszentrum wäre denkbar.

Ihr Name endet auf -heim, -burg, -stadt, -ingen oder -furt.

Sie breitet sich vor einem Pass aus. Wird durch einen Fluss durchschnitten. Vielleicht wurde sie auch im Mittelalter an zwei sich kreuzenden Handelsstraßen gegründet.

Kulturelle Unterschiede zeigen sich nur beim genaueren Hinsehen: Wurden die Häuser als Fachwerk errichtet? Ziehen sich elegante Klinkerbauten die Straßen entlang? Und tragen die Dächer Schindeln oder sind sie mit Reet gedeckt?

Natürlich lassen sich weitere Unterschiede beim Zuhören feststellen: Icke oder ich? Meines oder mir? Hasch oder Hast du?

Das alles ist für die Geschichte aber irrelevant.

Es ist eine Kleinstadt in Deutschland.

Die Kleinstadt besteht aus Altbauten und Häusern im Bauhausstil. Zwischendrin finden sich unattraktive Zweckbauten, bedingt durch die Zerstörungen durch Feuerstürme, Artilleriebeschuss und Sprengungen im Zweiten Weltkrieg.

Die Viertel im Zentrum wirken wie wild gewachsen. Die Straßen sind teilweise gepflastert und treffen in keinem rechten Winkel aufeinander.

Hinter den in der napoleonischen Besatzungszeit geschliffenen Stadtmauern erstrecken sich Viertel wie auf dem Reißbrett entstanden: Zweigeschossige barocke oder klassizistische Gebäude an breiten Straßen. Kleine Kanäle. Alleen. Vier- bis fünfgeschossige Blöcke des Historismus. Mit begrünten Innenhöfen und einem Kastanien- oder Lindenbaum in der Mitte.

Klare Strukturen und Symmetrie, wohin man schaut.

Über die Stadt verteilt gibt es Kirchen, Moscheen und Tempel. Friedhöfe und Parkhäuser.

Einen Skaterpark und viele Eisdielen mit klangvollen Namen wie Cortina, Venezia oder Stromboli.

Und je mehr man die Innenstadt verlässt, trifft man auf langgestreckte Parkflächen, Hochhäuser der 70er Jahre und Industriegebäude.

Das alles ist für die Geschichte aber irrelevant.

Es ist eine Kleinstadt in Deutschland.

Die Kleinstadt wirkt friedlich und unaufgeregt: morgens fährt die Müllabfuhr durch die Gassen, die Lichter der Straßenlampen werden gelöscht und im Anschluss, gegen 6:30 Uhr, setzt der Pendelverkehr ein.

Dann rollen wahre Autokolonnen in die Stadt und verstopfen die Zugangsstraßen. Links und rechts hupt es, die Luft riecht nach Benzin. Aus den Bussen strömen Menschenmassen in Anzügen, T-Shirts und Blaumännern.

Glücklich schätzen sich dann diejenigen, deren Arbeitsort fußläufig zu erreichen ist oder sich außerhalb der Stadt befindet.

In den Mittagspausen werden die Bistros, Imbissstuben und Restaurants überrannt, die Gäste bestellen Eiernudeln, Döner oder Tagliatelle al Salmone.

Die Stadt wird lauter.

Es wird viel gescherzt und gelacht. Und einige Deals verhandelt. Schnell die Katze daheim gefüttert oder zur Post geeilt.

Nachdem der Arbeitstag zu Ende gegangen ist, setzen sich die Autokolonnen wieder in Bewegung und verlassen die Stadt. Zurück bleiben die Einwohner. Dann wird die Stadt wieder leiser. Es gibt Abendbrot oder Reste vom Wochenende, die Tagesschau läuft im Fernsehen.

Am späten Abend gehen die Straßenlampen wieder an und die Stadt versinkt allmählich im Schlaf.

Das alles wirkt friedlich, ungefährlich. Sicher auch etwas eingefahren und spießig, aber vor Spießern muss man sich nicht in Acht nehmen. Oder?

Wie so oft versteht man Situationen und Hintergründe erst dann, wenn man ein bisschen an der Oberfläche kratzt. Wenn man sich auf etwas fokussiert. Wenn man Schicht um Schicht abschöpft. Und wenn man dann direkt in den Kern des Ganzen reinzoomt. So wie nun.

Wir sind in einer Kleinstadt in Deutschland, genauer:

Im Birkenweg 20.

Birkenweg – 14. Juni 2013

» Jeronje , so ein Mistwetter. Wieso fängt es ausgerechnet dann zu regnen an, wenn ich zum Kiosk will? Na, bleibe ich eben hier.« Sepp wirkte genervt. Er hatte sich schon darauf gefreut, seine zwei ehemaligen Arbeitskollegen Peter und Lothar zu sehen. Geredet hätten sie zwar – wie jeden Freitagabend – nicht sonderlich viel. Sie hätten gemeinsam einen Lottoschein ausgefüllt und dabei stets kurz darum gerangelt, wessen Geburtstagszahlen in der Auswahl auftauchen dürften. Und sie hätten auf die Abgabe des Scheins und den nun zu erwartenden Millionengewinn angestoßen. Natürlich hätten sie auch über die guten alten Zeiten bei NKW gesprochen, den Nederlandse Kunststoffen Werken. Wobei NKW nicht immer NKW war. Als die drei dort noch gearbeitet hatten, hieß die Firma LGC, Liebermann-Grundel-Compagnie. Verkauft an einen ausländischen Investor. Lange, nachdem die drei in den Ruhestand gegangen waren. Außenstehenden ergab sich dann hier am Kiosk ein wiederkehrendes Bild, denn es wurde immer über dieselben Themen bei LGC geredet: angefangen bei den Erlebnissen, die Sepp zu Beginn seiner Arbeitsaufnahme in den 50er Jahren mit den anderen Kollegen gemacht hatte, über die vollen Auftragsbücher und dadurch gut gefüllten Konten der Mitarbeiter bis hin zum bundesweit bekannt gewordenen Schmiergeldskandal mit der UdSSR in den 70er Jahren. Letzterer Fall – und nicht die Aufdeckung von Journalisten 15 Jahre zuvor, dass LGC in großem Stil Kriegsgefangene aus einem KZ-Außenlager bei sich hatte arbeiten lassen – hatte dazu geführt, dass die Firma immer mehr Aufträge verlor und schließlich, kurz vor der Pleite Ende der 80er Jahre, durch die Mutterfirma von NKW, einem Mischkonzern mit Sitz in Utrecht, übernommen wurde. Bevor sie sich auf den Weg nach Hause machten, stießen Sepp, Peter und Lothar stets ein letztes Mal an und leerten die halbvollen Gläser in einem Zug. Dabei beglückwünschten sie sich gegenseitig zur Tatsache, bereits vor diesen turbulenten Zeiten aus dem Unternehmen ausgeschieden zu sein. Heute passierte das alles aber nicht, denn es regnete in Strömen und die drei blieben zu Hause.

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