Marie Louise Fischer
Das gefährliche Leben der Monika Berg
Saga Egmont
Das gefährliche Leben der Monika Berg
Genehmigte eBook Ausgabe für Lindhardt og Ringhof A/S
Copyright © 2017 by Erbengemeinschaft Fischer-Kernmayr, (www.marielouisefischer.de)
represented by AVA international GmbH, Germany (www.ava-international.de)
Originally published 1976 by Lübbe Verlag, Germany
All rights reserved
ISBN: 9788711718469
1. Ebook-Auflage, 2017
Format: EPUB 3.0
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Gestem war meine erste Jugendschutzstreife. War ich aufgeregt? Sehr. Es bedeutete soviel für mich. Mehr noch als meine bestandenen Prüfungen, mehr als meine Einführung ins Amt. Es war sozusagen meine Feuertaufe. Es kommt mir vor, als wenn ich erst seit gestern richtig dabei wäre.
Selbstverständlich habe ich es mir nicht anmerken lassen. Ich weiß von der Polizeischule her, daß die männlichen Kollegen eine Frau am liebsten nicht ernst nehmen möchten. Andere haben Angst, wir könnten sie überrunden. Eine weibliche Vorgesetzte zu kriegen, das ist ihr Alptraum. Na ja. Wahrscheinlich nicht nur bei der Polizei. Man muß sich hier besonders zusammenreißen und darf sich keine Blöße geben.
Deshalb habe ich mir auch lange überlegt, was ich anziehen sollte. Mein Hosenanzug wäre am praktischsten gewesen, hätte aber möglicherweise zu emanzipiert gewirkt. Man kann nie wissen. Deshalb habe ich mein braunes Gabardinekostüm gewählt, darunter eine hellgrüne Polobluse, braune Sportschuhe, braune Umhängetasche — auf den Regenschirm habe ich verzichtet, obwohl es nach Regen aussah. Der hätte womöglich wieder zu weiblich ausgesehen. Mëin dunkles Haar habe ich mir im Nacken mit einer Spange zusammengesteckt.
Als ich einen letzten Blick in den Taschenspiegel warf, bevor ich aus meinem kleinen Auto stieg — ich hatte mit viel Glück einen Parkplatz in der Damenstiftstraße gefunden —, war ich mit meinem Aussehen zufrieden. Ich wirkte zwar ein bißchen blaß ohne jedes Make-up, aber meine Haut war glatt und meine Augen blickten klar, obwohl ich schon acht Stunden Dienst hinter mir hatte. Daran, daß mein Mund ein bißchen zu groß ist, habe ich mich in den dreiundzwanzig Jahren meines Lebens gewöhnen können. Dafür sind die Zähne gesund. Wenn ich lache, bekomme ich Grübchen und sehe entschieden jünger aus. Deshalb war ich fest entschlossen, nicht zu lachen.
Die Kollegen der Kriminal- und der Schutzpolizei waren schon alle im Polizeirevier 23 auf dem Hauptbahnhof versammelt. Ich kannte keinen von ihnen. Herr Schmitt, der Einsatzleiter — er nannte seinen Titel nicht, aber ich tippte auf Polizeihauptkommissar —, machte mich mit den einzelnen Herren bekannt. Sie waren alle in einer Art Räuberzivil erschienen.
Ich war so gespannt auf das, was kommen sollte, daß mir die Namen zu einem Ohr herein- und zum anderen wieder hinausgingen. Es waren an die zehn Herren, und ihre Gesichter waren auch nicht allzu einprägsam.
Nur einer machte eine Ausnahme. Er hielt meine Hand lange fest, wie in einem Schraubstock, sah mich mit einem halb freundlichen, halb spöttischen Lächeln an und wiederholte seinen Namen. »Heller«, sagte er, »mit Vornamen Mark … das ist leicht zu behalten, Sie brauchen bloß an Mark und Pfennig zu denken … Mark Heller!«
Ich verkniff mir eine Erwiderung. »Danke für die Gedächtnisstütze«, sagte ich nur.
Dieser Mark Heller war genau der Typ, den ich nicht ausstehen konnte: groß, schlank, breitschultrig, scharfgeschnittenes Gesicht, blondes Haar, sehr schick angezogen in einer schwarzen Cordsamthose, rotem. Rollkragenpullover, Wildlederschuhen und — wie könnte es anders sein — mächtig von sich eingenommen. Es gab eine Zeit, in der ich auf so etwas hereingefallen wäre, aber inzwischen habe ich meine Erfahrungen gemacht und eine heilsame Lehre erhalten.
Mark Heller, von seiner Unwiderstehlichkeit überzeugt, merkte nichts von meiner Ablehnung und klemmte sich ab sofort dicht an meine Fersen.
Wie es den Vorschriften entspricht — sämtliche Verhöre von Mädchen bis zu achtzehn und Jungen bis zu vierzehn Jahren sollen von Beamtinnen durchgeführt werden —, war außer mir noch eine andere Dame mit von der Partie: Frau Lehnert, etwa vierzig Jahre, aus dem Korps der weiblichen Kriminalpolizei, die bis vor einem Jahr ein geschlossener Verein war und nun auf die verschiedenen Ressorts aufgeteilt ist. Sie wirkte sympathisch, selbstbewußt und energisch, wenn auch ein bißchen altjüngferlich.
Frau Lehnert war zusammen mit einem Herrn Wolff vom Jugendamt gekommen, einem gemütlich wirkenden Herrn Mitte Dreißig, mit Brille, beginnender Glatze und Pfeife. Er hatte mit der eigentlichen Razzia nichts zu tun und hätte auf dem Revier warten können, bis aufgegriffene Jugendliche eingeliefert wurden. Doch er zog es vor, zuerst einmal mitzufahren.
Kurz nach zweiundzwanzig Uhr verteilten wir uns in die Streifenwagen, die bekannten grünen Kastenwagen mit vergitterten Fenstern und vier Bankreihen hintereinander. Ich kletterte in den ersten Wagen, Isar neun, in dem der Einsatzleiter sich schon neben den Fahrer gesetzt hat. Er gibt der Funkzentrale durch, daß es losgeht. Mark Heller quetscht sich, wie könnte es anders sein, neben mich. »Komisch, daß ich Sie noch nie gesehen habe«, sagt er.
»Nicht so komisch«, erwidere ich, »ich bin noch nicht lange dabei.«
»Machen Sie so etwas heute etwa zum erstenmal mit?«
»Ja. Wünschen Sie sonst noch Auskünfte?«
Er ist gar nicht beleidigt, sondern lacht nur. »Wie sind Sie auf die Idee gekommen, zur Polizei zu gehen?«
Ich hätte Lust, ihm eine runterzuhauen. »Aus denselben Gründen wie Sie wahrscheinlich!«
»Glaube ich Ihnen nicht. Ich bin zur Polizei gegangen, weil man in dem Verein Aufstiegschancen hat wie nirgends. Das trifft aber nicht — oder wenigstens noch nicht — auf das weibliche Geschlecht zu.«
»Vielleicht setze ich darauf, daß das noch kommt«, behaupte ich. Warum soll ich ihm auf die Nase binden, daß ich ein ganz persönliches Interesse daran habe, gefährdete junge Menschen zu schützen und den Verbrechern, die ihre Situation ausnutzen wollen, das Handwerk zu legen. Es geht ihn nichts an, und ich wette, er würde es sowieso nicht verstehen.
»Tun Sie das lieber nicht«, warnt er mich. »Für Damen ist das hier nicht das Richtige. Oder können Sie sich einen weiblichen Einsatzleiter vorstellen?«
»Warum nicht?«
»Sie haben eine ausschweifende Phantasie!«
Ich weiß, daß er all das nicht so meint, wie er es sagt, daß er mich nur ärgern will, um mein Interesse zu wecken. Aber gerade das stört mich. Ich bin kein Objekt für männliche Eroberungslust. Also schweige ich.
Wir brausen durch die nächtliche Großstadt, ohne Martinshorn und Blaulicht zwar, aber in einem ziemlich rasanten Tempo. In einer Kurve werde ich gegen Heller geschleudert, und er benutzt die Gelegenheit, mich festzuhalten. Seine Hände sind warm, sein Griff ist zupackend. Ich befreie mich schleunigst.
Unser Streifenwagen fährt in den Garagenhof einer Tankstelle, wendet und hält.
Schmitt setzt sich mit der Funkzentrale in Verbindung.
»Hier Isar neun … Zentrale, bitte melden! Sind auf der Goethestraße … nehmen uns den ‚Vampyr’ vor! Bis jetzt keine besonderen Vorkommnisse. Melden uns anschließend wieder. Ende.«
Wir anderen sind schon hinausgesprungen. Das Trittbrett des Streifenwagens liegt hoch, und Mark Heller bildet sich ein, mir die Hand reichen zu müssen. Natürlich nehme ich sie nicht, bin eine Sekunde unsicher und komme so hart auf dem Betonboden auf, daß ich mir fast den Knöchel verstaucht hätte. Dabei habe ich die Sportprüfung mit Auszeichnung gemacht!
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