Marie Louise Fischer
SAGA Egmont
Regina Rau, 18 Jahre
Genehmigte eBook Ausgabe für Lindhardt og Ringhof Forlag A/S
Copyright © 2017 by Erbengemeinschaft Fischer-Kernmayr, ( www.marielouisefischer.de)
represented by AVA international GmbH, Germany ( www.ava-international.de)
Originally published 1967 by F. Schneider, Germany
All rights reserved
ISBN: 9788711718407
1. Ebook-Auflage, 2017
Format: EPUB 3.0
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»Angeklagte, bekennen Sie sich schuldig?«
Regine Rau zuckt zusammen. Die harte Stimme des Richters trifft sie wie ein Peitschenhieb. Sie muß tief Atem holen, um das Entsetzen, das sie plötzlich zu überwältigen droht, niederzukämpfen.
Atemlose, erwartungsvolle Stille herrscht im großen Saal des Schwurgerichts, der bis auf den letzten Platz besetzt ist. Kopf an Kopf sitzen sie, die Frauen, Mädchen und Männer. Sie starren mit gierigen, sensationslüsternen Augen auf die Angeklagte Regine Rau, die sehr blaß und sehr klein in den Schranken der Anklagebank steht. Sie hat die Hände um das braune Holz geklammert, ihre blutleeren Lippen zittern kaum merklich.
Endlich findet sie die Kraft zur Antwort. »Ja!« sagt sie leise, aber bestimmt.
Ein Raunen geht durch das Publikum, das fast wie ein Stöhnen ist. Macht sich Abscheu Luft über die Tat der Angeklagten? Empörung über ihre Unverfrorenheit? Bewunderung, daß sie sich zu ihrer Schuld bekennt? Oder Enttäuschung darüber, daß sie es anscheinend dem Gericht so leicht machen will und das Publikum und die Presse damit um den Genuß des Katz-und-Maus-Spiels bringt?
Dr. Beermann, der Rechtsanwalt der Angeklagten, ist aufgesprungen und redet leise und eindringlich auf sie ein, doch sie schüttelt nur immer wieder stumm, aber energisch, den Kopf.
»Sie hatten also die Absicht, Frau Herta Faber, die geschiedene Frau Ihres Chefs, zu töten?« fragte sie der Richter, Landgerichtsdirektor Dr. Winkler, weiter.
»Ja.«
»Und warum?«
Die Angeklagte antwortet nicht, man sieht, daß sie die Zähne aufeinanderbeißt.
»Haßten Sie die Frau Ihres Chefs?«
»Ja«, gibt Regine Rau zu, ihre Stimme ist tonlos.
»Sie waren eifersüchtig?«
»Nein, nein, das nicht!«
»Warum haßten Sie Frau Faber dann?«
Die Angeklagte schweigt.
»Oder … hat Sie jemand zu dieser Tat angestiftet?« stößt Landgerichtsdirekter Dr. Winkler zu.
»Nein! Niemand! Nein!« Die Stimme der Angeklagten hat plötzlich Kraft.
Der Richter hält die Hände vor den Mund. Er verbirgt damit ein Lächeln, ein böses Lächeln.
»Wann waren Sie zuletzt mit Ihrem Chef zusammen … vor der Tat?« fragte er scharf.
»Ich … ich weiß nicht mehr«, murmelt die Angeklagte.
»Aber wir können es Ihnen sagen. Ihr Chef, Peter Faber, hat Sie am Morgen der Tat aufgesucht. Wir haben Zeugen dafür, daß er sich in einem äußerst erregten Zustand befand. Geben Sie das zu … oder wollen Sie sich nicht mehr erinnern?«
Die Angeklagte bleibt stumm.
»Ich habe Sie etwas gefragt!« donnert der Landgerichtsdirektor.
»Ich … warum quälen Sie mich so?!« bricht es aus der Angeklagten. »Warum müssen Sie mich so quälen!? Ich habe ja alles zugegeben … ja, ich wollte Frau Faber töten! Ich weiß, daß Sie mich bestrafen müssen! Ich nehme jede Strafe an … verurteilen Sie mich! Aber … quälen Sie mich nicht so!«
Die Geschworenen, zwei Frauen und vier Männer, die links und rechts von den beiden Beisitzern auf der Richterbank sitzen, sind betroffen. Sie bewegen sich unruhig, wechseln Blicke untereinander.
Dr. Winkler räuspert sich. »Angeklagte«, sagt er, und es ist deutlich zu spüren, daß er den harten Klang seiner Stimme zu mildern sucht, »Angeklagte, wir wollen Sie ja nicht quälen! Das Gericht ist nicht nur deshalb zusammengetreten, um Sie zu verurteilen. Es ist vielmehr unsere Pflicht, die Hintergründe Ihrer Tat aufzuhellen, damit wir ein gerechtes Urteil finden können. Sie würden nicht nur uns, Sie würden auch sich selbst helfen, wenn Sie offen sprechen wollten.«
Niemand ahnt, wie schwer es dem Richter fällt, sich zu einem freundlichen Ton zu zwingen. Er hält nichts von Frauenliebe und nichts von Frauentreue. Er hat Grund dazu, er hat eine bittere Enttäuschung erlebt. Seine Braut, die er aufrichtig liebte, hat ihn mit einem Studienfreund betrogen. Seitdem haßt und verachtet er die Frauen und läßt es sie entgelten — alle Frauen, und besonders die eigene, die er später kennengelernt und geheiratet hat.
»Angeklagte«, sagt er mit beherrschter Stimme, »erzählen Sie uns, wie und warum es zu dieser Tat gekommen ist!«
»Ich kann nicht«, flüstert Regine, »ich kann es nicht!«
Draußen auf dem Gang warten die Zeugen auf ihren Aufruf.
Frau Herta Faber sitzt auf der harten Holzbank wie auf einem Ehrenthron. Sie hat die langen, schlanken Beine übereinandergeschlagen, schimmerndes Blondhaar quillt unter dem breiten Rand ihres Hutes hervor, das schwarze, elegante Kostüm betont die Linien ihrer Figur. Ohne mit der Wimper zu zucken hält sie den neugierigen, zudringlichen Blicken der Vorübergehenden stand. Sie genießt es, endlich einmal wieder im Mittelpunkt zu stehen, wartet voll freudiger Erregung auf ihren Auftritt im Schwurgerichtssaal.
Sie öffnet mit nervösen Fingern, deren Nägel lang, sehr gepflegt und blutrot lackiert sind, ihre schwarze Krokodilledertasche, zieht ein goldenes Zigarettenetui heraus, läßt es aufspringen — da fällt ein dunkler Schatten auf sie.
Herta Faber blickt auf, schrickt zusammen, das goldene Etui entgleitet ihren zitternden Händen und schlägt mit klirrendem Knall auf den Boden.
»Peter …!«
Peter Faber bückt sich, hebt das Etui auf und reicht es ihr mit einer ironischen Verbeugung. »Ja, ich bin es.«
Herta Faber hat sich immer noch nicht von ihrem Schrecken erholt. »Wie … wie kommst du hierher?« stottert sie.
»Ich bin als Zeuge geladen … genau wie du! Ich begreife nicht, wieso dich das überrascht.«
»Ich … oh, bitte, Peter, schau mich nicht so an!«
Er zuckt die breiten Schultern. »Du hast es doch immer geliebt, angestarrt zu werden.«
»Was willst du von mir, Peter? Ich … ich habe Angst! Bitte, geh weg, bitte! Du weißt, mein Herz verträgt keine Aufregungen!«
»Beruhige dich, Herta, nur kein Theater. Ich werde dir kein Härchen krümmen.«
»Wolltest du, daß … diese Person mich tötet?«
»Nein.«
Hertas Augen leuchten triumphierend auf. »Ich habe es ja gewußt.«
Er blickte auf sie herab und in seinen dunklen Augen ist ein seltsamer Ausdruck, den sie vergeblich zu deuten versucht. »Nicht Regine sollte dich töten«, sagt er langsam, jedes Wort betonend, »hör gut zu, Herta … ich selbst wollte es tun!«
»Nein! Nein, Peter, das ist nicht wahr! Ich habe dir doch nichts getan!«
»Du mir nichts getan?« Er richtet sich auf, sein sehr männliches, kantiges Gesicht verzerrt sich. »Mein Leben hast du zerstört, Regines Leben hast du zerstört … Heidi hast du gequält, geschlagen und aus dem Haus gejagt! Nichts getan, sagst du!« Peter Faber lacht, es ist ein unheimliches Lachen.
»Ich habe Angst«, wimmert Herta Faber, »Peter, ich habe Angst!«
»Vor mir?« Wann hättest du je Angst vor mir gehabt! Ich war in deinen Augen ja immer nur ein Schwächling, und ich glaube jetzt selbst, daß ich ein Schwächling bin. Ja, du hast Angst gehabt, Angst vor der Einsamkeit. Du hast Angst gehabt, daß du eines Tages niemanden mehr blenden, niemanden mehr tyrannisieren, daß du deine Macht über deine Mitmenschen verlieren könntest … davor hast du Angst gehabt! Und mich hast du es entgelten lassen. Immer war ich der Schuldige, und ich habe mich nicht dagegen gewehrt. Warum? Weil ich eitel war, weil ich dumm war, weil ich ein Schwächling war — und bin!«
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